News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 
Chromosomen-Enden erzählen Stressgeschichte  
  Zu viel Stress ist ungesund: Das gilt für Menschen und andere Lebewesen genauso wie für ihre einzelnen Körperzellen. Wie diese Stressreaktionen zusammenhängen, haben nun österreichische Biologen bei Wildmäusen überprüft. Ihnen zufolge lassen verkürzte Endstücke der Chromosomen - die so genannten Telomere - direkt auf die Stressgeschichte eines Individuums schließen.  
Das berichten Alexander Kotrschal, Petteri Ilmonen und Dustin Penn vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in einer aktuellen Studie.
...
Die Studie "Stress impacts telomere dynamics" ist in den "Biology Letters" (31.1.07; doi:10.1098/rsbl.2006.0594) der britischen Royal Society erschienen.
->   Biology Letters
...
Verkürzung der Telomere
Dass Stress einen negativen Einfluss auf Gesundheit und Lebenserwartung haben kann, ist schon länger bekannt. Die Biologin Elissa Epel und ihr Team berichteten 2004 etwa davon, wie Stress auf biochemischem Weg zur Alterung von Körperzellen führt.

Betroffen sind demnach vor allem jene Erbgutteile, die eine Schlüsselrolle im Alterungsprozess der Zellen und auch bei der Entstehung von Krankheiten spielen: die so genannten Telomere.

Frauen, die in ihrem Leben mehr Stress ausgesetzt waren, wiesen ihrer Studie zufolge in gewissen Blutzellen kürzere Telomere auf als Frauen aus Kontrollgruppen (PNAS, doi: 10.1073/pnas.0407162101).
Stress beschleunigt Alterungsprozess
Diese Telomere - Komplexe aus DNA und Proteinen - umhüllen und schützen die Enden der Chromosomen im menschlichen Erbgut - ganz ähnlich wie etwa die Kunststoffkappen am Ende von Schuhbändern.

Allerdings werden diese Chromosomen-Kappen bei jeder Zellteilung etwas kürzer, bis sie am Ende so reduziert sind, dass sich die Zellen nicht mehr teilen können und ihr Wachstum einstellen oder absterben.

Was im Altersprozess natürlich abläuft, kann durch äußere Faktoren verstärkt werden: Menschen werden durch stärkere Belastungen im Privatleben oder im Beruf eher krank, Zellen leiden etwa unter Hitze oder oxidativem Stress.
...
Oxidativer Stress von Zellen bedeutet die Störung des Gleichgewichts zwischen der Produktion von gefährlichen reaktiven, oxidativen Molekülen und den dazugehörenden antioxidativen Verteidigunsmechanismen. In Zellkulturen bewirkt oxidativer Stress eine Verkürzung der Telomere.
->   Oxidativer Stress (Wikipedia)
...
Zwei Wege, um Mäuse zu stressen
Um die Zusammenhänge genauer zu untersuchen und zu quantifizieren, haben die österreichischen Biologen mit dem gleichen Ansatz der Epel-Studie nun die Stressreaktionen von Wildmäusen untersucht.

Männliche und weibliche Artgenossen wurden dabei über einen Zeitraum von sechs Monaten zwei Arten von Stress ausgesetzt: zum einen "erhöhter Reproduktion", zum anderen Raumnot bzw. Überbelegung der Mäusekäfige.
Weibchen belasten Sex und Überbevölkerung ...
Die Ergebnisse waren laut Studie eindeutig: Die aus Blutproben gewonnenen Zellen der weiblichen Mäuse zeigten in beiden Situationen im Vergleich zu einer Kontrollgruppe deutlich verkürzte Telomere.

"Reproduktion bewirkte bei ihnen eine Verkürzung der Telomere und behinderte die Telomer-Reparatur", fasst Dustin Penn zusammen.
... Männchen nur die Platznot
Bei männlichen Mäusen zeichnete sich hingegen ein differenziertes Bild ab: Bei ihnen wurde eine Telomer-Verkürzung nur nach jenem Stress beobachtet, der durch Überbevölkerung ausgelöst wurde.

Reproduktionsstress zeigten sie hingegen keinen, da sie sich "nicht um den Nachwuchs kümmern", wie die Forscher schreiben. Im Gegenteil: Überraschenderweise verlängerten sich die Telomere bei ihnen. "Weibchen zahlen für die Fortpflanzung einen höheren Preis", interpretierte Dustin Penn dies gegenüber science.ORF.at.
Indikator für Stressgeschichte
Penn, Kotrschal und Ilmonen halten Telomere für eine Art Spiegel, der anzeigt, wie stark Individuen Stress ausgesetzt bzw. wie sehr sie sich ihm widersetzen können.

Die Länge der Chromosomen-Endstücke sagt ihnen zufolge direkt etwas aus über die Stressgeschichte eines Individuums: je kürzer, desto mehr Stress hat es erlebt oder desto weniger war es in der Lage, mit dem erlebten Stress umzugehen.

Ob diese Korrelationen direkt auf die Lebensdauer der Individuen übertragen werden können, liegt laut Dustin Penn zwar nahe, ist aber noch nicht empirisch untersucht. Die Frage sollen zukünftige Studien klären.

[science.ORF.at, 31.1.07]
->   Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung
->   Telomere (Wikipedia)
Mehr dazu in science.ORF.at:
->   Niedriger Sozialstatus lässt Zellen schneller altern (21.7.06)
->   Stress lässt Zellen altern (30.11.04)
->   Wie ein Enzym Krebszellen "unsterblich" macht (27.8.02)
->   Telomer-Manipulation: Ewige Jugend oder Krebstod (24.6.02)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010