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Aufrechter Gang: Eine Frage der Effizienz  
  Begann der Mensch, auf zwei Beinen zu gehen, weil ihn diese Fortbewegung weniger Energie kostete? Eine neue Studie hat den Gang von Menschen und Schimpansen untersucht und bestätigt: Schon kleine anatomische Veränderungen verbessern die Effizienz des aufrechten Gangs.  
US-amerikanische Forscher konnten mit der Studie das Argument entkräften, dass der aufrechte Gang am Anfang gar nicht effizient gewesen sei, weil die anatomischen Voraussetzungen fehlten. Tatsächlich gibt es sogar Schimpansen, die sich auf zwei Beinen energiesparender fortbewegen als auf vier.
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"Chimpanzee locomotor energetics and the origin of human bipedalism" von Michael D. Sockol, David A. Raichlen und Herman Pontzer erscheint zwischen 17. und 20. Juli in den "Proceedings of the National Academy of Sciences" (doi: 10.1073/pnas.0703267104).
->   Zur Studie (sobald online):
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Meilenstein Bipedie
Irgendwann vor fünf bis sieben Millionen Jahren begannen Vorfahren des Menschen, sich auf zwei Beinen zu bewegen. Warum, ist unklar. Sicher ist nur, dass die Entwicklung der Bipedie einer der wichtigsten Schritte in der Evolution des Menschen war.

Sie machte die Hände frei für den Gebrauch von Werkzeugen, was vielleicht der entscheidende Impuls für die Entwicklung unseres Gehirns war. Außerdem ist Bipedie eine sehr effiziente Art der Fortbewegung: Per pedes besiedelten die Vorfahren des Menschen die Erde.
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Tausend Thesen
Über die Entwicklung des aufrechten Gangs ließ sich schon immer vortrefflich streiten. Die einen mutmaßen, dass der Vorfahre des Menschen seine Hände brauchte, um Nahrung zu transportieren. Andere glauben, dass eine bessere Übersicht in der Savanne, oder die geringere Angriffsfläche für Sonneneinstrahlung, der Grund für das Aufrichten war.
Manche sehen die Wurzeln des aufrechten Ganges nicht in der Savanne, sondern auf den Bäumen. Und wieder andere glauben, dass der Mensch sich aufrichtete, um besser durchs flache Wasser zu waten.
Gewissheit könnten nur Fossilien schaffen - doch die sind rar.
->   Übersicht der Hypothesen zum aufrechten Gang
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Energie-Effizienz
Eine Hypothese gewinnt immer mehr an Plausibilität: Ihr zufolge haben die frühen Homininen sich aufgerichtet, weil sie dadurch weniger Energie für die Fortbewegung verbrauchten.

Im ausgehenden Miozän, vor fünf bis sieben Millionen Jahren, wurde das Klima in Afrika kälter und trockener. Savannen breiteten sich aus, die Distanz zwischen verschiedenen Futterquellen wurde immer größer. In dieser Umgebung hatten jene Lebewesen einen Vorteil, die weniger Energie aufwenden mussten, um von A nach B zu kommen.
Ernster Einwand
Die Kritik an dieser Hypothese: Die frühen Homininen ähnelten anatomisch eher den Schimpansen. Der Körperbau, der den aufrechten Gang so energieeffizient macht, musste sich erst entwickeln.

Warum also hätten sich die frühen Homininen über viele Generationen auf zwei Beinen durch die Gegend quälen sollen, bis ihr Becken und ihre Beine sich anpassten?

 
Bild: PNAS

Neue Studie unterstützt Hypothese
Der Einwand klingt schwer wiegend, doch US-amerikanische Forscher konnten ihn in einer Studie widerlegen. Sie ließen vier Menschen und fünf Schimpansen auf einem Laufband spazieren (siehe Bild), die Schimpansen einmal auf vier Beinen und einmal auf zwei. Währenddessen maßen sie den Sauerstoffverbrauch und die Muskel-Aktivität.

Am effizientesten ging der Mensch: Er benötigte nur ein Viertel der Energie, die ein Schimpanse brauchte. Bei den Schimpansen war der Gang auf vier Beinen im Durchschnitt etwa zehn Prozent effizienter als auf zwei.

Der Unterschied zwischen den einzelnen Tieren war aber sehr groß: Ein Schimpanse bewegte sich sogar effizienter auf zwei Beinen fort. Er hatte von allen die größte Schrittlänge.
Bipedie auch schon früher effizient
Die Vorfahren von Mensch und Schimpanse hatten wahrscheinlich Beine und Hüften wie Schimpansen, also gab es vermutlich auch schon bei ihnen Individuen, bei denen die Bipedie effizienter - und darum ein Selektionsvorteil - war.

Das widerlegt den Einwand, dass der aufrechte Gang erst im Laufe der Evolution zur effizientesten Art der Fortbewegung wurde.

"Unsere Resultate zeigen, dass schon kleine Veränderungen der Hüfte und der Beinlänge bei unseren frühen Vorfahren zu Energieeinsparungen führten", schreiben die Autoren in ihrer Studie. Also brauchte es gar keine jahrtausendelange Anpassung, der Vorteil wirkte sich schon bei den ersten Zweibeinern aus.
Gewissheit durch Fossilien?
Diese kleinen Veränderungen, zum Beispiel längere Unterschenkel, müssten bei den Fossilien von frühen Homininen schon erkennbar sein. Der Australopithecus, der vor vier bis zwei Millionen Jahren lebte, hatte schon um ein Stück längere Beine als moderne Schimpansen. Die Forscher werten das als Indiz für die Energieeffizienz-Hypothese.

Aber diese Hypothese lässt sich, wie alle anderen auch, nicht beweisen, denn bislang wurden kaum Fossilien von Vormenschen gefunden, die älter als vier Millionen Jahre sind.
Solange das nicht passiert, können die Paläo-Anthropologen nicht mehr tun, als weiter zu streiten.

Raffael Fritz, science.ORF.at, 17.7.07
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01.01.2010