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Heftige Debatte über angebliche Mussolini-Tagebücher  
  Italien diskutiert lebhaft über die Echtheit eines angeblichen Tagebuchs des faschistischen Diktators Benito Mussolini (1883-1945).  
Es handelt sich um Aufzeichnungen aus den Jahren 1935-1939, die der italienische Senator Marcello Dell'Utri Eigenangaben zufolge vom Sohn eines Widerstandskämpfers erhalten hat, der bei der Festnahme Mussolinis dabei gewesen sein soll.
Forza-Italia-Abgeordneter überzeugt
Dell'Utri, Parlamentarier der Oppositionspartei Forza Italia, zeigte sich überzeugt, dass das Tagebuch echt sei. "Die Tagebücher befinden sich bei einem Notar in Bellinzona. Der Widerstandskämpfer, der sie besaß, wollte nicht, dass sein Name bekannt gegeben wurde", sagte Dell'Utri im Interview mit der Turiner Tageszeitung "La Stampa" am Montag.
->   Artikel in "La Stampa" (italienisch)
Gegen den Krieg Deutschlands?
In dem angeblichen Tagebuch habe Mussolini Vorbehalte gegen den von den Deutschen begonnenen Zweiten Weltkrieg geäußert, hieß es. Ein Experte habe die Echtheit der Tagebücher bestätigt, sagte Dell'Utri, der ein enger Freund des ehemaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi ist.

Sie würden bald veröffentlicht. Es handle sich um fünf Tagebücher, in denen sich Mussolini klar gegen den Krieg ausspricht. "Wir können nicht zu Waffen greifen, die wir nicht haben", schrieb demnach der Diktator.
Auch Enkelin überzeugt
"Ich habe keine Zweifel, dass sie echt sind", sagte Alessandra Mussolini, die Enkelin des Diktators und Abgeordnete im Europaparlament. Sie sagte, sie werde für die Veröffentlichung der Tagebücher Grünes Licht geben.

"Dank dieser Tagebücher werden wir ein klareres Bild über die Umstände haben, die Italien in den Krieg gegen Deutschland geführt haben", sagte die Europa-Parlamentarierin.
Historiker sind uneins
Der Mussolini-Historiker, Francesco Perfetti, forderte genaue wissenschaftliche Untersuchungen, um die Echtheit der Tagebücher zu bezeugen. Er schloss nicht aus, dass die Tagebücher echt seien.

"Ich bin sicher, dass es die Tagebücher noch gibt. Es wundert mich nicht, dass Mussolini 1939 nicht in den Krieg gegen die Deutschen ziehen wollte. Ganz Italien wollte keinen neuen Krieg beginnen", so Perfetti.

Sein Kollege Giovanni Sabbatucci äußerte dagegen Zweifel über die Authentizität der Tagesbücher. "Warum sollte ein Privater so lange warten, um derart wertvolle Tagebücher zu zeigen?", sagte der Historiker. Er warnte, dass bereits öfters in den vergangenen Jahrzehnten angebliche Tagebücher Mussolinis aufgetaucht waren, die sich als unecht erwiesen hatten.
Erinnerungen an "Hitler-Tagebücher"
1994 hatte ein Geschäftsmann in Italien angebliche Tagebücher Mussolinis gefunden. Den angeblichen Tagebüchern zufolge habe Mussolini Adolf Hitler verachtet und gefürchtet und versucht, ihn zu bremsen.

Der italienische Diktator habe unter Depressionen gelitten und sich einsam gefühlt. Die Echtheit des Tagebuchs konnte nicht bezeugt werden.

Eine Serie von angeblichen Hitler-Tagebüchern hatte sich außerdem nach der Veröffentlichung 1983 als Fälschung herausgestellt.
Echte Tagebücher im Vatikan?
Der den Neofaschisten nahe stehende Historiker Giorgio Pisano will über glaubhafte Informationen verfügen, dass die echten Mussolini-Tagebücher kurz vor Kriegsende von Diplomaten der japanischen Botschaft in Salo, der Hauptstadt der faschistischen "Sozialrepublik", in die Schweiz geschmuggelt worden seien und sich jetzt im vatikanischen Archiv in Verwahrung befänden.

[science.ORF.at/APA, 12.2.07]
->   Francesco Perfetti
->   Giovanni Sabbatucci
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01.01.2010