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Aufrechter Gang: Beginn in den Bäumen?  
  Einer gängigen Theorie zufolge entwickelten die Frühmenschen den aufrechten Gang als Anpassung an das Savannenleben. Britische Forscher präsentieren nun eine alternative Hypothese: Sie meinen, dass die Fortbewegung auf zwei Beinen bereits viel früher entstanden ist - nämlich zu jener Zeit, als die Vorfahren der Menschenaffen noch in den Bäumen lebten.  
Beobachtungen an Orang-Utans scheinen diese Hypothese zu stützen. Wenn sie sich auf dünnen, biegsamen Ästen fortbewegen, tun sie das bevorzugt in aufrechter Haltung, berichtet ein Team um Robin Crompton von der University of Liverpool.
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"Origin of Human Bipedalism As an Adaptation for Locomotion on Flexible Branches" von S.K.S. Thorpe et al. erschien in "Science" (Bd. 316, S. 1328; doi: 10.1126/science.1140799).
->   Abstract
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Homo sapiens erhebt sich
 


Theorien zur Entstehung des aufrechten Ganges gibt es viele. Die prominenteste ist die Savannenhypothese, vielleicht auch deswegen, weil sie so gut zu einer Karikatur passt, die man auf vielen Websites im Internet findet (s.o.). Demzufolge verließen die Vorfahren von Schimpansen, Gorillas und Menschen ihren angestammten Lebensraum, das Astwerk der Bäume, und bewegten sich immer häufiger auf dem Boden fort.

Zunächst recht unbeholfen auf allen vieren, dann etwas elaborierter im so genannten Knöchelgang, von dem auch heute noch Gorillas und Schimpansen Gebrauch machen. Die Frühmenschen schließlich richteten sich vollständig auf und perfektionierten die Fortbewegung auf zwei Beinen, vor allem als Anpassung an das Savannenleben.

Die Vorteile dabei: gute Sicht durch die aufrechte Haltung und zwei freie Hände, die etwa für den Transport von Nahrung genutzt werden konnten. So lautet in etwa die Pop-Version des Savannenmodells.
Widersprüche treten auf
Doch so einfach war es nicht. Zum einen ist die Zweibeinigkeit gar keine exklusive Errungenschaft der Frühmenschen. Bereits vor sieben bis neun Millionen Jahren gab es einen Affen namens Oreopithecus bambolii, der auf zwei Beinen durch die Landschaft spazierte (PNAS 96, 8795).

Und ob die Vorläufer der Gattung Homo, etwa die berühmte "Lucy" oder der etwas ältere "Millenium Man", tatsächlich Savannenbewohner waren, ist ebenfalls nicht sicher. Neuere Funde weisen eher darauf hin, dass Lucy in Waldgebieten und Millenium Man gar auf den Bäumen gelebt hat. Auf zwei Beinen gehen konnten sie trotzdem.
"Keine Trennung von Affen und Menschen"
 
Bild: SKS Thorpe

Solche Widersprüche sind für Robin Crompton kein Problem, seiner Ansicht nach lief die Sache ohnehin ganz anders ab. "Unsere Funde trüben das traditionelle Bild noch weiter", meint der britische Biologe: "Wenn wir Recht haben, dann ist die zweibeinige Fortbewegung kein Merkmal mehr, das Affen und menschenartige Wesen trennt."

Crompton und seine Mitarbeiter beobachteten Orang-Utans im Regenwald von Sumatra und fanden heraus, dass die Menschenaffen recht ausgiebig von der Zweibeintechnik Gebrauch machen. Vornehmlich dann, wenn sie sich auf besonders dünnen und beweglichen Ästen fortbewegen, deren Früchte sie pflücken. Zumeist nehmen sie dabei ihre Hände zur Hilfe und halten sich an höher gelegenen Ästen fest (siehe Video).

Die "handunterstützte Bipedie", wie die Autoren diese Fortbewegungsweise nennen, dient nicht nur der Nahrungssuche, sie eignet sich auch bestens, um von einem Baum zum nächsten zu gelangen. Interessanterweise gehen die Orang-Utans dabei mit mehr oder weniger durchgestreckten Knien - auch Menschen täten das, sofern sie sich auf elastischem Untergrund bewegen, betont Crompton, vermutlich spare man Energie dabei.
Neues Evolutionsmodell
Bild: Paul O¿Higgins & Sarah Elton/Science
Statt der Savannenhypothese bieten die britischen Primatenforscher nun folgendes Szenario an (Bild rechts): Gegen Ende des Miozäns, also vor rund fünf bis zehn Millionen Jahren, habe eine Klimaänderung in Ost- und Zentralafrika den Regenwald ausgedünnt und für eine fleckenartige Vegetation gesorgt, weswegen sich die Ahnen der Gorillas und Schimpansen auf das Klettern in vertikaler Richtung spezialisiert hätten.

Die Vorfahren des Menschen hätten sich hingegen ganz auf dem Boden niedergelassen und ihre - bereits vorhandene - Zweibeinigkeit weiter entwickelt. Damit wird das traditionelle Bild gehörig durcheinander gerüttelt: Der Knöchelgang ist demzufolge keine Vorform unseres aufrechten Ganges, sondern leitet sich wie dieser von einer Urvariante zweibeiniger Fortbewegung ab.

Die Art und Weise, wie sich Gorillas und Schimpansen auf dem Boden fortbewegen, ist deren Kletterbewegungen durchaus ähnlich. Das sei der Grund, schreiben Crompton und Kollegen, warum die beiden Menschenaffen unabhängig den Knöchelgang entwickelt hätten.

Die in Asien lebenden Ahnen der Orang-Utans waren laut diesem Szenario von der im Miozän einsetzenden Klimaänderung nicht betroffen: Sie perfektionierten ihre Fähigkeit, in luftiger Höhe von einem Baum zum nächsten zu wechseln - bei Bedarf durchaus auf zwei Beinen.

Robert Czepel, science.ORF.at, 31.5.07
->   Robin Crompton - University of Liverpool
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01.01.2010