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Mysteriöses Voynich-Manuskript nur ein Scherz?  
  Seit Jahrhunderten versuchen Forscher den Inhalt eines spätmittelalterlichen Schriftstücks, des Voynich-Manuskripts, zu entschlüsseln. Bislang ohne Erfolg. Ein österreichischer Physiker meint nun den Grund dafür gefunden zu haben. Seine These: Bei dem geheimnisvollen Manuskript handle es sich um das Werk eines Scherzboldes, der Text sei eine sinnlose Abfolge von Zeichen.  
Das schließt Andres Schinner von der Universität Linz aufgrund einer statistischen Analyse des Manuskripts. Gewisse Worthäufungen weisen darauf hin, dass es sich dabei weder um eine natürliche Sprache noch um einen verschlüsselten Text handelt.
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"The Voynich Manuscript: Evidence of the Hoax Hypothesis" von Andres Schinner erschien im Fachjournal "Crypotologia" (Bd. 31, S. 91).
->   Crypotologia
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Viele Vermutungen, kaum Fakten
Bild: Wikipedia
Ausschnitt aus dem Voynich-Manuskript
Wenn man etwas über das Voynich-Manuskript mit Bestimmtheit weiß, dann die Tatsache, dass man so gut wie nichts darüber weiß. Weder der Autor des rätselhaften Schriftstückes ist bekannt, noch die Art der darin verwendeten Sprache. Das nach dem US-amerikanischen Antiquar Wilfrid Voynich benannte, ursprünglich 232 Seiten starke Dokument stammt vermutlich aus dem 15. Jahrhundert.

Das schließt man aus den darin befindlichen Abbildungen, die unter anderem Pflanzen, Sternsymbole und menschliche Anatomie darstellen. Physikalische Datierungsversuche wurden bislang nicht vorgenommen, weil der gegenwärtige Besitzer - die Beincke Rare Book & Manuscript Library der Yale University - solche Untersuchungen ablehnt.
Wildwuchs der Hypothesen
Welche Art von Alphabet darin verwendet wird, ist bis heute nicht klar, man geht aber davon aus, dass der Text aus 20 bis 30 verschiedenen Zeichen besteht. In diesem Faktenvakuum erblühten bisher einige sehr kuriose Hypothesen.

Wilfrid Voynich, der das Schriftstück zu Beginn des 20. Jahrhunderts von einem Jesuitenkolleg in Italien erwarb, vermutete etwa, dass der englische Franziskanermönch und Philosoph Roger Bacon der Autor sei.

Der US-amerikanische Philosoph William Newbold entwickelte später die These von der "Schrift in der Schrift", der zufolge nicht die eigentlichen Buchstaben den Inhalt des Texts angeben würden, sondern kleine Unregelmäßigkeiten auf den Buchstaben. Er meinte darin altgriechische Kurzschriftzeichen zu erkennen und nahm ebenfalls an, dass Bacon der Verfasser des mysteriösen Texts sei.

Der Linguist und Kryptoanalytiker John Manly unterzog Newbolds Arbeit später einer vernichtenden Kritik und wies nach, dass dessen Methode eher auf seiner reichhaltigen Phantasie denn auf Fakten beruhte. Gleichwohl bezeichnete auch er den Text als "das geheimnisvollste Manuskript der Welt."
Plansprache oder Unsinn?
Später vermuteten Kryptologen, im Voynich-Manuskript finde sich eine künstliche Plansprache, die gewissermaßen am Reißbrett entworfen wurde. Andere meinten in dem Text zwei verschiedene Sprachstile zu erkennen, womit auch die Autorenschaft einer einzelnen Person in Frage gestellt wurde.

Gordon Rugg von der Keele University dekonstruierte vor einigen Jahren auch diese Ansätze und meinte, das Ganze sei schlichtweg ein Scherz, ein Text ohne Sinn - quasi ein mittelalterlicher Hoax (Cryptologia, Bd. 28, Jan 2004).
Statistik stützt Hoax-Hypothese
Eine neue Analyse von Andres Schinner von der Universität Linz scheint das nun zu bestätigen: Er verglich das Manuskript mit lateinischen, englischen, deutschen und chinesischen Texten und fand heraus, dass ersteres Merkmale rein zufälliger Zeichenfolgen aufweist: "Die statistischen Eigenschaften des Voynich-Manuskripts unterscheiden sich deutlich von natürlichen Sprachen. Sie zeigen einen Verlauf, der eher typisch für einen stochastischen Prozess ist, als für Sprache, die nach semantischen Regeln zusammengesetzt ist", so Schinner gegenüber science.ORF.at.

Auch die Analyse der Verteilung bestimmter Wörter legt nahe, dass im Voynich-Manuskript Wörter und "Sätze" mit anderen Regeln aufgebaut wurden als bei den Vergleichstexten. Das sei zwar kein Beweis für die Vermutung, dass der mittelalterlichen Text bar jeder Bedeutung ist, so Schinner. Aber mit seinen Ergebnissen sei diese These noch am ehesten kompatibel.

Wer sich dereinst diesen Scherz erlaubt hat, kann man bis heute nicht mit Bestimmtheit sagen. Gordon Rugg vermutet, dass es sich bei dem Urheber um den englischen Mathematiker John Dee oder um seinen Landsmann, den Alchemisten Edward Kelley handeln könnte. Letzteres würde jedenfalls gut zur Hoax-Hypothese passen: Kelley war ein Betrüger, der unter anderem behauptete, Gold herstellen zu können.

Robert Czepel, science.ORF.at, 18.4.07
->   Voynich-Manuskript - Wikipedia
->   Beincke Rare Book & Manuscript Library
->   Voynich-Wiki-Lexikon
->   Universität Linz
 
 
 
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01.01.2010