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Maxwellscher Dämon als Molekülmodell  
  Der Physiker James Clerk Maxwell entwickelte im 19. Jahrhundert ein berühmtes Gedankenexperiment, in dem ein mikroskopisch kleines Wesen die Gesetze der Wärmelehre umgeht. Dieses Wesen ist heute als Maxwellscher Dämon bekannt. Schottische Chemiker haben den Dämon nun gewissermaßen zum Leben erweckt.  
David A. Leigh von der University of Edinburgh stellte ein Molekülmodell her, das offensichtlich von Maxwells Fantasiegestalt inspiriert wurde. Physikalische Gesetze vermag es allerdings keine zu brechen.
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"A molecular information ratchet" von Viviana Serreli et al. ist in "Nature" (Bd. 445, S. 523; doi:10.1038/nature05452) erschienen.
->   Abstract
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Es geht bergab
Angenommen, Sie öffnen einen mit Parfum gefüllten Flakon und lassen ihn einige Tage stehen. Dann passiert folgendes: Das Parfum verdampft und die Duftmoleküle verteilen sich zufällig im Raum.

Sie sind mal da, mal dort, einige wenige werden vielleicht auch wieder den Weg zurück in den Flakon finden. Im Prinzip wäre es sogar möglich, dass sämtliche Moleküle zurück in das Parfumfläschchen wandern. Aber in der Realität wird das, wie jeder aus eigener Erfahrung weiß, niemals passieren.

Dahinter steht ein physikalisches Prinzip: Jedes abgeschlossene System trägt eine Neigung in sich, das es von einem geordneten Zustand in Richtung Unordnung treibt. Wenn man sich Ordnung als Berggipfel vorstellt und Unordnung als Tal, dann geht es in der unbelebten Natur immer abwärts. Bergaufläufe sind zwar nicht prinzipiell verboten, aber sie kosten Energie. Das ist im Leben genau so wie in der Physik.
Wärmelehre - von oben und unten
Diesen Sachverhalt kann man im Wesentlichen auf zwei Ebenen beschreiben. Die klassische Thermodynamik hatte noch mit den Eigenschaften und Größenverhältnissen unserer Lebenswelt zu tun. Sie zeigte beispielsweise, dass man kein Schiff bauen kann, das dem Meer Wärme entzieht und mit dieser Energie seinen Motor antreibt - das ist der berühmte zweite Hauptsatz der Thermodynamik.

Interessanter wird die Angelegenheit allerdings, wenn man sie quasi von unten, d.h. aus der Perspektive der beteiligten Teilchen betrachtet. Der österreichische Physiker Ludwig Boltzmann zeigte später, dass man die Zunahme von Unordnung, die dem Zeitpfeil ganz offensichtlich eine Richtung gibt, von Vorgängen ableiten kann, die für sich genommen durchaus umkehrbar sind.

Bezogen auf das Beispiel mit dem Parfum bedeutet das: Jedes Teilchen kann sich frei bewegen, im Prinzip auch genau dorthin, woher es kam, also zurück in die Flasche. Duftmoleküle, die sich spontan in einem Flakon zusammenfinden, sind zwar demzufolge keineswegs verboten, aber de facto unmöglich.

Und zwar deshalb, weil dieser Zustand extrem unwahrscheinlich ist. So unwahrscheinlich, dass selbst die gesamte Lebensdauer des Universums nicht ausreichen würde, um diesen Zustand nur einmal eintreten zu lassen.
Maxwells Dämon
Der Schotte James Clerk Maxwell gehörte ebenfalls zur Gruppe jener Physiker, die die Thermodynamik aus Sicht der Mikrowelt betrachteten. Maxwell entwickelte im Jahr 1867 ein Gedankenexperiment, das zeigte, dass man den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik auch statistisch deuten könnte, was er und Boltzmann später auch taten.

Maxwell stellte sich folgende Situation vor: Zwei mit Luft gefüllte Kammern sind durch ein winzig kleines Tor miteinander verbunden, das groß genug ist, um genau ein Luftmolekül durchzulassen. Beide Kammern sind genau gleich warm, d.h. sie befinden sich im thermischen Gleichgewicht.

Maxwell fragte sich nun: Kann man das System aus diesem Gleichgewicht bringen, ohne Energie aufzuwenden? Der zweite Hauptsatz verbietet das, doch Maxwell ersann ein "Wesen", später von Lord Kelvin "maxwellscher Dämon" genannt, das eine ziemlich praktische Begabung hat:

Es erkennt durch reines Hinsehen, ob ein zufällig vorbei kommendes Teilchen schnell oder langsam ist, und öffnet die Tür genau so, dass sich in der einen Kammer die schnellen und in der anderen die langsamen Teilchen sammeln. Das heißt, dass nun zwischen beiden Kammern ein Temperaturunterschied besteht, den man wiederum für die Verrichtung von Arbeit ausnützen könnte.
Ein Molekülmodell
Bild: Regina Fernandes
Eine moderne Version von Maxwells Dämon.
Tatsächlich ist das natürlich nicht möglich. Unter anderem deswegen, weil die Information über das Tempo von Teilchen eben nicht "gratis" zu bekommen ist. Aber dennoch wäre es reizvoll, das Maxwellsche Gedankenexperiment so weit in die wirkliche Welt zu übersetzen, wie es eben möglich ist. Und sei es nur um nachzuweisen, dass die Gesetze der Thermodynamik nicht überwunden werden können.

Diesen Gedanken dürfte auch David A. Leigh von der University of Edinburgh gehabt haben: Er baute mit seinen Mitarbeitern tatsächlich ein Molekülmodell des Maxwellschen Dämons. Es besteht im Wesentlichen aus einem lang gestreckten und einem ringförmigen Molekül, die so positioniert sind, wie etwa ein Ring, durch den ein Bleistift gesteckt wurde.

Das ringförmige Molekül ist im Normalfall frei beweglich, das heißt, es kann sich entweder auf der linken oder auf der rechte Hälfte des molekularen Bleistifts aufhalten. Welche der beiden Möglichkeiten eintritt, ist zunächst rein zufällig - der Molekülring wird von der Brownschen Molekularbewegung mal in die eine, mal in die andere Richtung geschoben.
Entfernung vom Gleichgewicht
Nennt man jene Anordnung, bei der sich der Ring auf der rechten Seiten aufhält, Zustand A, und den anderen Zustand B, dann sollten A und B genau gleich häufig auftreten. Das schreibt die Thermodynamik vor.

Leigh und seine Mitarbeiter statteten den molekularen Bleistift allerdings mit einer Art lichtempfindlichem Sensor aus, der das Molekül in einen anderen räumlichen Zustand übergehen lässt.

Dieser bewirkt, dass sich der Ring nicht mehr bewegen kann und in seiner Position quasi eingefroren wird. Der Clou an der Sache ist, dass die Konformationsänderung des Bleistifts nur dann passiert, wenn sich der Ring in Position A befindet. Mit Hilfe von Lichtsignalen gelang es den schottischen Forschern, die zunächst ausgeglichene Mischung von A- und B-Zuständen innerhalb von wenigen Minuten bis zu einem Verhältnis von 70:30 zu treiben.

Gleichwohl ist damit nicht der zweite Hauptsatz verletzt, denn dem System wurde ja Energie von außen zugeführt, und zwar in Form von Licht.
Nachhilfe bei lebenden Zellen
Interessant daran ist eher folgendes: Lebewesen bedienen sich nämlich eines ähnlichen Wirkungsprinzips. Beispielsweise sammeln unsere Körperzellen gewisse Ionen in ihrem Inneren und pumpen andere nach aktiv außen, weswegen zwischen Innen- und Außenseite der Zellmembran eine Spannung herrscht.

Das kostet Energie, die von außen zugeführt werden muss. In Form von Sonnenlicht, durch energiereiche Moleküle oder was auch immer. Nervenzellen nutzen etwa diese Spannung, um elektrische Signale weiterzugeben, aber das ist nur ein Spezialfall. Im Prinzip ist jede Zelle von solchen Sortierungsprozessen abhängig - Zellen die sich mit ihrer Umgebung im thermodynamischen Gleichgewicht befinden, sind nämlich tot.

Dementsprechend möchte nun auch Leigh sein System an Membranen koppeln, um durch sie Ionen zu transportieren. Molekularbionik quasi: "Die Natur verwendet Molekülbewegungen für alles", sagt Leigh. "Der Mensch verwendet sie hingegen für gar nichts." Zumindest bis jetzt.

[science.ORF.at, 2.2.07]
->   David A. Leigh - University of Edinburgh
->   Maxwellscher Dämon - Wikipedia
->   Thermodynamik - Wikipedia
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01.01.2010