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60. Geburtstag von Peter Sloterdijk  
  Peter Sloterdijk gilt heute als einer der weltweit einflussreichsten Philosophen. Seine "Kritik der zynischen Vernunft" machte ihn Anfang der 1980er Jahre berühmt, am Dienstag feiert er seinen 60. Geburtstag. Der Kulturtheoretiker Hans-Jürgen Heinrichs betont zu diesem Anlass in einem Gastbeitrag den optimistischen Grundton der Werke von Sloterdijk.  
Denker auf der Bühne
Von Hans-Jürgen Heinrichs

Peter Sloterdijk hat von 1968 bis 1974 Philosophie, Geschichte und Germanistik in München und Hamburg studiert und 1976 mit einer Arbeit über die Autobiographie in der Weimarer Republik promoviert.

Er lebte dann als freier Schriftsteller, bevor er 1988 Gastdozent am Lehrstuhl für Poetik an der Frankfurter Goethe-Universität wurde. Seit 1992 lehrt er Philosophie und Ästhetik in Karlsruhe und Wien. Er ist heute auch Rektor der Karlsruher Hochschule für Gestaltung.
Kritik der zynischen Vernunft
Bild: EPA
Peter Sloterdijk
Seine 1983 erschienene "Kritik der zynischen Vernunft" war über Jahre hinweg das Buch, das am besten die intellektuelle Stimmung, die sich verabschiedenden revolutionären Hoffnungen (verbunden mit neuen Aufbruchstimmungen), wiedergab. Es wurde zum meistverkauften philosophischen Buch in Europa.

Sloterdijk beschrieb darin eine gesellschaftliche Stimmung aus Zynismus, Sexismus, Sachlichkeit - und Agonie. Wir seien zwar aufgeklärt, aber eben apathisch. Die Menschen zweifeln daran, so sein Gedanke, in einer sinnvollen Geschichte zu leben und sind misstrauisch gegenüber "Entwürfen" und Visionen.

Aus den von Sloterdijk vor 25 Jahren geschriebenen Sätzen meint man aktuelle Vorstellungen der Jugendlichen ("Im Grunde glaubt kein Mensch mehr, dass heutiges Lernen 'Probleme' von morgen löst") herauszuhören.
Aufgabe der Philosophie noch nicht erledigt
Und die Philosophie - ebenso niedergedrückt - liegt, so folgert Sloterdijk, im Sterben, kann sich aber dennoch nicht verabschieden, weil ihre Aufgabe noch nicht erfüllt ist. Die Aufgabe besteht darin, wieder an den "Geist" der Griechen anzuschließen, an die Zeit, als die Theorie (als ein Schauen auf Höheres) entwickelt wurde und das Verstehen zu seiner Sprache fand.

Sloterdijks zahlreiche Publikationen bis hin zur voluminösen Trilogie "Sphären" und, zuletzt, "Zorn und Zeit", sind von einem optimistischen Grundton geprägt: Der Mensch kommt reich zur Welt, ausgestattet mit einem unermesslichen Potential des Denkens, der Gefühle und Affekte, des Miteinander-Seins.
"Männliches Prinzip" im Krieg gefallen
Dabei schätzt Sloterdijk die geschichtliche Ausgangslage der so genannten 68er-Generation, zu der er gehört, als eher düster ein. Das Stichwort von der "vaterlosen Gesellschaft" benannte sehr gut die Stimmungslage derer, die nach 1944/45 zur Welt kamen.

Der 1947 in Karlsruhe geborene Peter Sloterdijk spricht auch von der "Undefiniertheit" eines Lebensentwurfs, nachdem das männliche Prinzip an vielen Fronten ausgefallen war. Leihväter traten in den Nachkriegswirren anstelle der richtigen Väter auf den Plan. Auch die nach 1945 Geborenen waren noch geprägt von dem im Verborgenen überdauernden Faschismus.

Die sich herausbildende Generation reagierte mit Notwendigkeit auf diese Unterströmung. Man fühlte sich vertraut im negativistischen Pathos, im Pathos der Einsamkeit und des Scheiterns. Dagegen artikulierte sich bei Sloterdijk eine positive, auf Zusammengehörigkeit bezogene Grundschwingung, die er als protestantisch-lutherischer Jugendlicher erlebt hatte.
Trend-Designer statt Revolutionsberater
Die Zeit seiner philosophischen Anfänge umschreibt Sloterdijk als ein intensives Vorgefühl verheißungsvoller Dinge, inspiriert von den Geschichtsmodellen der großen Geister Lukács, Kojève, Bloch oder Sartre.

Heute sind die Revolutionsberater älteren Stils nicht mehr gefragt - an ihrer Stelle agieren Trend-Designer. Wirklich nahe hat sich Sloterdijk den "Musterschülern" der Revolution nie gefühlt.
Lieber in Indien als auf Pariser Barrikaden
Der Aktionismus war ihm suspekt; er empfand die Protagonisten der Studentenbewegung als "Hysteriker" und "Zirkusleute". Statt mit Sartre auf eine Mülltonne zu steigen und zu den Arbeitern zu sprechen, hätte er es, wenn schon, sicher vorgezogen, mit ihnen einen Wein zu trinken.

Statt die psychoanalytische Kur vor den Augen eines großen Publikums zu machen, reiste er nach Indien und wählte einen anderen, den so genannten inneren Weg.

In der Umgebung des Reform-Mystikers Shree Rajneesh habe, so Sloterdijk, eine Atmosphäre wie in der Frühromantik geherrscht, "mit einem weiten Raum für spielerische Infragestellungen und einem erotisch-magnetischen Kraftfeld, das dem deutschen Maso-Patriotismus und dem Klima der Selbstanklage diametral entgegenstand."
Hoffnungen des 20. Jahrhunderts enttäuscht
Früher hat Sloterdijk in Rajneesh (besser bekannt als Osho) einen Religionsphilosophen gesehen, der experimentelle Religionsspiele vorschlug. Als er damals mit all den anderen Suchenden im indischen Poona lebte, hatte er das Gefühl, sich in einem nach Osten versetzten "Institut für Vergleichende Religionsforschung mit angegliedertem Labor für erotische Feldarbeit" aufzuhalten.

Der "Sphärenmusik", die Sloterdijk in Indien zu vernehmen glaubte, und die Hochschätzung für den experimentellen Umgang mit Denk- und Glaubensformen, die ihn mit Indien verband, hielt noch lange an, wurde aber durch andere Interessen und Fragestellungen zur Seite gedrängt.

Dies betrifft vor allem sein zeitdiagnostisches Interesse. Bestürzt schaut er auf das 20. Jahrhundert zurück und fragt, warum etwas mit soviel Hoffnungen und Phantasien, Visionen und Utopien begonnenes Projekt (der "Neue Mensch") nicht gelingen konnte.
"Sphäre" statt "Welt"
Angesichts der enttäuschten Hoffnungen und der pessimistischen Geschichtsentwürfe müsse man, so Sloterdijk, als Philosoph genau wissen, was man sage, wenn man sich dennoch auf der anderen Seite positioniere und eher als Zeuge gegen die historische Verlorenheit des Menschen auftrete.

Denken heißt für ihn fortan zu prüfen, wie man wieder an die griechische Vorstellung von Ganzheit anschließen könne. Hier, beim Bild der Kugel, nimmt seine groß angelegte Sphären-Trilogie ihren Ausgang.

Ganz am Anfang, des mit Blasen betitelten ersten Bandes, steht aber eine Kindheitserinnerung: an die beim Spielen erzeugten runden Formen, die so leicht davonfliegen und so schnell zerplatzen.
Ausgehend von der Kindheit
Mit einer solchen, von den Träumereien und Phantasiereisen des Kindes ausgehenden und auf eine philosophische Frage nach der Welt zulaufende Beschreibung eröffnet Peter Sloterdijk seine berühmt gewordene Trilogie "Sphären". Der Begriff Sphären ist sein Zauberwort für das, was wir "Welt" nennen.

Wie sich der Mensch in der Welt vorfindet, wie er zur Welt kommt und in ihr seine Beziehung zu anderen Menschen ausbildet, also Teil einer Gesellschaft wird, ist - auf eine ganz neuartige Art und Weise - Thema seines Philosophierens.
Gegen die Schwermut
Anders als der ebenfalls sprachmächtige und euphorisch gefeierte George Steiner, den Denken traurig macht und der zuweilen ganz erfüllt zu sein scheint von einer "tiefen unzerstörlichen Melancholie alles Lebens", folgt Sloterdijk dem Wunsch nach einem fröhlichen, festlichen Denken.

Das von ihm in den Vordergrund gerückte Schwebende stellt einen markanten Gegenpol zum Schweren und Schwermütigen tradierter Denkhaltungen dar.

Es ist ihm und uns zu wünschen, dass er in diesem Sinn weiter so überzeugend und fundiert als Medium guter Botschaften wirkt und auch den hartnäckigsten Zweiflern die Gesellschaft als eine in sich äußerst bewegliche "Schaumzellengesellschaft" nahezubringen vermag.

[25.6.07]
->   Sloterdijk_net
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Über den Autor
Hans-Jürgen Heinrichs, geboren 1945, ist Kulturtheoretiker, Autor und Publizist. Gemeinsam mit Peter Sloterdijk hat er 2001 das Buch "Die Sonne und der Tod -Dialogische Untersuchungen" herausgegeben.
->   Hans-Jürgen Heinrichs bei Suhrkamp
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01.01.2010