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Deutscher Wissenschaftler unter Plagiatsverdacht  
  Einen weiteren spektakulären Plagiatsfall macht das renommierte Wissenschaftsmagazin "Nature" in seiner neuesten Ausgabe zum Topthema: Ein deutscher Wirtschaftswissenschaftler habe anscheinend jahrzehntelang seine Karriere auf den Arbeiten anderer aufgebaut. Außerdem habe er sich fälschlicherweise als Mitglied wissenschaftlicher Gesellschaften und als Angehöriger verschiedener Universitäten ausgegeben.  
Der 63-jährige Ökonom Hans-Werner Gottinger, der sich laut "Nature" (Bd. 448, S. 632) in Ingolstadt zur Ruhe setzt, hatte sich auf Umweltwissenschaften und -technologien spezialisiert - und auf die Werke kreativerer Kollegen.
Student bringt Plagiatsuntersuchung ins Rollen
Ein Student hatte eine Publikation, die Gottinger 1993 verfasst hatte und die eines anderen Autors, die bereits aus dem Jahr 1980 stammte, als Referenzen für seine Arbeit verwendet. Dabei war er über auffällige Parallelen zwischen beiden gestolpert, was Gottinger zu erwähnen "vergessen" hatte.

Anscheinend leidet der mutmaßliche Plagiator überhaupt unter einem schlechten Gedächtnis: Er habe nur wenig Erinnerung an so lange zurückliegende Ereignisse und hätte sich ohnehin entschuldigt, sagte er laut "Nature", und bestritt jede Plagiatsabsicht. Auch in weiteren Fällen, die Ben Martin, einer der Herausgeber der Elsevier-Zeitschrift "Research Policy" entdeckte. Er und seine Kollegen waren es, die einige von Gottingers Publikationen untersuchten und dadurch die Aufmerksamkeit von "Nature" auf den Fall lenkten.
Falsche Angaben zu Mitgliedschaften
Auch mit seinem Verhältnis zu verschiedenen Institutionen scheint es der Wirtschaftswissenschaftler nicht so genau genommen zu haben. Die Universität von Maastricht, die er seit Mitte der 1980er Jahre als seine Stammuniversität angab, distanzierte sich jedenfalls entschieden von jeder Verbindung mit ihm und drohte gar mit einer Klage.

Auch an der Universität von Osaka war man erstaunt, dass er angeblich eine Professur dort innegehabt hätte. In beiden Fällen entschuldigte sich Gottinger für die "Missverständnisse", die durch seine - nicht näher bezeichneten - Verbindungen zu einzelnen Instituten dieser Hochschulen entstanden seien.
Hochintelligenter Einzelgänger
"Nature" befragte ehemalige Kollegen des nun ins öffentliche Interesse gerückten Wissenschaftlers zu seiner Person. "Er galt als hochintelligent aber reserviert", sagte Peter Weingart, der an der Universität Bielefeld mit ihm zusammengearbeitet hat. Die meisten Wissenschaftler, die ihn kannten, beschrieben ihn als Einzelgänger - bei wenigen seiner Publikationen hatte er Mitautoren.

Während seiner wechselvollen Karriere, die ihn von Bielefeld über München auch als Direktor des Fraunhofer Instituts für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen nach Euskirchen bei Bonn führte, streifte er neben anderen internationalen Stationen auch Österreich.
Verbindung zu Österreich ohne Folgen
1995 soll er in die engere Wahl als Rektor der Universität Klagenfurt gekommen sein, schreibt "Nature". Dieser Kelch ist offenbar knapp an der im vergangenen Jahr ohnehin von diversen Plagiatsfällen gebeutelten Institution vorübergegangen.

Hierzulande ist es der Salzburger Medienwissenschaftler Stefan Weber, der dafür sorgt, dass das Abschreiben wissenschaftlicher Arbeiten immer wieder öffentlich diskutiert wird. Gegenüber der APA meinte er zu dem aktuellen Fall, nachdem sich nun auch eines der renommiertesten Magazine der Sache annehme, könnte es für Plagiatoren "eng werden". Er bezweifle allerdings, dass dies auch für Österreich gelte.
Plagiatssoftware - ein zweischneidiges Schwert
Software zur Aufdeckung von Plagiaten bezeichnete Weber als unzureichend, eine Auffassung, die auch in "Nature" vertreten wird. Auf elektronischem Weg ist es nur möglich, übereinstimmende Textpassagen aufzuspüren. Ob es sich dann tatsächlich um Plagiate handelt, kann nach wie vor nur der Mensch bestimmen.

Es existiert bereits eine Fülle solcher Programme, die Arbeiten mit riesigen Datenbanken wissenschaftlicher Publikationen vergleichen und verdächtige Textstellen markieren. Hartgesottene Plagiatoren könnten das verwenden, um markierte Textteile neu zu formulieren und so einer Entdeckung zu entgehen, zitiert "Nature" den Herausgeber eines solchen Programms.

Für die Überprüfung von anspruchsvollen wissenschaftlichen Publikationen mögen Plagiatssoftware-Programme nur ein schwaches Werkzeug sein. Um Studenten am "copy-pasten" zu hindern, die zu bequem sind, ihre Seminar- oder Bachelorarbeiten selbst zu schreiben, dürften sie allemal taugen. Und auch im akademischen Betrieb gilt doch wohl: Wehret den Anfängen!

Hanni Schopfhauser, science.ORF.at, 9.8.07
->   Nature
->   Research Policy
->   Mehr zu dem Thema Plagiate im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010