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Ethnografie: Von Bildern über das "Andere"  
  Visuelle Anthropologie und Ethnografie erleben seit den 1990er Jahren einen Aufschwung. Neue Medientechnologien haben eine verstärkte Hinwendung zum Bild im Bereich der Kulturanthropologie eingeleitet. Die Bedeutung dieser ikonischen Wendung sowie Möglichkeiten und Grenzen der Darstellung des "Anderen" erläutert die Kulturanthropologin Judith Laister vom IFK in Wien in einem Gastbeitrag.  
Bildkonzepte gegen Blick-Macht und "Othering"
Bild: IFK
Von Judith Laister

Wer spricht? Die Frage nach dem Machtverhältnis zwischen Schreibenden und Beschriebenen beherrschte die kulturanthropologische "Writing Culture"-Debatte der 1980er Jahren. Wieder einmal wurde eine Wende - von manchen gar das Ende - der ethnografischen Repräsentation ausgerufen.

Die Darstellung der "Anderen" im wissenschaftlichen Text steht seither im Verdacht der subjektiven Konstruktion und hegemonialen Aneignung. "Othering", so der Kulturanthropologe Johannes Fabian, "ist die Einsicht, dass die Anderen nicht einfach gegeben sind, auch niemals einfach gefunden oder angetroffen werden - sie werden gemacht."
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Vortrag am IFK
Judith Laister hält am Montag, den 22. Jänner 2007 um 18.00 c.t. am IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften einen Vortrag mit dem Titel "Andere Bilder. Visuelle Strategien gegen Blick-Macht und Othering". Ort: IFK, Reichsratsstraße 17, 1010 Wien.
->   IFK
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Ethnografische Repräsentation in der Krise
Bis heute werden Auswege aus der Krise der ethnografischen Repräsentation diskutiert - wenngleich leiser als in den selbstreflexiven Achtzigerjahren. Die Suche nach Strategien gegen Othering erweist sich dabei immer auch als Suche nach den Grenzen wissenschaftlicher Objektivität und Distanz.

In der Ethnologie stehen dafür Ansätze der Selbstbeobachtung im Sinne einer "Ethnografie der Ethnografie" zur "Objektivierung der Objektivierung", aber auch interaktionistische Strategien, die den Prozess der Feldforschung selbst als "Performing Culture" gestalten.

Gleichzeitig werden Wege zu einer "eingreifenden Wissenschaft" beschritten, die in Prinzipien wie dialogischer Feldforschung, Aktionsforschung, Empowerment zur Selbstrepräsentation oder polyphonen Repräsentationsformen sichtbar wird.
Auswege: Selbstreflexion - und "Picturing Culture"?
 
Bild: IFK

Parallel zur selbstreflexiven Kritik an der wissenschaftlichen Erfindung und Fixierung der "Anderen" lässt sich ein Bedeutungsanstieg der visuellen Anthropologie beobachten. Die Ursachen dafür liegen nicht nur in neuen Bildtechnologien und dem Aufstieg der Cultural bzw. Visual Culture Studies begründet, sondern werden auch in Zusammenhang mit der "Writing Culture"-Debatte diskutiert.

Seit Objektivität und Legitimität ethnografischer Texte bezweifelt werden, hat auch das positivistische Misstrauen gegenüber dem fiktiven Gehalt des Bildes seinen Nährboden verloren.

Die Mehrdeutigkeit von Bildern wird in der Ethnografie als Qualität entdeckt und der Einsatz visueller Verfahren in Feldforschung und Repräsentation zunehmend als Möglichkeit betrachtet, die "Anderen" (selbst) sprechen und blicken zu lassen.
Problem: Visuelles Othering
Genau an dieser Stelle, wo das Bild als möglicher Ausweg aus der Repräsentationskrise ins Spiel kommt, erfährt die "Writing Culture"-Kritik am textlichen Othering eine Fortsetzung auf visueller Ebene.

Die machtkritische Frage des visuellen Othering, also der selbstvergewissernden "Veränderung" durch Abbildung, gewinnt im Feld der Visuellen Anthropologie und Medienethnologie zunehmend an Bedeutung.

Fotografien und Dokumentarfilme, Kartografien und ethnologische Atlanten haben sich als äußerst wirksame Visualisierungspraktiken zur Konstruktion des "Eigenen" und "Anderen" erwiesen. Im Zentrum einer kulturanthropologischen "Picturing Culture"-Debatte steht die Frage nach jenen Bildkonzepten, die den Blick der WissenschafterInnen leiten. Wer zeigt?
Macht des Blickens und Zeigens
Vor dem Hintergrund einer aufkeimenden "Picturing Culture"-Debatte lohnt der Blick über die disziplinären Grenzen in Richtung künstlerischer, kunsttheoretischer und bildwissenschaftlicher Ansätze, da nicht nur ein "Pictorial Turn" im ethnografischen Bereich, sondern auch ein "Ethnographic Turn" im Bereich der Gegenwartskunst konstatiert wird.

Das Interesse am Fremden, aber auch am eigenen Anderen und Alltäglichen, an Identität und Alterität, Dialog und Differenz, Nähe und Distanz erlebt seit den 1980er Jahren ebenso einen Aufschwung wie die Adaption ethnografischer und dokumentarischer Methoden.

Mit dieser Wende zum kulturell oder sozial "Anderen" und "Eigenen" geht eine - vor allem von Michel Foucaults Machtanalysen sowie von den Cultural und Postcolonial Studies geprägte - kunsttheoretische Diskussion über die Macht des Blickens und Zeigens einher.
Repräsentationskritische Bildkonzepte
Entscheidend ist im künstlerischen Feld die machtpolitische Frage, inwiefern ethnografische Themen und Techniken ein Blickregime fördern, das zur Reproduktion lokaler bzw. globaler sozialer Ungleichheiten beiträgt.

Der Vortrag "Andere Bilder" fragt nach repräsentationskritischen Bildkonzepten in Gegenwartskunst und Kulturanthropologie, wobei als Beitrag zur aufkeimenden "Picturing Culture"-Debatte Ideentransfers und methodische Überschneidungen fokussiert werden.

[19.1.07]
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Über die Autorin
Judith Laister, Dr. phil., ist seit 2003 Lehrbeauftage an der Universität Graz. Im Jahr 2005/2006 war sie Postdoktorandin an der Technischen Universität Hamburg-Harburg. Sie ist IFK_Research Fellow. Publikationen u.a.: Schöne neue Stadt. Produktion und Rezeption postindustrieller Stadt-Bilder am Beispiel von Linz/Donau, Münster 2004; Hg. (mit Peter Arlt), Seltene Urbane Praktiken. Beiträge zu Aktionen im öffentlichen Raum, Graz 2005; Städtische Störzonen. Lesarten zeitgenössischer Kunst im öffentlichen Raum, Frankfurt/Main 2005.
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01.01.2010