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Gärten: Vom Lebensraum zum Schauraum  
  Nach dem Zweiten Weltkrieg galt das "Häuschen mit Garten" als Symbol für Wiederaufbau und neues Glück. Auch heute sehnen sich vor allem Stadtbewohner nach der überschaubaren Idylle zwischen den Gartenzäunen. Die Germanistin Gisela Steinlechner, derzeit am IFK in Wien, untersucht das Phänomen gerade in einem Forschungsprojekt. Ihrer Ansicht nach stellen Gärten heute eine Art Rückzugsraum für gestiegene Mobilitätsanforderungen dar. Und auch ihre Gestaltung hat sich geändert: Gärten werden vom Lebensraum zunehmend zum "Schauraum für die Augen". Ein Interview.  
Bild: APA
science.ORF.at: Hochglanzmagazine zum Thema Gärten boomen, die Umsätze der Gartenabteilungen in den Baumärkten wachsen, woher kommt dieses steigende Interesse an Gärten?

Gisela Steinlechner: Ich vermute, das hat mit ihrer geänderten Verwendung zu tun. In dem Maße, in dem der Garten von seinen Nutzfunktionen entbunden wird, etwa um als Obstgarten Nahrung zu liefern, wird er auch als Raum für ästhetischen Ausdruck wichtiger. Und das "Eigenheim mit Garten" im Europa der Nachkriegszeit war ein starkes Symbol für Wiederaufbau und Wirtschaftswunder, für das wieder gefundene Glück. Im Garten hat man dann ein Stück davon gelebt, mit Grillfesten und Hollywoodschaukel.

Diese Komponente existiert natürlich noch immer, aber in urbanen Lebensformen beginnt sich ein Wandel vom Lebensraum zum Repräsentationsraum abzuzeichnen, auch zum Ort der Kontemplation und Ruhe. Der Garten wird zu einem Ort des Anhaltens, als Gegenmodell zu den Mobilitätsanforderungen unserer Zeit. Mobilität wird zwar oft als neue Qualität gepriesen, hat aber auch etwas Bedrohliches an sich. Der Garten steht hier für eine gewisse Bodenhaftung und für Verhaftung an einem Ort, für einen Rückzugsraum.
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Veranstaltungs-Hinweis
Gisela Steinlechner hält am Montag, den 4. Dezember 2006 um 18 Uhr c.t. am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK) in Wien den Vortrag "Was ist ein Garten? - Ein Gegenwartsbefund".
Ort: IFK, Reichsratsstraße 17, 1010 Wien
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Schon in den 60er Jahren kritisierte der Kabarettist Georg Kreisler seine Generation in einem Lied als "Blumengießer", denen es mehr um das Wohl ihrer Pflanzen geht als der Gesellschaft, in der sie leben. Sind Gartenliebhaber auch heute noch antipolitische Privatiers?

Steinlechner: Das ist eine ganz zentrale Frage. Werden Gärten als Rückzugsraum ins Private gesehen, als Raum für Cocooning? Oder haben sie auch so etwas wie eine gesellschaftliche Relevanz? Die Schwierigkeit bei dem Thema ist seine Vielfalt: Alleine in der Erscheinungsweise, in der Typologie des Gartens ist alles möglich. Die Vorstellung, was ein Garten ist, ist jedoch relativ konstant. In der Erscheinung unterscheiden sie sich aber sehr stark.
Wo könnte so etwas wie gesellschaftliche Relevanz von Gärten liegen?

Steinlechner: Ich beziehe mich auf zwei theoretische Positionen, die eine von Vilem Flusser, die andere von Michel Foucault. Flusser meint, Gärten sind heute nur noch Täuschung, nur noch Simulation. Zum einen weil uns die Natur als Gegenüber abhanden gekommen und Teil des Kulturapparats geworden ist. Zum anderen weil Privatheit als Qualität nicht mehr existiert, da es auch keine Öffentlichkeit mehr gibt. Die Differenz von "privat" und "öffentlich" ist seiner Ansicht nach verschwunden.

Diese Position finde ich interessant und stelle sie dem gegenüber, was Michel Foucault als Heterotopie bezeichnet. Er schreibt dem Garten dabei eine Qualität des Widerständigen zu, bezeichnet ihn als "Widerlager". Foucault hält Gärten für Freiräume, die die Wirklichkeit aufnehmen, sie auch repräsentieren, sie zugleich aber auch wenden und bestreiten. Bei der Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz von Gärten scheint mir Foucaults Position nahe liegender.
Sind normale Haus- oder Schrebergärten als bekannteste Vertreter ihrer Art in Österreich eher Simulation oder Heterotopie?

Steinlechner: Ich denke, dass sich das nicht nach Typologien unterscheiden lässt. Was Foucault mit Heterotopie, mit Freiraum anspricht, das kann bei jeder Art von Garten entstehen. Das hat mit der jeweils besonderen Situation zu tun, unter welchen Bedingungen ein Garten entsteht, wie er mit seiner Umgebung umgeht. Das kann genauso gut ein Haus- oder Bauerngarten sein wie gestaltete, reflektierte Gärten. Umgekehrt können sie alle auch sehr eindimensionale, oberflächliche Räume sein.
Gibt es Beispiele für so ein "widerständiges Potenzial" von Gärten im Sinne Foucaults?

Steinlechner: Der Regisseur Derek Jarman hat in seinem Strandgarten an der Südküste Englands Strandgut, Abfälle und Relikte gesammelt. Das hat er zum Teil gärtnerisch verwendet, etwa als Rankhilfe, er hat aber auch totemähnliche Skulpturen damit geschaffen, die mit den Pflanzen eine sehr eigene Verbindung eingehen. Bezeichnenderweise gibt es bei ihm auch keinen Gartenzaun, was ja oft als bestimmendes Merkmal des Gartens genannt wird. Genau hier, wo etwas dem "Modell Garten" widerspricht, beginnt seine besondere Qualität.

Oder ein anderes Beispiel: der Garten eines vor den Nazis nach England geflüchteten Wiener Juden. Auch er hat scheinbar wertlose Gegenstände gesammelt - Badewannen, Metallteile, Tierknochen - und daraus einen Zeichenraum geschaffen. Für mich besteht ein Zusammenhang zwischen der Rhetorik der Nazis vom unwerten Leben, wodurch die betroffenen Menschen keinen Ort mehr gehabt haben, und diesem Garten, wo er Dingen einen Ort zuweist, die aus den normalen Verwertungszusammenhängen herausgefallen sind und die man normalerweise als Abfall entsorgen würde.
Bild: APA
Welche Entwicklungen oder Tendenzen sehen Sie bei der Gestaltung von Gärten?

Steinlechner: Im öffentlichen Raum kann man schon länger beobachten, dass gestaltete Grünflächen Räume sind, die nicht betreten werden sollen, sozusagen bloß "etwas fürs Auge" sind. Auch private Gärten werden zunehmend als visuelles Gefüge aufgefasst. Das waren sie natürlich schon immer, aber das geht jetzt weiter, indem Bilder implantiert werden.

Es gibt immer mehr Gärten, die man gar nicht mehr betreten kann, sondern die konzipiert sind als bloßer Schauraum. Als ein Raum, der arrangiert ist wie eine Bühne oder ein Bild, der schön ist, aber in dem man sich nicht aufhält. Eine Qualität des traditionellen Gartens ist das Gehen im Garten, und das wird dann unmöglich.

Auch die Arbeit ist dabei kein Thema mehr. Das hat viel mit unserem Zeitmanagement zu tun, die Pflanzen sollen schön sein, aber austauschbar, möglichst wenig Arbeit verursachen. Immer mehr Pflanzen werden in Töpfe gesetzt und nicht mehr direkt in die Erde, Erdflächen - der eigentliche Untergrund des Gartens - werden sehr oft abgedeckt oder versiegelt, mit Steinen, Kies, Holz oder künstlichen Belegen. Der Garten wird immer mehr zum Interieur und zum Zimmer, ein möblierter, erweiterter Wohnraum.
Besitzen Sie selbst einen Garten?

Steinlechner: Ich bin mit Garten aufgewachsen und seit einigen Jahren habe ich in Wien eine kleine Terrasse, die mein Garten ist. Die Terrasse geht in einen Hof hinaus mit einem Kastanienbaum und einer Esche, die für mich dazu gehören. Der Außenraum, an den der Garten stößt, gehört immer zu einer Betrachtung von Gärten. Ich plädiere dafür, sie als durchlässigen Raum zu sehen, der immer in Austausch und Verbindung mit einem Außen steht. Je isolierter so ein Gefüge ist, desto starrer und eindimensionaler wird es.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 1.12.06
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Gisela Steinlechner ist Lehrbeauftragte am Institut für Germanistik an der Universität Wien, Kuratorin und IFK_Research Fellow.
->   Gisela Steinlechner, Uni Wien
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->   Mehr über Foucaults Heterotopien (Uni Bochum)
->   Bilder vom Jarman-Garten (flickr)
 
 
 
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01.01.2010