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Schimpansen-Steinzeit ist 4.300 Jahr alt  
  Menschenaffen haben bereits vor 4.300 Jahren Steinwerkzeuge benutzt - und zwar zum Nüsseknacken. Das schließen Forscher aus der Untersuchung einer Art Schimpansen-Werkstatt in einem westafrikanischen Nationalpark.  
Die dabei verwendete Technik ist offenbar seit mehr als 200 Generationen an die Nachkommen weitergegeben worden, berichtet ein Team um Julio Mercader von der University of Calgary. Bisher ging man davon aus, dass Traditionsbildung über derart lange Zeiträume dem Menschen vorbehalten sei.
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"4,300-Year-old chimpanzee sites and the origins of percussive stone technology" von J. Mercader et al. erscheint demnächst auf der Website der "Proceedings of the National Academy of Sciences".
->   Studie (sobald online)
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Primaten-Archäologie
"Die Archäologie interessiert sich ausschließlich für den Menschen und umfasst einen Zeitabschnitt, der von den ersten Steinwerkzeugen vor etwa 2,5 Millionen Jahren bis hin zur Neuzeit reicht." Diesem Satz aus der Online-Enzyklopädie Wikipedia würde Julio Mercader vermutlich nicht so ohne weiteres zustimmen.

Der Anthropologe von der University of Calgary forscht zwar mit archäologischen Methoden, allerdings bei Schimpansen. Die Primaten-Archäologie ist sehr jung, der breiten Öffentlichkeit ist sie erst seit dem Jahr 2002 bekannt, als Mercader in der Zeitschrift "Science" (296, 1452) von der Entdeckung einer urzeitlichen Nussknacker-Werkstatt berichtete.

Im Tai Nationalpark, im Südwesten der Elfenbeinküste, hatte Mercader damals dutzende Kilogramm Nussschalen und Steine ausgegraben, die sich als Überreste eines regen und systematischen Werkzeuggebrauchs entpuppten.
Tolle Tricks im Tierreich
Dass neben dem Menschen auch Tiere Werkzeuge benutzen, weiß man schon seit dem 19. Jahrhundert. Die ersten wissenschaftlichen Berichte darüber stammen von den beiden Amerikanern Thomas Savage und Jeffries Wyman, denen wir im Übrigen auch den Gattungsnamen "Gorilla" verdanken.

Was damals noch als Kuriosität in der Fachliteratur vermerkt wurde, gilt heute beinahe als Normalität im Tierreich. Schmutzgeier beispielsweise schleudern Steine auf die derbe Schale von Straußeneiern, um an ihr nahrhaftes Inneres zu gelangen. Meerotter wiederum öffnen Muscheln und Seeigel mit folgendem Trick: Sie legen sich, auf dem Rücken im Wasser treibend, Steine auf die Brust und verwenden diese als Amboss.

Noch kreativer sind manche Laubenvögel: Sie verwenden faserige Borkenstücke und Fruchtsaft gleichsam als Pinsel und Farbe und bemalen damit ihre Balzlauben. Das macht offenbar Eindruck beim anderen Geschlecht.
Schule des Nüsseknackens
Ähnliches kennt man freilich auch von Schimpansen: Auf der Liste ihrer Erfindungen stehen etwa der Zahnstocher, die (Termiten-)Angel, der Schlagstock und der Schwamm als Wasserreservoir. Doch der Werkzeuggebrauch der Schimpansen ist insofern einzigartig, als damit noch etwas anderes verbunden ist.

Sie erfinden nämlich nicht nur Kulturtechniken, sie geben sie auch aktiv an ihre Artgenossen weiter und begründen damit etwas, das man als kulturelle Tradition bezeichnen kann. Im Fall der Hammer-Amboss-Technik, mit der die Tiere Nüsse öffnen, ist das mit gehörigem Aufwand verbunden. Jungtiere brauchen oft mehrere Jahre, bis sie die Übung richtig beherrschen, und sie lernen das nicht nur durch Nachahmung.

"Wir haben beobachtet, dass die Mütter oft korrigierend eingreifen, wenn die Kinder erfolglos versuchen, Nüsse zu öffnen", berichtet Hedwige Boesch vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, die die Schimpansen im Tai Nationalpark seit dem Jahr 1979 untersucht.
Indizien sprechen für tierischen Ursprung
 
Bild: Gerald Newlands

Wie ihr Mann, Christophe Boesch, nun gemeinsam mit Julio Mercader herausgefunden hat, sind die Fundstücke in der westafrikanischen Nussknacker-Werkstatt 4.300 Jahre alt (Bild oben). Das bedeutet, dass die Technik in diesem Gebiet seit mehr als 200 Generationen gelehrt bzw. gelernt wird.

Da die steinernen Hämmer und Ambosse in der Grabungsstelle im Prinzip auch von Homo sapiens stammen könnten, gibt es keinen endgültigen Beweis für diese Vermutung. Aber alle Indizien sprechen dafür. Erstens wurde der Mensch in dieser Gegend erst vor 2.300 Jahren sesshaft, zweitens sind die Werkzeuge größer und schwerer, als man es von Grabungen in menschlichen Siedlungen kennt.

Und drittens haben sich in den Ritzen der Steine Stärkekörner von Nüssen abgelagert, die auch heute noch auf dem Speiseplan der Schimpansen stehen.
Technik seit Jahrmillionen verbreitet?
Völlig offen ist indes, wie und wann die Nussknacktechnik entstanden ist. Im Prinzip gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder entwickelten Schimpansen die Technik unabhängig vom Menschen - oder aber sie war bereits ihrem letzten gemeinsamen Vorfahren bekannt.

Mercader und seine Kollegen liebäugeln in ihrer Studie überraschenderweise mit der zweiten Möglichkeit. Das würde im Umkehrschluss bedeuten, dass die Hammer-Amboss-Technik fünf bis zehn Millionen Jahre alt ist. Aber das ist, wie Hedwige Boesch betont, "nur eine Hypothese".

Robert Czepel, science.ORF.at, 13.2.07
->   Julio Mercader
->   Christophe Boesch
->   Wild Chimpanzee Foundation
->   Schimpansen - Wikipedia
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01.01.2010