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Quantenphysiker stellen "Realität" in Frage
 
  Seit ihrem Beginn hat die Philosophie darüber nachgedacht, was Wirklichkeit ist. Existieren Dinge auch ohne Betrachter oder bedürfen sie eines erkennenden Subjekts? Während man in der Alltagswelt wohl eher Ersterem zustimmt, wird die Sache in der Quantenwelt noch komplizierter.  
Schon bisher widersprachen viele Phänomene der Quantenphysik dem "Hausverstand". Nun haben Physiker um Markus Aspelmeyer und Anton Zeilinger von der Universität Wien und vom Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der Akademie der Wissenschaften (IQOQI) aber noch einen Gang zugelegt.

Mit neuen Experimenten stellen sie unser Konzept von Realität noch stärker in Frage als bisher.
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Die Studie "An experimental test of non-local realism" ist in "Nature" erschienen (Bd. 446, S. 871, 19. April 2007).
->   Zum Abstract
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Realismus und Lokalität
In der klassischen Physik geht man von zwei Annahmen aus: von einer bestimmten Art von "Realismus" und von "Lokalität". "Realismus" bedeutet in diesem Zusammenhang eine Wirklichkeit unabhängig von der Beobachtung, "Lokalität", dass sich zwei Objekte, die weit genug von einander entfernt sind, nicht unmittelbar beeinflussen können.

Während sich diese beiden Annahmen mit unserer Alltagswelt gut vertragen, stehen ihnen Phänomene der Quantenphysik entgegen: etwa bei der Verschränkung von Teilchen, wie sie von Einstein, Podolsky und Rosen entdeckt wurden ("EPR-Effekt").

Verschränkte Teilchen bleiben über beliebige Distanzen wie durch Zauberhand miteinander verbunden. Verschränkt man beispielsweise zwei Lichtteilchen und bestimmt die Polarisation (Schwingungsebene) des einen Teilchens, kennt man augenblicklich auch den Zustand des anderen Teilchens.
->   EPR-Effekt (Wikipedia)
Auf - mindestens - eine Annahme verzichten
Schon der US-Physiker John Bell zeigte 1964 theoretisch, dass jede physikalische Theorie, die sowohl "Realismus" als auch "Lokalität" verwendet, im Widerspruch zu den Vorhersagen der Quantentheorie steht.

Will man also die Natur unter Einschluss der Quantenphysik beschreiben, muss man laut den "Bell-Experimenten" auf mindestens eine dieser Annahmen verzichten.

Genau darauf versucht die aktuelle "Nature"-Studie von Aspelmeyer und Zeilinger eine neue Antwort zu finden: Es scheint jedenfalls nicht zu genügen, auf die "Lokalität" zu verzichten, wie das viele Physikerkollegen vermuteten. Man müsse sich auch von einigen "realistischen" Eigenschaften verabschieden.
Experimentelle Überprüfung
Die Idee zu den Experimenten der Wiener Forscher stammt vom britischen Physiker und Nobelpreisträger Anthony J. Leggett.

Dieser erkannte, dass gewisse "realistische" Eigenschaften, wie etwa der Spin eines Elektrons oder die Polarisation eines Photons, nicht immer exakt definiert und gleichzeitig mit einem Partnerteilchen über Verschränkung verbunden sein können.

Die Wiener Quantenphysiker formulierten die Theorie Leggetts nun so um, dass sie experimentell getestet werden konnte. Dazu suchten sie nach bestimmten Polarisationsrichtungen, die sich für solche Messungen eignen.
Alles nicht so einfach
 
Bild: IQOQI

Teile der Versuchsanordnung

Die Experimente zeigten verblüffende Ergebnisse. "Es scheint nicht zu gehen, eine fixe Polarisation zu messen und gleichzeitig eine beliebig starke Fernwirkung zu haben", so Aspelmeyer.

Daraus ergibt sich: "Hält man am Konzept der Nicht-Lokalität fest, müssen meine realistischen Annahmen falsch sein", sagte der Physiker.

Die Konsequenz: "So einfach, wie wir es uns vorstellen, ist es nicht, man muss wohl notwendigerweise Einschränkungen an der Realität vornehmen."

Für die Alltagswelt hat dies wohl keine Bedeutung, für die Welt der Physiker eine sehr große: "Da wird in nächster Zeit sicher einiges passieren", so Aspelmeyer, "künftig werden wir wohl genauer sagen müssen, was wir unter Realismus verstehen."
Hoffnung auf technologische Revolution
Dass auch den Quantenpyhsikern mittlerweile die Köpfe rauchen, beweist ein Begleitkommentar zur Studie in "Nature". Alain Aspect von der Pariser Atom Optics Group, der schon in den 80er Jahren den EPR-Effekt experimentell beweisen konntet, schreibt darin:

"Der Schluss, den man daraus zieht, ist eher eine Frage des Geschmacks als der Logik, und man kann argumentieren, dass eine solche Diskussion irrelevant für die Wissenschaft ist. Ich glaube aber eher, dass uns solche Debatten und das aktuelle Experiment erlauben, tiefer in die Geheimnisse der Quantenmechanik zu dringen."

Damit könne eines Tages vielleicht auch der Schritt von der Grundlagenforschung zu einer neuen technologischen Revolution erfolgen.

[science.ORF.at/APA, 18.4.07]
->   IQOQI
->   Quantengruppe, Universität Wien
->   Atom Optics Group, Paris
->   EPR-Paradoxon und Bellsche Ungleichung (Franz Embacher)
Mehr zu den Forschungen der Wiener Physiker:
->   Quantenphysiker peilen Weltall als Labor an (12.3.07)
->   Neuer Rekord in der Quantenkommunikation (12.1.05)
 
 
 
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01.01.2010