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Holzqualität: Wenn sich Geigenbauer irren  
  Für den Wohlklang einer Geige ist nicht nur ihr Spieler entscheidend, sondern auch das Material, aus dem sie gebaut wurde. Um das beste Holz auszuwählen, verlassen sich Geigenbauer in erster Linie auf ihre Augen und ihr Gefühl - was nicht zu optimalen Ergebnissen führt, wie nun Wiener Materialforscher herausgefunden haben.  
"Es ist schwierig, die akustischen und mechanischen Eigenschaften von Holz direkt ohne Hilfsmittel, nur mit unseren Sinnen abzuschätzen", fasst Christoph Buksnowitz von der Universität für Bodenkultur in Wien die Resultate einer von ihm geleiteten Studie zusammen.

"Die Geigenbauer scheinen ein Stück Holz zu suchen, das einem bereits erfolgreich zu einem guten Instrument verbauten Klangholz ähnelt. Dieser Fokus auf das optische Erscheinungsbild führt nicht immer zur Auswahl des am besten klingenden Holzes", meint er gegenüber science.ORF.at.
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Die Studie "Resonance wood [Picea abies (L.) Karst.] - evaluation and prediction of violin makers' quality-grading" ist im "Journal of the Acoustical Society of America" erschienen (Bd. 121, S. 2384; April 2007).
->   Abstract der Studie
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Traditionelles Betrachten und Befühlen
Seit Jahrhunderten verlassen sich Geigenbauer bei der Auswahl ihres Rohstoffes vor allem auf ihr Gefühl: Sie betrachten das Holz genau, klopfen es ab, fühlen mit ihren Fingerkuppen an der Oberfläche. Danach entscheiden sie, welches sie verwenden.

An und für sich ist diese Tradition angewandter Haptik und Optik keine schlechte: Denn die visuellen Eigenschaften entsprechen durchaus mechanischen Qualitäten, die für den Klang entscheidend sind.

"Die mit freiem Auge erkennbaren Merkmale der Holzstruktur wie zum Beispiel die Jahrringbreiten oder der Anteil des Spätholzes ermöglichen Rückschlüsse auf die mechanischen Eigenschaften des Holzes, z.B. Elastizität und Festigkeit. Diese wiederum bestimmen maßgeblich die akustischen Materialeigenschaften, z.B. Schallgeschwindigkeit und Resonanzfrequenz, und somit die 'Leistungsfähigkeit' im fertigen Instrument", erklärt Christoph Buksnowitz.
84 Holzproben für 14 bekannte Geigenbauer
Um zu überprüfen, wie gut die Geigenbauer tatsächlich in der Lage sind, die Qualität von Klangholz zu erkennen, stellte das Forscherteam zuerst 84 Fichten-Klangholzproben (Picea abies) aus mehreren Alpenregionen zusammen.

Aus diesen Geigendecken-Rohlingen wurden Holzbretter mit rund 40 Zentimeter Länge, 15 Zentimeter Breite und 16 Millimeter Dicke gefertigt.

Mit diesen Klangholzproben konfrontierten die Wissenschaftler dann 14 renommierte österreichische Geigenbauer. "Die Aufgeschlossenen unter ihnen haben gleich zugesagt, sie wollten von der Zusammenarbeit mit einer wissenschaftlichen Institution profitieren", erinnert sich Christoph Buksnowitz.
Vergleich mit Laborwerten
Die Geigenbauer gaben drei Urteile ab: über die akustischen und optischen Eigenschaften des Holzes sowie über den Gesamteindruck des Klangholzes.

Diese Urteile wurden dann den Ergebnissen umfangreicher Materialanalysen im Labor gegenübergestellt. Die Forscher untersuchten eine Reihe von holzanatomischen, optischen, mechanischen und akustischen Parametern: von der Nanostruktur der Holzzellwand über die Biegefestigkeit bis zum Dämpfungsverhalten des Holzes.

Mittels eines statistischen Computermodells wurde weiters die Nachvollziehbarkeit der Entscheidung der Geigenbauer untersucht.
Schlechte Einschätzung der Akustikqualität
Das Ergebnis des Vergleichs von subjektiven Eindrücken und objektiven Messergebnissen war eindeutig. Die Geigenbauer wählten in hohem Maß nicht jenes Holz aus, das über die besten Klangeigenschaften verfügte.

Die Entscheidungen der Geigenbauer hinsichtlich der akustischen Qualität waren mit den Messwerten also nicht nachvollziehbar. Hingegen zeigte sich das Urteil der Geigenbauer, was die optischen Eigenschaften des Holzes betrifft, als gut vorhersehbar.
Fertigung wichtiger als Materialauswahl
Mit seiner Arbeit möchte Christoph Buksnowitz nicht die Leistung der Geigenbauer verunglimpfen, wie er betont: "Es ist die Neugier, die uns Wissenschaftler dazu veranlasst, nach Erklärungen zu suchen. Es bedarf aber noch immer des Talents des Geigenbauers, eine 'Meistergeige' zu fertigen."

Die entscheidende Arbeit für die Qualität einer Geige beginne zwar mit der Auswahl des Rohstoffs. Ein erfahrener Geigenbauer reagiert laut Buksnowitz jedoch auf die Besonderheiten des Holzes und kann die Konstruktion des jeweiligen Instrumentes individuell optimieren.

Und somit bleibt spätestens bei der Fertigung die Kunst des Geigenbauers unwiderlegbar gefragt.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 12.4.07
->   Institut für Holzforschung, Boku
->   Wissenswertes über Holz (waldwissen.net)
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01.01.2010