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Schreiben Edelgase die Erdgeschichte um?  
  US-Forscher haben die Bedingungen im Erdmantel in Laborversuchen nachgestellt und kommen zu einem überraschenden Ergebnis: Entgegen bisherigen Annahmen dürften im Inneren der Erde große Mengen an Edelgasen gespeichert sein.  
Das Resultat hat weitreichende Konsequenzen für die Geschichte unseres Planeten. Offenbar verlief die Entstehung der Atmosphäre ganz anders, als man bisher geglaubt hat, berichten Forscher vom Rensselaer Polytechnic Institute in Troy, New York.
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Die Studie "40Ar retention in the terrestrial planets" von E. Bruce Watson et al. ist in "Nature" (Bd. 449, S. 299; 20.9.07) erschienen.
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Gase entweichen
Langsam, aber stetig wird die Erde kühler. Der Grund dafür sind Konvektionsströmungen, die heißes, flüssiges Material aus 2.900 Kilometer Tiefe an die Erdoberfläche transportieren. Wenn das Material von der Grenze zwischen Erdmantel und Erdkern bis nach oben gewandert ist, verändert es seine Zusammensetzung.

Jene Bestandteile, die aufgrund ihrer chemischen Eigenschaften gut zur Erdkruste passen, kühlen ab und fügen sich in diese ein. Jene, die das nicht tun - die Edelgase Helium und Argon etwa -, wandern hingegen in die Atmosphäre. Inkompatible Gase nennen Geowissenschaftler solche Substanzen.
Blick ins Innere durch träge Edelgase
Als inkompatibel gelten grundsätzlich alle Edelgase, die im Periodensystem der Elemente - von leicht nach schwer - folgendermaßen angeordnet sind: Helium, Neon, Argon, Krypton, Xenon und Radon.

Im Gegensatz zu wankelmütigen Elementen wie Sauerstoff oder Kohlenstoff, die fortwährend mit anderen Substanzen reagieren und Bindungen eingehen sind die Edelgase sehr stabile Persönlichkeiten: Sie bleiben über lange Zeiträume praktisch unverändert und sind daher ideale Marker, um etwas über das Innere der Erde zu erfahren.

Das gilt insbesondere für das Edelgas Argon. Das bei weitem häufigste Isotop von Argon ist jenes mit der Massenzahl 40, kurz geschrieben: 40Ar, das ausschließlich durch den sogenannten Betazerfall von Kalium entsteht.

In der Frühphase der Erdgeschichte war dieses Gas in der Atmosphäre so gut wie nicht vorhanden, heute beträgt sein Anteil hingegen fast ein Prozent. Geowissenschaftler verwenden daher den aktuellen Argon-Gehalt als eine Kennzahl, die Auskunft über die Konvektionsströmungen des Erdmantels gibt.
Bisherige Annahmen massiv korrigiert
US-Forscher um Bruce Watson vom Rensselaer Polytechnic Institute in Troy haben nun eine Voraussetzung dieser Argumentationskette untersucht und kommen zu überraschenden Ergebnissen. Bisher nahm man wie erwähnt an, dass Argon ein höchst inkompatibles Gas sei und daher nur schwer im Erdmantel gespeichert werden könne.

Dem widersprechen nun Watson und Mitarbeiter: Sie glauben, dass man Argon in dieser Hinsicht bisher massiv unterschätzt hat. Ihr Korrekturfaktor ist enorm - er liegt zwischen 10.000 und 10 Millionen.
Große Argonvorkommen vermutet
Zu diesem Schluss kommen die US-Forscher aufgrund von Versuchen mit den beiden Silikatmineralen Olivin und Enstatit, die vor allem im äußeren Erdmantel vorkommen, jener Region, die zwischen Erdkern und -kruste liegt. Sie platzierten die beiden Minerale in kleine Aluminiumboxen, schlossen sie an ein mit Argon gefülltes Gefäß an und erwärmten das Ganze auf mehr als 1.000 Grad Celsius.

Das überraschende Ergebnis: Sowohl Olivin als auch Enstatit nahmen Argon in ungewöhnlich großen Mengen auf. "Die Ergebnisse zeigen, dass Argon auch bei extremen Temperaturen im Erdmantel verbleiben konnte", sagt Watson. "Wir können nicht mehr annehmen, dass der teilweise geschmolzenen Region des Erdmantels sämtliches Argon und die restlichen Edelgase abhanden kommen."

Die US-Geologen gehen vielmehr davon aus, dass unter diesen Bedingungen lediglich zehn bis 15 Prozent des vorhandenen Argons entweichen. Irgendwo im Inneren unseres Planeten muss es daher noch große Argonvorkommen geben. Wo genau, ist unbekannt. Es ist, schreibt Chris Ballentine von der University of Manchester in einem Kommentar, als würde "die Erde die Luft anhalten."
Korrektur der Erdgeschichte
Und auch die Geologen halten angesichts dieser Ergebnisse die Luft an. Wenn sie zutreffen, müssen die Konvektionsströmungen im Inneren der Erde sehr viel heftiger gewesen sein, als man bisher annahm.

Außerdem müsste man vermutlich auch Helium zugestehen, dass es mit festen Mineralien sehr wohl verträglich ist und darin womöglich in viel höheren Dosen vorkommt, als es die herkömmlichen Modelle vorhersagen. Und drittens müsste vermutlich die offizielle Geschichte unseres Planeten umgeschrieben werden.

Bisher ging man davon aus, dass die Erde in ihrer Jugendphase sämtliche in ihrem Inneren gespeicherten Gase verlor, entweder durch Hitze oder durch Einschläge von Himmelskörpern, Meteoriten etwa. Die bislang weniger populäre Theorie, der zufolge diese Entgasungen keineswegs vollständig waren, scheint durch dieses Resultat nun Aufwind zu bekommen.
Experiment oder Theorie: Was ist falsch?
Freilich gibt es auch eine andere Möglichkeit, die auftretenden Widersprüche aufzulösen. Es wäre durchaus denkbar, dass die Mehrheit der Geologen an den bisherigen Modellen festhält und dafür die Ergebnisse der vorliegenden Studie in Frage stellt.

"Wie bei allen Laborstudien dieser Art stellt sich die Frage, inwieweit sie für den Erdmantel repräsentativ sind", schreibt Chris Ballentine in seinem Kommentar (Nature 449, 294). Watson indes hält dagegen: "Wir müssen unsere grundlegenden Annahmen über die Bildung der Erdatmosphäre überdenken."

[science.ORF.at, 20.9.07]
->   Bruce Watson, Rensselaer Polytechnic Institute
->   Erdatmosphäre - Wikipedia
->   Erdmantel - Wikipedia
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01.01.2010