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Wer hat Geist - wer nicht?  
  US-Forscher haben untersucht, auf Grund welcher Kriterien wir anderen Wesen inneres Erleben zuschreiben. Das Ergebnis: Offenbar unterscheiden die meisten Menschen intuitiv zwischen zwei Hauptfaktoren, nämlich Selbstbestimmung und Empfindungsfähigkeit.  
Entgegen bisherigen Annahmen sind diese beiden Faktoren aber völlig unabhängig voneinander, berichten Psychologen der Harvard University.
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"Dimensions of Mind Perception" von Heather M. Gray et al. ist in "Science" (Bd. 315, S. 619; doi: 10.1126/science.1134475) erschienen.
->   Abstract
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Der Turing-Test
Können Maschinen denken? Kommt freilich darauf an, was man unter den Begriffen "Maschine" und "Denken" versteht. Beispielsweise könnte man die Ansicht vertreten, dass auch der Mensch eine Art von Maschine ist, eben eine biochemische. Und dann lautete die Antwort natürlich: ja.

Üblicherweise denkt man jedoch bei Maschinen eher an Computer oder Roboter, also an künstliche Geräte, die von Ingenieuren konstruiert wurden. Können also Roboter und Computer denken? Eine berühmte Antwort auf diese Frage stammt vom britischen Mathematiker Alan Turing.

Ob eine Maschine denken kann oder nicht, schrieb er im Jahr 1950, müssten wir auf der Ebene sprachlicher Äußerungen entscheiden. Wenn eine Testperson einem unbekannten Gesprächspartner X via Bildschirm Fragen stellt und nicht entscheiden kann, ob die Antworten von einer Maschine oder einem Menschen kommen, so Turing, dann müsse man diesem X eigentlich Denkfähigkeit zubilligen (Mind 59, 433). Somit könnten auch Maschinen denken, sofern sie die menschliche Kommunikation gut genug imitieren.

Das ist ohne Zweifel ein sehr pragmatischer Zugang, für manche ist er allerdings zu pragmatisch. Denn erschließt sich Denkfähigkeit - oder allgemeiner: Geist - nur über Äußerungen? Oder ist Geist nicht auch etwas Innerliches, etwas, das über rein maschinelle Prozesse hinausgeht?

Der US-amerikanische Philosoph John Searle sieht genau darin die Schwachstelle der Turingschen Argumentation. Er veröffentlichte im Jahr 1980 ein Gedankenexperiment, das heute als "Chinesisches Zimmer" bekannt ist (Behavioral and Brain Sciences 3, 417).
Das Chinesische Zimmer
Darin geht es, kurz gefasst, um folgendes: Eine Person sitzt, isoliert von der Außenwelt, in einem Zimmer und erhält durch den Türschlitz regelmäßig Botschaften in chinesischer Sprache, auf die sie auch eine Antwort finden muss.

Diese Person hat in ihrem Leben kein Wort Chinesisch gelernt, besitzt aber jede Menge Lexika, Handbücher und Regelwerke, die es ihr ermöglichen, Antworten zu formulieren. Turings Position zufolge müsste man dieser Person zubilligen, dass sie chinesisch versteht, sofern die Antworten korrekt sind.

Searle sagt hingegen: Das, was die Person tut, beschränkt sich auf das blinde Abrufen von Regeln, "Verstehen" ist aber etwas anderes. Da ein Computerprogramm im Prinzip nur aus syntaktischen Regeln ohne Bedetungsgehalt besteht, können Computer herkömmlicher Bauart auch nicht denken. Oder kürzer: Man kann Semantik nicht aus der reinen Syntax melken.

Das blieb natürlich auch nicht unwidersprochen, die Antwort auf den Widerspruch folgte ebenfalls postwendend, und so verästelte sich die Diskussion über viele Jahre, bis sie ziemlich unübersichtlich wurde. Ende der Debatte ist keines in Sicht - und vielleicht ist das auch gut so, das Thema ist schließlich nicht unspannend.
Versuch mit 13 Charakteren
Interessanterweise hat bis dato noch niemand untersucht, was "Geist" für uns im Detail bedeutet, aufgrund welcher Kriterien wir geneigt sind, Attribute wie "geistlos" oder "vernunftbegabt" zu vergeben. Das hat nun ein Team um Heather M. Gray von der Harvard University nachgeholt.

Die US-Psychologen konfrontierten mehr als 2.000 Testpersonen via die Website "Mind Surveys" mit 13 Figuren und stellten ihnen Fragen zu deren geistigen Begabungen. Etwa: "Kann diese Figur Schmerz fühlen?" oder "Welche Figur mögen sie am meisten?" oder "Kann dieses Wesen moralisch handeln?"

Unter den 13 Figuren waren nicht nur Menschen - Embryo, Baby, Erwachsene sowie die Testperson selbst - sondern auch Tiere, nämlich Frosch, Hund und Schimpanse. Und es waren auch Wesen dabei, die nicht so einfach einzuordnen sind: Ein geselliger Roboter, eine verstorbene Frau - und Gott.
Zwei Hauptfaktoren
Bild: Heather M. Gray et al., Science
Eine statistische Analyse der Antworten ergab, dass man die Kriterien, anhand derer wir unserem Gegenüber ein Innenleben zusprechen, in zwei Gruppen unterteilen muss. Einerseits hat "Geist" für uns mit Empfindungen zu tun, also etwa Hunger, Angst und Schmerz. Andererseits steht "Geist" auch für die Fähigkeit, sich selbst zu beherrschen, Handlungen zu planen und moralisch zu agieren.

Gott beispielsweise war für die Befragten ein hochgradig moralisches, denkendes Wesen, schnitt jedoch in der Kategorie "Empfindungen" ganz schlecht ab. Umgekehrt gestanden die Probanden etwa einem Fötus bereits eine gewisse Empfindungsfähigkeit zu, siedelten ihn in Sachen Selbstbestimmung jedoch an der Nulllinie an.

Hohe Werte in beiden Kategorien erreichten nur Erwachsene und die Testpersonen selbst. Der Roboter schnitt im Übrigen ähnlich wie Gott ab - zwar empfindungslos, aber mit (einem gewissen Maß an) Vernunft ausgestattet. Dieses Ergebnis widerspricht der landläufigen Meinung, dass es ein lineares Kontinuum von geistlosen zu geistvollen Geschöpfen gibt.

Offenbar nehmen wir "Geist" eher als zweidimensionales Etwas wahr, das von zwei gänzlich unabhängigen Faktoren gespeist wird.
Schlag nach bei Aristoteles
Gray und Kollegen konfrontierten ihre Probanden auch mit folgenden Fragen: "Angenommen, sie müssten einer der Figuren Leid zufügen: Bei welcher Figur fiele ihnen das besonders schwer?" sowie "Angenommen, eine der Figuren hätte den Tod eines Menschen verursacht: Wer hätte am ehesten Strafe verdient?"

Wie zu erwarten, hingen die Antworten sehr stark von der Position im zweidimensionalen Schema ab. Kurz gefasst: Strafe gebührt vor allem denjenigen, die wissentlich wider moralische Prinzipen handeln. Und Leid soll man insbesondere bei empfindsamen Wesen vermeiden.

Wie die US-Psychologen hinweisen, entspricht das im Wesentlichen der Position, die Aristoteles vor mehr als 2.300 Jahren in der "Nikomachischen Ethik" entwickelt hat. Und zwar ganz ohne Statistik.

Robert Czepel, science.ORF.at, 5.2.07
->   Heather M. Gray - Harvard University
->   Mind Surveys
->   Turing-Test - Wikipedia
->   Chinesisches Zimmer - Wikipedia
 
 
 
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01.01.2010