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Physiker beobachten Lebenslauf von Photonen  
  Photonen sind die empfindlichsten Geschöpfe in der Quantenwelt. Rückt man ihnen durch physikalische Messungen zu nahe, verschwinden sie einfach von der Bildfläche. Französische Forscher haben nun Photonen derart manipuliert, dass sie an ein und demselben Lichtteilchen gleich Hunderte Messungen vornehmen konnten.  
Mit Hilfe dieser sanften Messmethode habe man den Werdegang der Photonen von der Geburt bis zu ihrem Tod verfolgt, berichtet ein Team um Serge Haroche vom Laboratoire Kastler Brossel in Paris.
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"Quantum jumps of light recording the birth and death of a photon in a cavity" von Sebastien Gleyzes et al. ist in "Nature" erschienen (Bd. 446, S. 297; doi: 10.1038/nature05589).
->   Abstract
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Messungen: Mehr ist besser
Eine Messung ist keine Messung, lautet die Maxime der Laborwissenschaft. Ein Messergebnis ist nur dann verlässlich, wenn es viele Male wiederholt wurde. Denn nur so kann man den Einfluss des Zufalls klein halten und den Kern der Sache herausschälen.

Das mag in der makroskopischen Welt, in der wir es etwa mit Planeten, Versuchstieren und Nervenzellen zu tun haben, kein Problem sein. Ganz einfach deshalb, weil Planeten, Tiere und Zellen meist nach der Messung noch immer so sind, wie sie vorher waren.
Der störende Beobachter
In der Quantenwelt ist das hingegen anders. Hier verändert jede Messung den Zustand des Untersuchungsobjekts, sodass man danach nicht einfach zur Tagesordnung übergehen kann. Mehr noch: Gewisse Eigenschaften werden überhaupt erst dadurch Realität, weil sie via Messung bestimmt wurden.

Elektronen bewegen sich beispielsweise mit rasender Geschwindigkeit um den Atomkern, sie tun das jedoch nicht wie Fußbälle, die durch die Luft fliegen. Vielmehr besteht für jedes Elektron lediglich eine gewisse Wahrscheinlichkeit, es an verschiedenen Orten anzutreffen. Der Ort ist nicht klar festgelegt, er ähnelt eher einer Wolke denn einem Punkt.

Stellt nun ein Physiker fest, wo sich genau das Elektron befindet, macht er zugleich die vorher gegebene Wolke zunichte.
Mimosenhafte Photonen
Noch schlimmer als die Elektronen sind die Photonen. Lichtmessungen werden üblicherweise mit Photodetektoren vorgenommen, die die Energie des Photons absorbieren. Dadurch wird es zerstört. Nach der Messung existiert es schlichtweg nicht mehr.

Sind also mehrfache Messungen an Lichtteilchen unmöglich? Bis vor kurzem hätte man diese Frage vermutlich mit "Ja" beantwortet, doch nun berichtet eine Forschergruppe um den Franzosen Serge Haroche von einer Serie "nicht destruktiver Messungen", wie das im Physiker-Jargon heißt.
Kurzzeitgefängnis für Lichtteilchen
 
Bild: Michel Brune

Um dem Photon seine Eigenschaften abzulauschen, müssen freilich einige Hürden überwunden werden. Eine besteht darin, dass man dem Teilchen schwer auf seinem Weg durch Raum und Zeit folgen kann. Man muss es also irgendwie fixieren - je länger, desto besser.

Das taten Haroche und seine Kollegen, indem sie das Photon in eine 2,7 Zentimeter große Box sperrten, deren Wände mit ultra-reflektierenden, supraleitenden Spiegeln ausgekleidet waren (Bild oben). In diesem Gefängnis verharrte das Lichteilchen im Schnitt 0,13 Sekunden.

Das mag nach nicht viel klingen, aber angesichts der natürlichen Reisegeschwindigkeit des Photons ist das eine ganze Menge. Zum Vergleich: Freie Photonen legen im selben Zeitraum etwa ein Zehntel der Distanz zwischen Erde und Mond zurück.
"Durchsichtige" Detektoren
Zweitens mussten die französischen Physiker einen "transparenten" Ersatz für die handelsüblichen Photodetektoren finden. Als solcher dienten ihnen angeregte Rubidium-Atome, die sie durch das Photonen-Gefängnis strömen ließen.

Die Idee dahinter: Nachdem Licht eine elektromagnetische Welle ist, beeinflusst das elektrische Feld des Photons den Energiezustand der Rubidium-Atome, ohne dass letztere direkt Energie aufnehmen. In gewisser Hinsicht führt jedes Rubidium-Atom seine eigene Uhr mit sich, da sich die Elektronen mit einer fest bestimmten Geschwindigkeit um den Atomkern bewegen.

Die Wechselwirkung mit dem elektrischen Feld des Photons führt nun zu einer geringfügigen Verzögerung im atomaren Takt, die man via Vergleich mit unbeeinflussten Rubidium-Atomen messen kann.
Neuer Ansatz für Quantencomputer?
Auf diese Weise bestimmten Haroche und Kollegen die Amplitude des Photonenfeldes. Allerdings um den Preis, dass jede Information über den Phasengang des Feldes zerstört wurde. Ganz so, wie das die berühmte Heisenbergsche Unschärferelation fordert. Wie der deutsche Quantenphysiker Ferdinand Schmidt-Kaler in einem begleitenden Kommentar schreibt, könnte diese Technik auch bei Quantencomputern zur Anwendung kommen (Nature 446, 275).

Während die kleinsten logischen Einheiten in handelsüblichen Computern aus Ja oder Nein-Signalen, so genannten bits, bestehen, sollen Quantencomputer dereinst mit "qubits" arbeiten. Letztere unterschieden sich von ihren klassischen Vorbildern vor allem dadurch, dass sie auch den Graubereich zwischen Ja und Nein abdecken. Sie sind, wie so vieles in der Quantenwelt, notorisch unscharf.

Schmidt-Kaler weist darauf hin, dass man das Experiment durchaus in die Sprache der Quanteninformatiker übersetzen kann. Tut man das, dann lautet seine Grundaussage in etwa so: "Man kann einen Strom von atomaren qubits vollständig durch den Zustand eines gefangenen Atoms manipulieren." Für die Quantencomputation, die sich gegenwärtig noch in der technologischen Embryonalphase befindet, ist das kein geringer Fortschritt.

[science.ORF.at, 15.3.07]
->   Serge Haroche - Laboratoire Kastler Brossel
->   Photon - Wikipedia
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01.01.2010