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Hirnforscher machen verborgene Absichten sichtbar  
  Jeden Tag nehmen wir uns Dinge vor - etwa ein Buch zu lesen, Sport zu treiben oder Freunde anzurufen. Deutschen Forscher ist es nun gelungen, verborgene Absichten aus den Hirnströmen von Testpersonen gewissermaßen herauszulesen. Vorerst aber nur bei einem einfachen Rechenexperiment.  
Das Prinzip des Versuches: Da jede Absicht von charakteristischen Erregungsmustern im Gehirn begleitet wird, kann man mit Kenntnis der Hirnströme auf die darauf folgende Handlung schließen. Das berichtet ein Team um John-Dylan Haynes vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften.
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"Reading Hidden Intentions in the Human Brain" von John-Dylan Haynes et al. erschien auf der Website von "Current Biology".
->   Current Biology
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Privates sichtbar machen
Was wir uns insgeheim vornehmen, bleibt anderen Menschen verborgen, bis wir unser Vorhaben in die Tat umsetzen - so glauben wir zumindest. Denn John-Dylan Haynes und seine Mitarbeiter können die Absichten ihrer Versuchspersonen schon im Voraus entschlüsseln. Allerdings nur unter sehr vereinfachten Testbedingungen.
Experiment: Addieren oder Subtrahieren
Das Experiment der deutschen Neurowissenschaftler lief folgendermaßen ab: Zunächst wurden die Testpersonen vor eine Entscheidung gestellt. Sie sollten sich vornehmen, bei einer Rechenaufgabe zwei Zahlen entweder zu addieren oder zu subtrahieren.

Sie trafen ihre Wahl verdeckt und wussten zunächst nicht, welche zwei Zahlen sie addieren oder subtrahieren sollten. Dadurch stellten die Wissenschaftler sicher, dass sie ausschließlich die Intention der Probanden aus der Gehirnaktivität ablesen.
Voraussage zu 70 Prozent richtig
Erst einige Sekunden später erschienen die Zahlen auf einem Bildschirm und die Probanden konnten die gewählte Rechenaufgabe ausführen. "Man hat bisher angenommen, dass frei gewählte Vorhaben im mittleren Teil des präfrontalen Kortex, äußere Instruktionen hingegen eher im seitlichen Teil gespeichert werden. Diese Annahme konnten wir mit unseren Experimenten bestätigen", erklärt Haynes.

Die Arbeit von Haynes und seinen Kollegen geht aber über die Bestätigung vorhandener Kenntnisse hinaus. Sie konnten aus der Aktivität im so genannten präfrontalen Kortex ablesen, welche von zwei möglichen Entscheidungen ein Proband getroffen hatte. Und zwar mit einer Trefferquote von 70 Prozent.
Mustererkennung entschlüsselt Erregungen
Der Trick, mit dem sie bisher Unsichtbares sichtbar machten, liegt in der Anwendung einer neuen Methode namens "Multivariante Mustererkennung". Dabei programmiert man einen Computer, charakteristische Aktivierungsmuster im Gehirn zu erkennen, die bei den verschiedenen Absichten auftreten.

Anders als bei herkömmlichen Methoden werden hier also die Messungen aus vielen Gehirnbereichen kombiniert, um die Absicht der Probanden zu entschlüsseln. Dass das so gut funktioniert, hängt mit der Funktionsweise des Gehirns zusammen.

"Die Experimente zeigen, dass Intentionen nicht in einzelnen Nervenzellen gespeichert werden, sondern in einem räumlich verteilten Muster neuronaler Aktivität", so Haynes.
Die Intention "sitzt" vorne
Darüber hinaus zeigen sich regionale Schwerpunkte im Gehirn: Weiter vorne gelegene Bereiche bearbeiten die Intention bis zur Ausführung der Aufgabe, weiter hinten gelegene Bereiche werden aktiv, sobald die Probanden zu rechnen beginnen.

"Handlungen, die in einem Bereich des Gehirns als Absicht gespeichert werden, müssen also in einen anderen Bereich des Gehirns kopiert werden, um ausgeführt zu werden", erklärt Haynes.
Blick ins Hirn
 
Bild: Bernstein Center for Computational Neuroscience Berlin

Bild oben: Hirnregionen, aus denen menschliche Absichten quasi ausgelesen werden können. Rechts sind (abstrahierte) Erregungsmuster im Hirn dargestellt. Sie unterschieden sich, je nachdem, ob ein Proband eine Addition oder eine Subtraktion vorbereitet.

Links sind konkrete Hirnbereiche angezeigt: Aus den Erregungen in den grün markierten Regionen kann man auf verborgene Absichten der Probanden schließen, noch bevor sie ausgeführt werden. Aus den rot markierten Regionen können die Absichten ausgelesen werden, wenn sie der Proband bereits in die Tat umsetzt.
Ziel: Neue Interfaces für Gelähmte
Diese Ergebnisse lassen auch auf eine Verbesserung klinischer und technischer Anwendungen hoffen. Schon heute gibt es erste Ansätze, mit computergestützten Prothesen oder Brain-Computer-Interfaces schwerstgelähmten Patienten das Leben zu erleichtern.

Sie konzentrieren sich aber vornehmlich darauf, Bewegungen zu entschlüsseln, die das Gehirn des Patienten plant, der Patient aber nicht mehr ausführen kann. Allein durch die Kraft ihrer Gedanken können Patienten so künstliche Gliedmaßen oder einen Computercursor auf dem Bildschirm bewegen.

Die Ergebnisse dieser Studie eröffnen nun die Perspektive, zukünftig auch abstraktere Absichten der Patienten einzubeziehen. Wie etwa: "den blauen Ordner öffnen" oder "Email beantworten".

[science.ORF.at/MPG, 8.2.07]
->   John-Dylan Haynes
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01.01.2010