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Pervasive Computing: First Life statt Second Life  
  In der virtuellen Welt von "Second Life" interagieren jeden Tag weltweit zehntausende Menschen. Wenig Freude damit hat der Computerwissenschaftler Alois Ferscha von der Uni Linz. Ihm ist das erste Leben wichtiger - mit Hilfe von Pervasive Computing möchte er Technik sinnvoll und unsichtbar in den Alltag integrieren. Second Life (SL) betreibe das diametral entgegengesetzte Projekt und löse die Realität im Virtuellen auf, meint er in einem Interview mit science.ORF.at.  
Trotz aller Bemühungen um neue Interfaces glaubt er auch nicht an ein baldiges Ende von Tastatur und Maus.

Alois Ferscha, Vorstand des Instituts für Pervasive Computing der Uni Linz, war am Freitag Teilnehmer des Arbeitskreises "Second Life" im Rahmen der Technologiegespräche beim Forum Alpbach.
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Das Thema der Alpbacher Technologiegespräche lautet heuer "Emergence in Science and Technology". Schwerpunkte der Veranstaltung sind u.a. der Klimawandel, die Zukunft der Wissenschaft und der globale Wettbewerb der Regionen.
->   Technologiegespräche
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Bild: Second Life
Second-Life-Figuren werfen keine Schatten
science.ORF.at: Sie beklagen, dass in Second Life zwar die Sonne scheint, die Bewohner aber dennoch eine schattenlose Existenz führen. Was stört sie eigentlich daran?

Alois Ferscha: Dass die Algorithmen von SL auf den Schattenwurf verzichten, stört mich aus grafischen Gründen ein wenig, ist aber nur eine Begleitauffälligkeit. Wesentlich ist mir die allgemeine Reduktion von SL. Man zettelt eine große Revolution an, verspricht ein "Zweites Leben", und hat keine Sinnangabe dazu im Talon, mit der man erklären könnte, warum man das tut. Es ist überhaupt nicht klar, warum das Zwischenmenschliche, Handel, Bildung etc. hier besser funktionieren sollten als im realen Leben.

Die gestalterische Komponente ist reduziert auf 1024x768 Bildpunkte, das ist dünn. Das Leben, das man dort führt, ist steuerbar über eine Tastatur mit 96 Tasten und einen Mauszeiger, das ist ebenfalls dünn. Auch wenn man technologische oder grafische Verbesserungen vornimmt, gewinnt die Welt, die hier geboten wird, nichts an Substanz.
Bild: Second Life
Zum Abgleiten
Befriedigt SL nicht einfach ein Spielbedürfnis, das es auch anderswo gibt?

Ja, es gibt sicher einen Drang des Menschen, sich über das aktuelle Wahrnehmen im Tagesablauf hinwegzustellen und etwas Phantastisches zu erleben, abzugleiten in etwas Unwirkliches. Alles, was wir an Genuss empfinden, wenn wir ein schönes Bild anschauen oder gute Musik hören, wirkt als Mechanismus des Abgleitens. Und für den Webuser ist SL wohl etwas Ähnliches.
Bild: Telekom
Alois Ferscha
Sie sehen Pervasive Computing als Gegensatz zu Einrichtungen wie SL, worin besteht er genau?

Pervasive Computing bedeutet, Technologie in die reale Welt so tief hineinzubringen, dass man sie als Technologie nicht mehr wahrnimmt. Das sind Speziallösungen, die in Gebrauchsgegenstände hineingehen, in Tische, in Stühle, in Werkzeuge, in den Vorplatz eines Hauses, bis hinaus in den Weingarten, wo Sensoren überwachen, wie viel Regen fällt und wie die Sonne scheint.

Was SL macht, ist genau das Gegenteil: Es versucht, eine Realität auf eine Virtualität abzubilden, sodass das Reale, das uns Umgebende und Gegenständliche aufgelöst und virtuell wird. Für mich ist das erste Leben das wichtigste. Lösungen der Informations- und Kommunikationstechnologien für das Erstleben zu finden, ist für mich wesentlich interessanter als die Gestaltung eines nichtexistenten Zweitlebens.
Warum arbeiten wir 30 Jahre nach den ersten PCs noch immer mit Maus und Tastatur, wenn es auch andere, bessere und für den Menschen passendere Interfaces gibt, wie sie etwa durch Pervasive Computing entwickelt werden?

Ich denke, dass die Universalmaschine Personal Computer seither ihre Existenzberechtigung in vielen Teilen verloren hat, aber nicht überall. Wir haben den Trend im Personal Computing beobachtet, dass Umgebungsfunktionen, die wir bisher mit anderen Geräten behandelt haben, in den PC integriert wurden. Der PC heute ist Stereoanlage, Bildarchiv, Bibliothek, Spielekonsole, Digitalkamera etc. Aber niemand würde diesen PC in seiner Funktion als Digitalkamera mit aufs Kitzsteinhorn nehmen, um dort ein Gipfelfoto zu machen.

Der PC kann in einer Universalität zwar alles, im Detail aber nichts. Wir sehen, dass viele Funktionen heute wieder herausdestillieren aus dem PC: eine Digitalkamera, die Bilder elektronisch speichern und sie drahtlos weiterleiten kann; Spiele und Spielsysteme, die wieder gegenständlich sind wie ein Hund, den man streicheln kann und der aus Plastik und Metall besteht.

The tool must fit the task, hat Don Norman einmal gesagt. Das trifft genau diesen Aspekt, dass man für Spezialaufgaben auch Spezialwerkzeuge und -lösungen braucht und nicht diese Universalmaschine Personal Computer.
Tastatur und Maus sind schon rein ergonomisch nicht gerade ideal, warum haben sich nicht schon längst andere Interfaces durchgesetzt?

Die Kulturtechnik des Schreibens wird immer einen PC mit Tastatur rechtfertigen, einfach weil man im Zehnfingersystem schneller schreiben kann als mit der Hand. Spracherkennung oder gestische Erfassung können niemals diese Präzision und Klarheit des Ausdruckes erreichen wie das entschlossene Drücken einer Taste - sei es technisch bedingt oder aufgrund der semantischen Verwaschungen.
Werden wir wenigstens die Maus eines Tages los?

Die Maus ist ein klarer Companion der Windowsmetapher-basierten Benutzerschnittstellen, mit dem man irgendwo hinzeigt und dort den Fokus der Aktivität positionieren und damit Veranlassungen treffen kann. So lange wir mit diesen Schnittstellen arbeiten, werden wir die Maus weiter brauchen.
Bild: Telekom
Das Würfelinterface
Wäre das Würfelinterface, das Ihr Institut vor kurzem als neuartige Fernbedienung entwickelt hat und das sich den Handbewegungen natürlich anpasst, keine Alternative dazu?

Für das Würfelinterface haben wir die Kinematik der Hand analysiert und so das Körperliche des Menschen als Grundlage für die Gestaltung einer technischen Lösung hergenommen. Es hat sich gezeigt, dass bestimmte Griffarten dem menschlichen Tun adäquater sind als das Drücken mit dem Finger auf eine Taste.

Es ist für den Bereich kleiner Alphabete sehr günstig und eine Shorthand für schnelle Auslösemöglichkeiten der wichtigsten Funktionen, wie Ein- oder Ausschalten, Lautstärkeregelung etc. Es eignet sich aber nicht, um etwa den RGB-Wert des Bildschirmhintergrunds auf einen bestimmten numerischen Wert zu setzen.

Und auch nicht, um ein Windows-Fenster zu öffnen oder zu schließen.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 24.8.07
->   Alois Ferscha, Uni Linz
->   Second Life
->   Würfelinterface (Telekom, pdf-Datei)
->   Don Norman
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01.01.2010