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Soziologin: Globalisierung bringt "Frauenfrühling"  
  Die Frage der Gerechtigkeit zwischen Männern und Frauen wird bei der Diskussion über die Globalisierung zumeist ausgespart. Dabei lassen einige Trends vermuten, dass die Transformationsprozesse Frauen auf globaler Ebene den Rücken stärken können. Eine deutsche Soziologin meint sogar, dass sich ein "Frauenfrühling" ankündige.  
Damit bezieht sich Ilse Lenz von der Ruhr-Universität Bochum allerdings erst einmal nur auf einen "Auftakt zur Partizipation" und einen ersten Bewusstseinswandel, der besonders durch die Einbindung der Frauen in die Politik erfolgt.

Von einer Feminisierung der Politik oder Geschlechtergleichheit sei noch lange nicht zu sprechen. Eine sehr widersprüchliche Modernisierung von Ungleichheit konstatiert sie in den Bereichen Bildung und Erwerbstätigkeit.
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Der Artikel "Geschlechtergleichheit und Globalisierung: 'Frauenfrühling' oder modernisierte Ungleichheit?" von Ilse Lenz ist in der Universitätszeitung "Rubin" erschienen. Ein Fachartikel zum Thema "Globalization, Gender, and Work: Perspectives on Global Regulation" der Soziologin wurde in dem Fachjournal "Review of Policy Research" (Bd. 20, Nr. 1, S. 21, 2003) veröffentlicht.
->   "Rubin" - Artikel zum Download (PDF)
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Neuververortung von Mann und Frau
Was trägt die - so oft zitierte und wenig präzisierte - Globalisierung zur Geschlechtergleichheit bei? Eine Grundüberlegung aus feministischer Forschungssicht ist dabei: Die weltumspannenden Veränderungen treffen Frauen sehr spezifisch, allerdings nicht nur als "Folgegeschädigte ökonomischen Raub- und sozialpolitischen Abbaus" - als Oper und Geopferte, wie die österreichischen Politikwissenschaftlerinnen Erna Appelt und Birgit Sauer den geschlechterkritischen Blick auf die Globalisierung zusammenfassen.

Der Globalisierungsprozess diskriminiere nicht automatisch die Frau, "wohl aber wird Geschlecht mobilisiert, und Frauen wie auch Männer werden als ökonomisch und politisch handelnde Subjekte neu verortet" (ÖZP 2001/2, 127-136).
Globalisierte Politikerinnen - ...
Grafik: RUBIN/Ruhr-Universität Bochum
Eine neue Verortung der Frauen hat in den letzten 30 Jahren scheinbar schwerpunktmäßig in der Politik stattgefunden. Weltweit sind mehr Frauen an politischen Entscheidungsprozessen beteiligt, allerdings mit Ausnahme einiger "neuer männlich geprägter 'Biotope' in Osteuropa wie z.B. in Russland, der Ukraine oder Ungarn", berichtet Ilse Lenz, Professorin für Frauen- und Sozialstrukturforschung.

Eine Art Vorbildfunktion fällt dabei den nordeuropäischen Ländern zu: Sie führen mit 40 Prozent den Weg zur Geschlechtergleichheit in den Regierungen an. Nur halb so viele, nämlich 19 Prozent, sind es in Europa (OSZE-Mitglieder). Schlusslicht bilden die arabischen Staaten mit sieben Prozent Frauen mit Sitzen in den Parlamenten.
... nicht mehr als Hoffnungsschimmer
Grafik: RUBIN, Ruhr-Universität Bochum
Der allgemeine Trend verspricht Hoffnung, bietet aber kein Anlass zur Euphorie: Die Frauenbeteiligung an politischen Positionen hat erst in etwa 20 Ländern der derzeitigen 192 UNO-Mitgliedsstaaten die 30-Prozent-Marke erreicht. Die Frauenbeteiligung liegt im globalen Durchschnitt derzeit bei - nach wie vor mageren - 16,5 Prozent.

Im direkten Ländervergleich belegt Platz eins der ostafrikanische Staat Ruanda (48,8 Prozent Frauenbeteiligung), gefolgt von Schweden (45,3) und Norwegen (37,9). Österreich liegt mit 33,9 Prozent auf Platz 12. "Von einer Feminisierung der Parlamente oder gar Geschlechtergleichheit kann also nur in Ausnahmefällen gesprochen werden", so Lenz.

Weibliche Staatsoberhäupter und Regierungschefinnen sind noch seltener: Weltweit gibt es derzeit 15.
Analphabetismus vor allem weiblich
Grafik: RUBIN, Ruhr-Universität Bochum
Unterschiedliche Trends zeichnen die Geschlechterfrage bei der Bildung. In Lateinamerika, Ostasien und Zentralasien besuchen ähnlich viele Mädchen wie Buben die Schule (Mitte der 1990er: 80 bis 90 Prozent). Der Analphabetismus steigt hingegen wieder in Südasien, im subsaharischen Afrika und in Südafrika. Fast zwei Drittel der Analphabeten weltweit sind Frauen bzw. Mädchen.

Die schlechte Bildungssituation in Afrika ist Lenz zufolge eindeutig auf eine Begleiterscheinung der Globalisierung zurückzuführen: Der Internationale Währungsfonds hat vor 20 Jahren u.a. Kürzungen bei Bildungs- und Sozialprogrammen von Ländern der "Dritten Welt" gefordert.

Damit sind in den Ländern die Kosten für die Schulbildung gestiegen, Bildungsverlierer waren besonders die Mädchen.
Weltweit Hochschulzugang problematisch
Das Studium ist sowohl für Frauen wie auch Männern in vielen Ländern nach wie vor problematisch. In Ostasien studieren ein Fünftel aller Frauen - gegenüber einem Viertel aller Männer. In Afrika studiert jede tausendste Frau (drei von 1.000 Männern).

Doch die Geschlechterschere wird beim Hochschulzugang zunehmend kleiner. "In den entwickelten Ländern sowie im (überwiegend islamischen) Westasien und in der Karibik überwog der Frauenanteil sogar leicht", schreibt die deutsche Soziologin.

Dass Akademikerinnen in Asien aber auch in weiten Teilen Afrikas gerne Natur- und Ingenieurswissenschaften studiert haben, ist durchaus bekannt und hängt mit den Berufsaussichten zusammen. "In einigen Ländern Osteuropas und Lateinamerikas sowie den Philippinen sind Naturwissenschaften mit 60 bis 70 Prozent zum Frauenstudium geworden."
->   Wie kommt Geschlechtergerechtigkeit in die Universität? (30.11.01)
Globalisierte Erwerbstätigkeit: Gläserne Decke?
Das Management hingegen liegt nach wie vor fest in männlicher Hand. "Wirtschaftliche Führungspositionen haben als Entscheidungspositionen in der Globalisierung strategische Bedeutung", sagt Lenz.

So sei zwar die Erwerbstätigkeit von Frauen in einigen Regionen der Welt stark gestiegen, doch das hätte nicht prinzipiell die männliche Dominanz im Managementbereich durchbrochen. "Auch die Vorarbeiter/Meister, d.h. die Führungsgruppen vor Ort in der Produktion, sind 'Mannschaften' mit einem globalen durchschnittlichen Männeranteil von mindestens 90 Prozent."

Prekäre und informelle Strukturen sowie Ungleichheit beim Lohnniveau prägen hauptsächlich die Arbeitsbedingungen von Frauen. Zudem falle ihnen im weltweiten Vergleich unvermindert die Rolle der Ernährungs- und Versorgungsverantwortlichen für die Kinder zu.
"Keine 'McDonaldisierung' der Geschlechterrollen"
"Das soziale Gesicht der Globalisierung wird davon abhängen, ob in ihrer politischen Gestaltung eine (geschlechter-)gerechte Rahmenordnung für die Gestaltung der Wirtschaft eingerichtet werden kann, die internationalen Ausgleich und Konsens ermöglicht", so lautet ein Fazit der Soziologin Lenz.

Aufbauend auf die UNO-Dekaden der Frau (Verabschiedung auf der Weltkonferenz der Frau 1975) und den EU-Vertrag von Amsterdam 1997 hätte sich ein "internationales Genderregime" ausgebildet. D

ie Geschlechtergleichheit in der Globalisierung sei dabei eine anerkannte Norm geworden, die auch in der internationalen Politik über Regeln verankert werden konnte.
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Zehn Jahre: Vertrag von Amsterdam der EU
Seit 1997 ist das Prinzip der Geschlechtergleichheit in der EU als Leitbild verankert: Im Vertrag von Amsterdam verpflichteten sich die Mitgliedsstaaten der europäischen Gemeinschaft u.a. zum Konzept des "Gender Mainstreaming", also zur Berücksichtigung von geschlechtsspezifischen Folgen bei allen Gesetzesvorhaben.
->   Rechtliche Rahmenbedingungen (BMGF)
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"Keine 'McDonaldisierung' der Geschlechterrollen"
Das von der UNO und EU entwickelte internationale Genderregime wird aber nicht einfach als Blaupause auf nationale oder regionale Ebenen übertragen.

Es komme auch nicht zu einer "McDonaldisierung der Geschlechterrollen im Sinne einer unveränderten Übernahme westlicher Vorbilder", so Lenz.

Der direkte Vergleich zwischen den Ländern zeigt: Nationale Gestaltungen der internationalen Normen zur Geschlechtergleichheit sind sehr unterschiedlich ausgefallen. Was die Globalisierung den Frauen zukünftig noch bringen wird, sei daher unklar.

Lena Yadlapalli, science.ORF.at, 9.2.07
->   Ilse Lenz - Ruhr-Universität Bochum
->   Liste Regierungschefinnen - Wikipedia
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01.01.2010