News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Technologie 
 
Evolutions-Software entwickelt eigenständig Geräte  
  Der Konflikt zwischen "intelligentem Design" und Evolution ist nicht auf die Religion beschränkt. Evolutionäre Algorithmen nutzen die Prinzipien der natürlichen Auslese zur Entwicklung von neuen technischen Geräten und anderen Dingen. Der rasante Fortschritt der Computertechnologie lässt diese Algorithmen allmählich zu ernsthaften Konkurrenten von menschlichen Konstrukteuren werden.

Bereits heute werden USB-Sticks, Wi-Fi-Antennen und sogar Musik mit Hilfe von Evolutionären Algorithmen entwickelt.
 
...
Der Artikel "Darwin and the generation game" behandelt Evolutionäre Algorithmen und erscheint in der Samstag-Ausgabe des Magazins "New Scientist" (28. Juli 2007, S. 26 - 27).
->   "New Scientist"
...
Uhr ohne Uhrmacher
"Wo eine Uhr, da ein Uhrmacher", ist ein beliebtes Argument für einen Schöpfergott. Was aber, wenn tatsächlich eine Uhr konstruiert würde, die nicht von einem Uhrmacher entworfen wurde, sondern von einem Computer, der zigtausende von Entwürfen ausprobierte und verwarf, bis einer eine funktionierende Uhr ergab?

Dies ist der Ansatz der Evolutionären Algorithmen (EAs), die Charles Darwins Evolutionstheorie auf das Konstruktionswesen und andere Fachgebiete übertragen - mitsamt der Debatte um Sinn und Unsinn einer Schöpfung ohne Schöpfer.
Evolution im Computer
Wenn die EAs einen neuen Entwurf für, beispielsweise, eine Auto-Karosserie entwickeln, passiert Folgendes: Sie nehmen zwei existierende Entwürfe und paaren sie miteinander, wählen also zufällig Komponenten von beiden Entwürfen und lassen so "Kinder" entstehen.

Diese werden dann in Details zufällig verändert und anschließend auf ihre Funktionstüchtigkeit getestet. Die "fitten" Karosserien kommen in die nächste Runde, wo das Prozedere sich wiederholt.
Mutation, Rekombination, Selektion
EAs imitieren also die natürliche Auslese, die auf drei Prinzipien beruht: Mutation, Rekombination und Selektion. Manchmal fällt die Rekombination auch weg, dann betreibt der Algorithmus asexuelle Fortpflanzung.

Der größte Teil der Varianten landet zwar auf dem digitalen Müll, doch es bleiben immer ein paar übrig, die eine Verbesserung darstellen. Am Schluss können Lösungen herauskommen, an die ein "intelligenter Designer" nie im Leben gedacht hätte. Genau das ist die Stärke der EAs.
Grundidee über 40 Jahre alt
Die Idee, evolutionäre Vorgänge auf diese Art zu nutzen, gibt es schon seit den frühen 1960er Jahren. Im Zeitraffer tausende - oder gar Milliarden - Generationen durchzugehen, braucht aber sehr leistungsfähige Computer. Mit den neuesten Fortschritten der Computertechnologie konnten die EAs ihr Nischendasein überwinden.

"Wir können jetzt evolutionäre Probleme angehen, die vorher zu kompliziert oder zeitraubend gewesen wären", sagt John Koza, EA-Pionier von der Stanford University, zum "New Scientist".
Antennen, USB-Sticks, Musik
Auf immer mehr Gebieten werden EAs eingesetzt. John Koza benutzte sie beispielsweise, um Patente zu umgehen. Aus einer patentierten Wi-Fi-Antenne entwickelte er ein neues Modell, das leistungsfähiger war, aber das Patent nicht verletzte.

Der "New Scientist" berichtet außerdem von einem neuen USB-Stick, der an der University of Limerick entwickelt wurde und 30 Mal länger hält als handelsübliche Modelle.

Es geht aber auch ganz anders: Ying-ping Chen von der National Chiao Tung University in Taiwan benutzt EAs, um Musik zu komponieren. Zwar ist der künstlerische Anspruch alles andere als umwerfend, doch Chen betont in seiner Arbeit: "Wir wollen nicht die 'beste' Melodie finden, wir versuchen, den besten Weg zu finden, um Musik zu komponieren."
->   Hörbeispiele von Ying-ping Chens Arbeit
"Staubsauger-Papst" vertraut weiter dem Menschen
Die EAs ernten aber nicht nur positive Reaktionen. Zwar könnten sie, meinen Kritiker, zu guten Ergebnissen führen, doch die Lösungen seien im Nachhinein undurchschaubar. Man könne manchmal nicht wissen, warum die fertigen Konstruktionen besser funktionieren, darum kenne man ihre Schwachstellen nicht genau.

Auch einer der erfolgreichsten Erfinder unserer Zeit, Staubsauger-Entwickler James Dyson, ist nicht begeistert: "Evolutionäre Algorithmen bedeuten das Ende der aufregenden Geschichten, wie Leute große Erfindungen durch Zufall gemacht haben", sagt er gegenüber dem "New Scientist". "Menschliche Erfindungsgabe und Intuition werden immer den Ausschlag geben, ob ein Produkt erfolgreich wird oder nicht."

Es ist zwar eher unwahrscheinlich, dass EAs in Zukunft Konstrukteure ersetzen werden können. Ebenso wenig wird Ying-ping Chens Programm Komponisten arbeitslos machen.

Doch mit der weiteren Entwicklung der Computertechnologie könnten aus diesem Bereich noch einige große Überraschungen auf uns zu kommen.

Raffael Fritz, science.ORF.at, 26.7.07
->   SIGEVO - Special Interest Group on Genetic and Evolutionary Computation
->   Webseite von John Koza
->   Homepage von Ying-ping Chen
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Entwurf für lautloses und ökologisches Flugzeug (7.11.06)
->   Ist der Darwinismus eine säkulare Religion? (24.2.06)
->   Die Evolution durch Mathematik besser verstehen (11.5.05)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Technologie 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010