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Bionik: "Luftbrücke", die sich selbst repariert  
  Die Natur wird immer öfters zur Suche nach Lösungen für technische Probleme herangezogen. Die neuesten Entwicklungen auf diesem Gebiet der Bionik präsentierten vergangene Woche Spezialisten beim Forum Alpbach. Einer der Höhepunkte: Eine "pneumatische Brücke", die sich selbst reparieren kann. Der zugrunde liegende Mechanismus wurde dem Selbstheilungsprozess von Lianen nachempfunden.  
Beim Arbeitskreis "Design by Nature" im Rahmen der Technologiegespräche 2007 gingen zahlreiche Experten dem Beitrag der Natur zum industriellen Fortschritt nach.
Die Natur als Vorbild für die Technik
Thomas Speck von der Plant Biomechanics Group der Universität Freiburg stellte in seinem Vortrag das Prinzip von "Smart Materials" vor, die im Stande sind, sich selbst zu reparieren. Die Entwicklung solcher Materialien ist stark von der Natur inspiriert.

Das Prinzip der Selbstreparatur ist bisher nur selten in technischen Produkten zu finden, jedoch ist das Interesse danach in den letzten Jahren sehr stark angestiegen. Die Vorteile selbstreparierender Materialien liegen auf der Hand: längere Lebensdauer und Steigerung des Wertes.

Das Team von Speck untersuchte das Selbstheilungsverfahren von verschiedenen Arten von Lianen und krautigen Pflanzen. Diese sind in der Lage, Risse, die z.B. durch den Wachstumsprozess entstehen, schnell und effizient zu reparieren.

Die gewonnenen Erkenntnisse wurden abstrahiert und in eine technische Anwendung umgewandelt. Es entstand ein Polyurethan-Schaum, mit dem Membranen für pneumatische Strukturen beschichtet werden können.
Eine Membran, die sich selbst repariert
Das Konzept dafür sieht folgendermaßen aus: Unter der verwendeten Membran befindet sich eine Schaumschicht aus Polyurethan-Schaum, die durch Druck an die Membran gehoben wird.

Wird die Membran beschädigt, setzt der Reparatureffekt sofort ein. Dabei verschließt der Schaum das Loch. Dadurch wird der Druckabfall verzögert und das Austreten von Luft verlangsamt.

Zurzeit können nur Löcher von bis zu fünf Millimeter durch den Schaum verschlossen werden. Die Wissenschaftler wollen ihn jedoch verbessern, damit er auch größere Risse reparieren kann. Weiters soll der Schaum auch dahingehend optimiert werden, dass jener Teil, der ein Loch verschlossen hat, genau die gleichen mechanischen Eigenschaften aufweist, wie der Rest der Membran.
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Bionik: Pflanzen und Tiere als Ideenreservoir
Bionik beschäftigt sich damit, Erkenntnisse aus der Biologie in technischen Anwendungen umzusetzen. Als einer der Väter der Bionik gilt Igo Etrich. Er baute Anfang des 19. Jahrhunderts, inspiriert vom Zanonia-Samen, seine berühmte "Etrich Taube", ein Ur-Flugzeug. Ein weiteres bekanntes Beispiel ist der "Lotus-Effekt": in den 1970er Jahren entdeckt, führte er zur Entwicklung von selbstreinigenden Materialien.
->   Lotus-Effekt
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Brücken aus Luft mit Selbstreparatur
 
Bild: prospecive concepts

Als weiterer Schritt ist geplant, die Membranen des sogenannten Tensairity-Konzeptes mit Polyurethan-Schaum zu beschichten. Dabei handelt sich um pneumatische Konstruktionen, bei denen luftgefüllte zylindrische Membranen in Kombination mit Zug- und Druckelementen, wie Kabeln und Stangen, zum Einsatz kommen.

Verwendung findet das von der Firma Airlight Ltd in Zusammenarbeit mit der prospecive concepts ag entwickelte Tensairity z.B. in Brücken (siehe Bild oben) oder Dachkonstruktionen. Diese Konstruktionen gelten als besonders stabil und leicht. Sie wurden bisher aber nur ohne Selbstreparatur angeboten.

Dem Problem des Luftverlustes bei einer Verletzung der Membran kann aber seit neuestem mit einer Polyurethan-Schaum-Beschichtung abgeholfen werden.
Ideal für Krisengebiete?
Im Tensairity-Konzept steckt das Potential, den Brückenbau zu revolutionieren- statt auf schweren Stahlträgern wird auf Luft gebaut. In den französischen Alpen gibt es bereits eine Tensairity-Brücke für Ski-Fahrer.

Da der Auf- und Abbau einer solchen Brücke leicht von der Hand geht und das Transportgewicht sehr gering ist, wären sie besonders für das Bundesheer und für den Einsatz in Krisengebieten interessant.

Die Verwendung der neuen Schaumbeschichtungen führt zu zusätzlicher Sicherheit und könnte auch zu mehr Akzeptanz bei Kritikern führen, die der "Luftbrücke" ohne garantierte Selbstreparatur nicht trauen wollen.
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Den technischen Hintergrund des Tensairity-Konzepts beleuchtet die Studie "Pressure Induced Stability: From Pneumatic Structures to Tensairity" von Rolf Luchsinger, Mauro Pedretti und Andreas Reinhard, die 2004 veröffentlicht wurde.
->   Die Studie
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Weitere Einsatzmöglichkeiten
 
Bild: prospecive concepts

Bleibt abzuwarten, für welche Anwendungen die Schaumbeschichtung in Zukunft eingesetzt wird. Großes Interesse dürfte seitens der Hersteller von pneumatischen Luft- und Wasserfahrzeugen herrschen.

Eine derartige Beschichtung würde sich auch für das, ebenfalls von der Firma prospective concepts ag entwickelte, pneumatische Fluggerät "Stingray" anbieten. Hierbei handelt es sich auch um eine bionische Entwicklung, die den Stachelrochen als natürliches Vorbild hat (siehe Bild oben).

Der Einsatz von selbstreparierenden Materialien ist aber nicht nur bei großen Gegenständen geplant, er ist auch in pneumatischen Möbeln, Luftmatratzen oder Schlauchbooten für Endverbraucher denkbar.

Natalie Moser, 31.8.07
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Natalie Moser ist Studentin des Fachhochschul-Studiengangs für Informationsberufe in Eisenstadt und war ORF-Stipendiatin der Technologiegespräche beim Forum Alpbach 2007.
->   Fachhochschulstudiengänge Burgenland
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->   Plant Biomechanics Group, Uni Freiburg
->   prospective concepts ag
->   Airlight ltd
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Bionik bei der EXPO 2005 in Japan (15.5.05)
Mehr zu den Technologiegesprächen des Forums Alpbach 2007:
->   Wie man unbekannte Risiken einschätzt (27.8.07)
->   Pervasive Computing: First Life statt Second Life (24.8.07)
->   Inuit werden bei Arktis-Wettrennen nicht gefragt (23.8.07)
->   Alpbach: Exzellenz-Initiative, Förderungsevaluierung (23.8.07)
 
 
 
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01.01.2010