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Haarwuchs-Gen formt Fell und Frisur  
  Wenn Sie auf dem Hinterhaupt einen charakteristischen Haarwirbel tragen, dann ist dafür vermutlich ein Gen namens "Fz6" verantwortlich. US-Genetiker haben nun herausgefunden, wie Fz6 den Haarwuchs steuert - und zwar in einem zweistufigen Prozess, der eine verblüffende Ähnlichkeit zu Vorgängen in einem Magneten aufweist.  
Ähnlich wie bei der Gleichschaltung der Elektronenspins in einem Ferromagneten spielt auch bei der Ausrichtung von Körperhaaren die so genannte Selbstorganisation eine wichtige Rolle. Das berichtet ein Team um Jeremy Nathans vom Howard Hughes Medical Institute.
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"Order from disorder: Self-organization in mammalian hair patterning" von Yanshu Wang et al. erscheint zwischen 11. und 15. Dezember auf der Website der "Proceedings of the National Academy of Sciences".
->   Abstract (sobald online)
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Haarwuchs ist vererbbar
Bereits in den 1930er und 40er Jahren erkannte der US-amerikanische Genetiker Sewall Wright, dass individuelle Haarmuster vererbbar sind. Er führte Kreuzungsversuche mit Meerschweinchen durch und folgerte daraus: Der Haarwuchs ist ein Merkmal, dessen Erbgang sich sehr gut mit den Mendelschen Gesetzen beschreiben lässt.

Heute weiß man: Die Ordnung und Ausrichtung von kleinen Strukturen an der Körperachse wird durch eine Reihe von Genen vermittelt, die man als PCP-System bezeichnet (von "planar cell polarity"). PCP-Gene regeln beispielsweise bei der Fruchtfliege die Orientierung von Haaren, Borsten und Sinneszellen in den Augen.

Auch bei Säugern spielen diese Gene eine wichtige Rolle - dort steuern sie etwa die Entwicklung des Neuralrohres und der Augenlider (die beide eine Orientierung von Einzelzellen benötigen), die Ausrichtung von Sinneshaaren im Ohr sowie von Haarfollikeln in der Haut.
"Frizzled" - das Frisur-Gen
 
Bild: PNAS

Letzteres geht auf das Konto des Gens "Frizzled6" (Fz6), wie ein Team um den US-Genetiker Jeremy Nathans vor zwei Jahren herausfand. Die Forscher vom Howard Hughes Medical Institute züchteten Mäuse, die ohne das betreffende Gen auf die Welt kamen.

Diesen fehlte weitgehend die Haarorientierung an der Körperachse, sie entwickelten eine Vielzahl an Wirbeln, wellen- und büschelförmigen Mustern in ihrem Haarkleid. (PNAS 101, 9277).

Bild oben: Links der Haarwuchs bei der Kontrollgruppe, rechts die Tiere ohne Fz6 im Erbgut.
Komplizierter als gedacht
Nachdem sich ähnliche Wirbel auch bei Hunden, Pferden, Kühen - nicht zuletzt auch beim Menschen finden, lag der Schluss nahe: Auch in diesen Fällen könnte die Inaktivierung von Fz6 für die individuellen Musterungen verantwortlich sein.

Ganz so einfach, wie man sich die Sache zunächst vorgestellt hatte, ist sie aber nicht. Nathans und Kollegen fanden nun heraus, dass Fz6 lediglich die globale Orientierung der Haare steuert, bei der Feinabstimmung jedoch nichts mitzureden hat. Die passiert offenbar durch einen Prozess, den man Selbstorganisation nennt.
Spontane Ordnungsbildung
Die spontane Entstehung von Ordnung durch Selbstorganisation ist in den Naturwissenschaften ein durchaus gängiges Phänomen: So bilden beispielsweise erhitzte Flüssigkeiten unter bestimmten Bedingungen ein sechseckiges Wabenmuster aus, das durch auf- und absteigende Flüssigkeitselemente stabil gehalten wird.

Ein berühmtes Beispiel aus der Biologie ist etwa der Schleimpilz Dictyostelium discoideum, dessen einzelne Zellen sich bei Nährstoffknappheit zusammenschließen. Dabei laufen geordnete Wellen durch das Zellaggregat, die durch die Produktion und Aufnahme eines Signalstoffs gesteuert werden.

Dass es nun auch bei Haarfollikeln einen ähnlichen Prozess geben soll, war nicht unbedingt zu erwarten, denn Follikel sind ziemlich große Objekte, die sich nicht so frei bewegen können, wie etwa ein selbständiger Einzeller.
Perspektivenwechsel: Haarwuchs ähnelt Magnetismus
Der Impuls, die Angelegenheit einmal durch die Brille der Selbstorganisation zu betrachten, kam im Jahr 2004. Damals wiesen Julian Lewis und Alex Davies vom Londoner Vertebrate Development Laboratory darauf hin, dass es eine gewisse Ähnlichkeit zwischen PCP-Mustern und der Ausrichtung des Spins in Ferromagneten gibt.

In Ferromagneten gibt es zwei Arten von Effekten: Zum einen ein globales magnetisches Feld, das die grobe Ausrichtung der Spins sorgt - und zum anderen lokale Wechselwirkungen zwischen Atomen bzw. deren Bauteilen, die die Feinausrichtung besorgen.

Lewis und Alex Davies vermuteten nun, dass es bei der Ordnungsbildung durch PCP-Gene ähnlich zugeht: Ein zweistufiger Prozess, bei dem ein grobes Signal die Richtung vorgibt, die Details aber durch Selbstorganisation festgelegt werden (Journal of Neurobiology 53, 190).
Modell bestätigt Analogieschluss
Sie hatten recht, wie nun das Team um Jeremy Nathans belegt: Das Gen Fz6 greift nur in die globale Orientierung der Haarfollikel ein, die letztendliche Ausrichtung machen sich die Follikel untereinander aus.

Dabei tauschen sie vermutlich Signalmoleküle aus und synchronisieren ihren Wuchs, sodass Fell und Haarkleid so wohl geordnet sind, wie wir es von Hund und Katze kennen.

Stufe zwei des Prozesses wurde allerdings bislang nur im Computermodell belegt. Am physischen Nachweis der Signalmoleküle arbeiten die US-Genetiker gerade.

[science.ORF.at, 12.12.06]
->   Jeremy Nathans - Howard Hughes Medical Institute
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01.01.2010