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Angela Belcher - Forscherin des Jahres 2006  
  Angela Belcher vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) wurde von den Herausgebern der Zeitschrift "Scientific American" zur Forscherin des Jahres 2006 gewählt. Die Auszeichnung erhält die Wissenschaftlerin für ihre Entwicklung gentechnisch veränderter Viren, die sich für die Nanotechnologie einsetzten lassen.  
In ihrem Labor werden gentechnisch veränderte Viren gezüchtet, die Materialien im Nano-Maßstab produzieren, und die wiederum finden eventuell eines Tages Verwendung in der Informationstechnologie oder als Solarzellen. Angela Belchers Arbeiten gelten damit als Paradebeispiel dafür, was herauskommen kann, wenn moderne Technologien wie Nano- und Biotechnologie in einem Forschungsansatz verschmolzen werden.
->   MIT-Aussendung: Angela Belcher Researcher of the Year
Meeresschnecke als Vorbild
Bild: MIT
Angela Belcher
Sie orientiert sich daran, wie die Natur Materialien herstellt, erzählt Angela Belcher im ORF-Radio-Interview. Ausgangspunkt für die mittlerweile mehrfach preisgekrönten Arbeiten der US-Amerikanerin waren ihre Beobachtungen an den Abalone-Meeresschnecken an der kalifornischen Küste.

Abalone-Meeresschnecken aus der Gattung der Seeohren (Haliothis) haben ein Gehäuse, das zu 98% aus Kalk und zu 2% aus Proteinen besteht. Angela Belcher faszinierte die Feinstruktur, wie dieses Gehäuse aufgebaut ist: "Es ist aus winzig kleinen Kalziumkarbonat-Sechsecken aufgebaut - das ist im Grunde Kalk - aber durch die spezielle Nanostruktur ist das Gehäuse ungefähr 3.000 Mal härter als normaler geologischer Kalk und noch viel mehr als die Kreide, mit der man Tafeln beschreibt."

Das Geheimnis, wie die Meeresschnecke dieses fein strukturierte Gehäuse herstellt, hat Angela Belcher in ihrer Doktorarbeit untersucht und herausgefunden, dass die Abalone eines ihrer Proteine eigens auf die Herstellung dieses Gehäuses abgestellt hat.
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Protein sorgt für Aufbau der Nanostruktur
Die Abalone-Meeresschnecke scheidet ein bestimmtes Protein mit vielen negativen Ladungen aus. Diese negativen Ladungen ziehen die positiv geladenen Kalzium-Ionen aus dem Wasser an. Aufgrund elektrostatischer Wechselwirkungen bilden sich Schichten von positiven und negativen Ladungen.
->   Seeohren - Wikipedia
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"Lego" mit Kalzium-Ionen
"Das heißt, die Meeresschnecke hat ein Protein entwickelt, das mit seinen negativen Ladungen als chemische Schablone für das Kalzium aus dem Ozean-Wasser dienen kann. Man kann sich das vorstellen wie beim Lego-Spiel, wo ein Stein immer genau auf den anderen passt."

"Nur dass der neue Baustein - das Kalzium - bei der Meeresschnecke eben nicht mechanisch auf der Schablone 'einschnappt', sondern augrund seiner elektrischen Ladung. Das Protein zieht die Ionen aus dem Ozean also chemisch an und baut so ein Gehäuse", sagt Angela Belcher.
Viren als Nanofabriken ...
Angela Belcher und ihre Kollegen imitieren dieses System mithilfe der Biotechnologie. Dazu verwenden sie ungefährliche Viren, die sie gentechnisch so verändern, dass eines ihrer Proteine spezielle Atome oder Moleküle aus der Umgebung auffängt und damit bauen kann - genauso, wie die Proteine der Meeresschnecke, die das Kalzium aus dem Wasser binden.

Damit werden die Viren zu Nanofabriken, die Materialien auf Basis einzelner Atome oder Moleküle zusammenfügen. Nanofabriken, die sich beliebig vervielfältigen lassen, weil die Viren im Labor einfach und schnell vermehrt werden können. Welche Materialien die Viren dann zusammenbauen, hängt davon ab, wie sie von den Wissenschaftern gentechnisch präpariert worden sind, welche Atome oder Moleküle ihre Proteine daher anziehen.
... für Energie- und Informationtechnologie
Verwenden lassen sich die viralen Nanofabriken zur Herstellung einer ganzen Reihe von Materialien, sagt Angela Belcher. "Schaltkreise und Transistoren für die Informationstechnologie mit Viren zu machen ist nur ein Gebiet, das uns beschäftigt. Etwas anderes, wofür wir uns in meinem Labor aber gerade sehr interessieren, ist Energieversorgung."

"Wir haben ein Projekt laufen, bei dem die Viren Solarzellen produzieren. Genauso, wie wir die Viren dazu bringen können, lange Drähte zu bilden, können wir sie auch dazu bringen, lange dünne flächige Schichten mit einem Material zu bilden, das sich als Solarzelle eignet." Nebenbei arbeiten die Wissenschaftler auch an einer auf Viren basierenden aufladbaren Batterie.

Am MIT betreibt sie die Grundlagenforschung, bringt ihre speziell präparieren Viren dazu, aus allen möglichen Atomen oder Molekülen jene Materialien herzustellen, die sie interessieren. In der Firma "Cambrios Technologies", die sie 2002 gegründet hat, kümmern sich Forscher dann darum, aus diesen Ideen und Prototypen ökonomisch verwertbare Produkte zu entwickeln.
->   Cambrios Technologies
Preisgekrönt ...
Angela Belcher ist selbst überrascht, wie weit ihr Projekt, Viren als Nanofabriken zu verwenden, nur acht Jahre nach der ersten Idee dazu gediehen ist. Die 39-Jährige hat sich damit an die Spitze der internationalen Nanotechnologie-Forschung und 2001 auf die Titelseite des berühmten Wirtschaftsmagazins "Forbes" gebracht.

2004 wurde sie zum Mac Arthur Fellow ernannt, ein Preis, der landläufig als "genius grant" bezeichnet wird. Die halbe Million Dollar Preisgeld wollte Angela Belcher vor allem für Projekte im Raum Boston investieren, die Kindern die Freude an der Wissenschaft vermitteln sollten.
... und kinderfreundlich
An Kinder dachte sie laut aktueller MIT-Aussendung auch als erstes, als sie von der Scientific-American-Kür zur Forscherin des Jahres 2006 erfuhr. Scientific American werde auch von vielen Kindern gelesen, diese Erfahrung habe sie gemacht, als sie nach einem früheren Artikel über ihre Arbeit in der Zeitschrift vor allem von jungen Leuten mit Fragen bestürmt wurde.

Und schließlich falle die Ehre, zur Forscherin des Jahres ernannt zu werden, mit dem ersten Geburtstag ihres eigenen Sohnes zusammen. Das freue sie besonders, da sie sich seit Beginn ihrer wissenschaftlichen Laufbahn Sorgen gemacht hatte, ob es ihr gelingen würde, Karriere und Familie zu haben.

Exzellente Studenten und institutionelle Unterstützung am MIT - der MIT-Kindergarten beispielsweise ist auf dem Campus an zentraler Stelle - machten es möglich, sagt Angela Belcher.

Birgit Dalheimer, Ö1-Wissenschaft, 10.11.06
->   Angela Belcher
->   Scientific American
 
 
 
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01.01.2010