News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 
Studie: Alle 24 Sekunden ein Gag bei Comedys  
  Während früher Charleys Tante, die Löwinger-Bühne und Kottan für Heiterkeit sorgten, hat sich spätestens seit dem Aufkommen des Privatfernsehens die Quantität und Qualität des Humors geändert. "Comedy" heißt das US-inspirierte Schlagwort, das seit einigen Jahren zum Lachen im TV einlädt.  
Ein neues Buch untersucht das boomende Phänomen und hat u.a. herausgefunden, dass in Comedys durchschnittlich alle 24 Sekunden ein Gag platziert ist.

Ob sie auch immer ankommen und welche gesellschaftliche Funktion den Berufshumoristen von heute zukommt, hat die Medienwissenschaftlerin Karin Knop vom Institut für Angewandte Medienforschung (IfAM) der Universität Lüneburg untersucht.
...
Das Buch "Comedy in Serie" ist im Transcript-Verlag erschienen (Jänner 2007).
->   Das Buch im Transcript-Verlag
...
Humor: Herabwürdigung, Triebabfuhr ...

Am Anfang von Knops mit akademischem Ernst geschriebener Arbeit, die dank zahlreicher Beispiele aber zum Teil dennoch lustig zu lesen ist, steht die Frage, was das überhaupt ist - Humor und Komik.

Schon Aristoteles und Platon haben sich damit beschäftigt und tendenziell das Verlachen betont, als Ergebnis eines Humors, der auf der Herabwürdigung anderer Personen beruht.

Mit Freud lässt sich die triebenergetische Bedeutung des Phänomens betonen: Witze erlauben in der klassischen Logik der Psychoanalyse die Abfuhr unbewusster aggressiver oder sexueller Triebe in einer Form, die sozial verträglich ist.
... und Brechung kommunikativer Erwartungen
Eine Tradition von Humorverständnis, die bis zu Kant und Schopenhauer zurückgeht, konzentrierte sich laut Knop auf die kognitive Komponente von Humor: Witze brechen demzufolge kommunikative Erwartungen, indem sie Gedanken, Ideen oder Situation in überraschender Weise kombinieren.

Bei Sprachwitzen beruht dies auf der Vieldeutigkeit von Worten. Knop bezeichnet diese "Inkongruenz" als "Basismerkmal der Komik".
Themen: Sex, Konflikte und Beruf
In dem empirischen Teil ihrer Studie untersuchte Knop das Angebot an Comedy-Sendungen in acht deutschen TV-Anstalten innerhalb einer Woche.

Ganz oben auf der Liste der Humorthemen stehen - wie zur Illustration der Thesen Freuds - Sexualität (22 Prozent), Partnerschaftskonflikte (13 Prozent) und Beruf (12,6 Prozent). Weit hinten im Ranking befinden sich Zeitgeschehen (2,9 Prozent) und Gesellschaftskritik (1,3 Prozent).

"Die gesellschaftskritische, umwälzerische und erzieherische Funktion der Satire hat verglichen mit der Fernsehsatire zwischen 1960 und 1980 offenbar an Bedeutung verloren", schreibt Knop.
Zielscheiben: Politiker, Prominente, Ausländer
Auch wer die beliebtesten Zielscheiben humoristischer Attacken sind, hat Knop ermittelt: Hier liegen Prominente mit 27,2 Prozent voran, gefolgt von Politikern mit knapp 23 Prozent und Ausländern (16 Prozent).

"Tabubrüche" finden also statt, allerdings in begrenztem Rahmen: Im Untersuchungszeitraum wurden keine Witze auf Kosten von Behinderten notiert, auch Unfallopfer (0,7 Prozent) und Kranke (3,5 Prozent) kamen glimpflich davon.
Frauen kommen gar nicht so schlecht weg
Was das Verhältnis von Männern und Frauen betrifft, kam Knop auf ein "erfreuliches und möglicherweise überraschendes Ergebnis".

In 56 Prozent aller Fälle nämlich sind es Männer, über die gelacht werden darf, was deutsche Comedys aber nicht automatisch von Frauenfeindlichkeit freispricht: Männer treten ungefähr im gleichen Maßstab häufiger auf als Frauen und sind insofern auch öfter Zielscheiben des Humors.
Alle 24 Sekunden ein Gag
Die Pointen werden laut der Untersuchung zu zwei Drittel verbal erzeugt, durch den Dialog der Beteiligten, und nur zu einem Drittel durch visuelle Humortechniken.

Die Humorfrequenz ist beachtlich: Durchschnittlich alle 24 Sekunden haben die Medienforscher einen Gag ausmachen können.

Noch häufiger sind nur noch die - bei Zusehern sehr unbeliebten - "Konservenlacher" in den Serien, die sich alle 16 Sekunden wiederholen. Im Vergleich dazu ist ein reales Lachen alle 33 Sekunden, das bei Shows mit Publikum konstatiert wurde, geradezu eine Seltenheit.
Schmidt und Raab "selbstreferenziell"
Da Knop die Aussagen über alle - insgesamt übrigens 36 - Sendungen zu allgemein erschien, untersuchte sie zwei Formate besonders ausführlich: die Harald Schmidt Show und TV Total von Stefan Raab. Dabei hat sie eine Reihe von Gemeinsamkeiten und Unterschieden festgestellt.

Gemeinsame Hauptstrategie der Humorproduktion sind "selbstreferenzielle Bezüge": Schmidt wie Raab verwenden in erster Linie Material aus anderen Medien, das aus seinem ursprünglichen Rahmen entnommen und "neu kontextualisiert" wird.

Der Unterschied: Schmidt, dessen Sendung als "Synthese zwischen Bildung und guter Unterhaltung" gilt, verweist dabei viel mehr auf hochkulturelle Meldungen aus Printmedien, Raab spielt in seiner Sendung zumeist populärkulturelle Videoclips aus anderen TV-Sendungen ein.
Höflich vs. brutal
In Sachen Tabubrüchen stehen sich die beiden um nichts nach, die Art und Weise sei aber sehr unterschiedlich: Während Schmidt z.B. seinen Talkgästen sehr höflich begegnet und sie per Doppeldeutigkeiten auf den Arm nimmt, geht Raab ungleich direkter und brutaler vor.

Generell sei für die Dekodierung der Scherze Schmidts ein größeres Vor- und Hintergrundwissen nötig. Aber Gottseidank: "Innerhalb seiner Doppel- und Trippelchiffrierungen ... ist auch stets die Lesart mit weniger Konnotationsaufwand gegeben."
Überschreitung von Normen ...
In ihrem dritten und letzten Schritt untersuchte Knop die Einstellung der Rezipienten und Fans von Schmidt und Raab und verglich sie mit den öffentlichen Bildern, die von den beiden bestehen.

Schmidt wird v.a. als "intelligent, schlagfertig und intellektuell" wahrgenommen, was auch seinem Image entspricht. Raab als "locker, frech und schlagfertig", die ihm von der Rezension zugeschriebene Aggressivität bemerken seine Fans hingegen nicht.
... als gesellschaftliche Aufgabe
Die Komik von Schmidt wird von einer Mehrheit als "aktuell, politisch und intelligent" charakterisiert, "aggressiv, frauen- und ausländerfeindlich sowie unanständig" erscheinen seine Witze nicht. Im Gegensatz dazu gelten die meisten Pointen von Raab als "verletzend, tabubrechend und bissig".

Insgesamt, so konstatiert Knop, spiegeln TV-Comedys den alten Streit um Hoch- und Populärkultur wider. Comedians seien Stellvertreter ihrer Fans, die durch ihre Tabubrüche und Normüberschreitungen Aggressionen in sozial verträglicher Form auslebbar machen.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 12.2.07
->   Institut für Angewandte Medienforschung, Universität Lüneburg
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Humor wirkt geschlechtsspezifisch (8.11.05)
->   Der lustigste Witz der Welt (4.10.2002)
->   Wenn das Gehirn lacht (26.2.2001)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010