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Verdrängung: Beschreibung erst seit 200 Jahren  
  Das Phänomen verdrängter Erinnerungen - ausgelöst durch ein Trauma -, derer sich der Betroffene erst Jahre später wieder bewusst wird, scheint ein relativ junges zu sein.  
Zumindest wurde es weder in Fachpublikationen noch in der Belletristik bis vor 200 Jahren explizit beschrieben, ist die Ansicht eines Teams um Harrison Pope von der Harvard Medical School in Boston.
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Die Studie von Harrison Pope et al. ist in der Fachzeitschrift "Psychological Medicine" (Bd. 37, S. 225, 2007) erschienen.
->   Journal
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Historische Literatur durchstöbert
Das fehlende Erinnerungsvermögen an traumatische Situationen wird auch dissoziative Amnesie genannt. Durch einen bestimmten Auslöser, eine bestimmte Situation, kann die Erinnerung plötzlich wiederkehren - häufig geschieht dies erst nach Jahren.

Die Gruppe von Psychologen und Literaturstudenten um Pope näherte sich dem Phänomen verdrängter Erinnerungen auf eher unkonventionelle Weise, um "ihr Alter" zu bestimmen.

Unkonventionell zum einen wegen ihres Ansatzes: Sie suchten in historischen Schriftstücken nach Hinweisen auf die Erscheinung. Zum anderen wegen ihres Einsatzes: Auf mehr als 30 Websites und Online-Diskussionsforen schrieben sie einen Preis in der Höhe von 1.000 US Dollar (770 Euro) aus für den Ersten, der ein Beispiel für verdrängte Erinnerungen nach einem traumatischen Erlebnis finden sollte - publiziert vor 1800.
Kulturelle Erfindung?
Das Ergebnis: Auch wenn mehr als 100 Antworten bei den Forschern eingingen, so konnten die Wissenschaftler keine "echte" Beschreibung unterdrückter Erinnerungen in wissenschaftlichen Beiträgen, Sachbüchern und belletristischer Literatur vor dem Jahr 1800 finden, berichtet der Online-Dienst der Fachzeitschrift "Nature".

Sie vermuten nun, dass die Idee verdrängter Erinnerungen erst seit 200 Jahren besteht.

Pope und seine Kollegen sprechen im Zusammenhang von verdrängter Erinnerung nun von einer kulturellen Erfindung, die mit Freuds Theorien zum Unbewusstsein im 19. Jahrhundert einherging.
Skepsis
Andere Psychologen sind sich betreffend der von Pope verwendeten Technik bzw. den Rückschlüssen unsicherer: Das Verdrängen von Erinnerungen sei eine Strategie, die besonders bei Kindern nach Missbrauch zum Tragen käme, sagt der Psychologe Chris Brewin gegenüber "Nature". Die Literatur habe das Thema wohl weniger aufgegriffen und ihren Schwerpunkt vermutlich eher auf Erwachsene gelegt.

Keine Hinweise bedeuteten zudem nicht, dass es das Phänomen noch nicht gegeben hätte. Auch Pope relativiert die eigene Herangehensweise: Das Heranziehen von Literatur sei nur bei jenen Phänomenen sinnvoll, die auch eindeutig über bestimmte Symptome zu beschreiben seien.

[science.ORF.at, 8.2.07]
->   Harrison Pope
->   Dissoziative Symptome
->   news@nature
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01.01.2010