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Vorstellung von NS-"Schreibtischtätern" falsch  
  Mit der Wannsee-Konferenz von 1942 leitete das NS-Regime nach Darstellung des deutschen Historikers Peter Longerich eine Politik ein, durch die der Staatsapparat auf die Ermordung der Juden eingeschworen wurde.  
"Die Anfang 1942 getroffene Entscheidung, die "Endlösung" noch während des Krieges und nicht wie geplant nach einem Sieg zu vollziehen, sollte aber auch die Verbündeten und die Bevölkerung als Komplizen mit in Haftung nehmen", sagte Longerich, Professor am Royal Holloway College der Universität London, gegenüber der dpa anlässlich des 65. Jahrestags der Wannsee-Konferenz.
Eindeutige Signale zur "Ausrottung" der Juden
"Mit der Wannsee-Konferenz schufen die Nationalsozialisten die Voraussetzungen, um von einem Deportations- zu einem europaweiten Mordprogramm überzugehen", unterstrich der Historiker.

Danach habe es immer wieder eindeutige Signale an die Bevölkerung gegeben, dass das Regime die europäischen Juden, wörtlich gesagt "ausrottet". Damit war auch die Botschaft verbunden, dass das deutsche Volk im Falle einer Niederlage für die beispiellosen Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werde.
Tausende von aktiv handelnden Tätern
Die Vorstellung von "Schreibtischtätern" sei zu simpel und werde der Dimension des Geschehens nicht gerecht, betonte Longerich. Man könne sich die Ermordung von sechs Millionen Menschen nicht als "normale" bürokratische Operation vorstellen, in der untergeordnete Organe einfach Befehle "von oben" ausführten.

"Das ganze war ein ungeheurer destruktiver, mörderischer Prozess, in denen Tausende von aktiv handelnden Tätern auf den verschiedensten Ebenen große Eigeninitiative entwickelten", sagte Longerich.
Vermutlich kein offizieller Zentralbefehl
Die Forschung habe versucht, einen Zeitpunkt zu finden, an dem sich Hitler zum Genozid entschloss und diesen Befehl weiter gab. Lange Zeit habe man gedacht, mit der Wannsee-Konferenz diesen Moment gefunden zu haben, sagte Longerich.

Die Wissenschaft gehe aber immer mehr von einem Zentralbefehl ab. Es gebe keinen schriftlichen Befehl Hitlers, aber "eine dichte Indizienkette, die zeigt, dass er alle wesentlichen Entscheidungen vorantrieb".
Pläne zur "Endlösung" seit Anfang 1941
Die Entscheidung zur so genannten Endlösung habe sich etwa ein Jahr vor der Wannsee-Konferenz abgezeichnet. Seit Anfang 1941 habe es den Plan gegeben, die europäischen Juden in die zu besetzenden Ost- Gebiete zu deportieren, wo sie keine Überlebenschancen gehabt hätten.

Bis Ende 1941 seien diese Überlegungen radikaler geworden. "Mit der Wannsee-Konferenz wurde die entscheidenden Weichen gestellt, die Juden nicht wie vorher geplant in der Sowjetunion umzubringen, sondern in Polen und noch vor Kriegsende mit Hilfe der Gaskammern zu ermorden", sagte Longerich.

[science.ORF.at/APA/dpa, 18.1.07]
->   Holocaust - Wikipedia
 
 
 
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01.01.2010