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Elektroden im Gehirn lassen Affen "sehen"  
  Forscher haben Affen Elektroden in einem für den Sehsinn zentralen Teils des Gehirns implantiert und damit bei den Tieren eine Reaktion ausgelöst, die der Wahrnehmung visueller Reize gleichkommt. Davon könnten langfristig Menschen profitieren, die nach einer Erkrankung das Augenlicht verloren haben, heißt es in einer aktuellen Studie.  
Die Neurobiologen der Harvard Medical School in Boston konzentrierten sich auf den seitlichen Kniehöcker (Corpus geniculatum laterale), einen Teil des Zwischenhirns, wo der Sehnerv endet und die Informationen an die Sehrinde im Cortex weitergeleitet werden.

Wurde dieser Teil des Gehirns elektrisch stimuliert, zeigten die Affen Augenbewegungen, die der "normalen" Wahrnehmung visueller Reize gleichen.
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Die Studie "Demonstration of artificial visual percepts generated through thalamic microstimulation" von John Pezaris und Clay Reid ist am 23. April 2007 in den "Proceedings of the National Academy of Sciences" (doi:10.1073/pnas.0608563104) erschienen.
->   Abstract der Studie
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Netzhaut und Gehirn
Wenn es um den Wunsch geht, Blinde wieder sehen zu lassen, lässt sich die Forschung in zwei Schwerpunkte unterteilen: Die meiste Energie wurde bisher in Arbeiten an der Netzhaut investiert. Dabei wird versucht, die Retina zu stimulieren bzw. ihre eingeschränkte Funktionstüchtigkeit auszugleichen.

Zum zweiten konzentrieren sich Forscher auf die hinter der Netzhaut liegenden Zentren der Sehreizverarbeitung, vor allem auf die Sehrinde.
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Mit einem Chip wieder sehen können
Um die Probleme durch eine beschädigte Netzhaut ausgleichen zu können, wurde bisher hauptsächlich mit Implantaten gearbeitet. Erst vor kurzem meldeten deutsche Forscher, dass ein Chip, der die Funktion von abgestorbenen Sehzellen übernimmt, grundsätzlich funktioniere. Allerdings könnten die Versuchspersonen bisher nur helle Streifen erkennen, von einer Orientierung im Raum könne noch keine Rede sein. Auch an einem bionischen Auge, das aus Kamera, Minicomputer und einem im Auge implantierten Chip besteht, wird gearbeitet.
->   Forscher entwickeln erstes bionisches Auge (20.2.07)
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Komplexer Cortex
Der Cortex stellte die Forscher bisher vor Probleme: Werden dort Elektroden angebracht und die Nervenzellen elektrisch gereizt, kann kaum vorher gesagt werden, was die Versuchstiere (bisher wurde diese Technik vor allem an Katzen und Affen getestet) wahrnehmen.

Zu komplex ist die Struktur des Cortex, um Reize zielsicher setzen zu können. Außerdem ist dieser Teil des Gehirns schwer zugänglich, Elektroden anzubringen deshalb nicht unproblematisch.
Seitlicher Kniehöcker gut erreichbar und bekannt
John Pezaris und Clay Reid von der Harvard Medical School interessierten sich daher für die zwischen Auge und Gehirn liegende Schaltstelle, den seitlichen Kniehöcker (Corpus geniculatum laterale).

Die Vorteile: Erstens ist dieses Zentrum für die Weitergabe von Sehreizen zentral, zweitens sind die Nervenzellen relativ einfach aufgebaut und in ihrer Funktionsweise gut bekannt und drittens kann der Bereich leicht von außen für Implantate erreicht werden.
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Der Versuch
Ob der seitliche Kniehöcker tatsächlich zur Anregung visueller Eindrücke dienen kann, wurde an Affen überprüft. Sie wurden vor einen Bildschirm gesetzt und lernten, einen Punkt am Schirm zu beobachten.

Nach dem visuellen Training wurden die Elektroden aktiviert - und tatsächlich: Die Augen bewegten sich, als ob wiederum ein Punkt am Bildschirm zu sehen wäre.

Auch die Blickrichtung ließ sich durch die Elektroden steuern: Wurde deren Position leicht verändert, wanderten auch die Augen an eine andere Stelle.
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Schritt am Weg zu "visueller Prothese"
Die Forscher schließen daraus, dass die elektrische Stimulation einen dem visuellen Reiz gleichwertigen Impuls auslösen konnte.

Auch wenn Pezaris und Reid einräumen, dass noch viel Arbeit zu tun wäre: Sie halten den Ansatz, über die Schaltstelle zwischen Netzhaut und Sehzentrum visuelle Eindrücke zu erzeugen und zu steuern, für einen viel versprechenden Schritt auf dem Weg zu einer "Sehprothese".

[science.ORF.at, 24.4.07]
->   Harvard Medical School
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->   Transplantierte Sehzellen machen blinde Mäuse "sehend" (9.11.06)
->   Nano-Tech macht blinde Hamster wieder sehend (15.3.06)
->   Forscher entwickeln Lese-Kamera für Blinde (31.3.05)
 
 
 
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01.01.2010