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Sputnik: Dieses Medium war die Botschaft  
  Anlässlich des 50. Jahrestags von Sputnik, dem ersten Weltraumsatelliten, wird vor allem der "Wettlauf ins All" und seine Bedeutung für den Kalten Krieg diskutiert. Doch neben dem militärischen Aspekt war der Sputnik-Schock aus ganz anderen Gründen wichtig, meint der Wiener Medientheoretiker Frank Hartmann: Sputnik war der Wegbereiter ökologischen Denkens sowie des Internets.  
Der Blick aus dem All
Von Frank Hartmann

Nach Sputnik wurde die Erde in ihrer kosmischen Verlassenheit und Zerbrechlichkeit wahrgenommen wie nie zuvor. Dieser technische Schritt förderte ein Denken in Umweltzusammen¬hängen. Die Menschen fingen an, ihren forschenden Blick nicht nur hinaus ins Weltall zu richten, sondern vor allem auch zurück auf die Erde. So diagnostizierte der kanadische Medienphilosoph Marshall McLuhan einst diese Wende:

"Mit dem Start des Sputnik wurde der Planet zu einem Welttheater, in dem es keine Zuschauer, sondern nur Akteure gibt. Das 'Spaceship Earth' befördert keine Passagiere, jeder gehört hier zur Besatzung. (...) Ökologisches Denken wurde unabdingbar, sobald dem Planeten so der Status eines Kunstwerks verliehen wurde." (McLuhan in: Journal of Communication 24/1, 1974)
Blue Planet
Dieser Perspektivenwechsel ist epochal, da er zuvor technisch nicht möglich war. Er ist auch ein Effekt von Medientechnologie, denn wie im 19. Jahrhundert die Telegrafie für die Wahrnehmung der nationalen, so sorgte die Satellitentechnologie nun für die Wahrnehmung der globalen Einheit.
Legendäre Aufnahmen
 
Bilder: NASA History Division: The Lunar Orbiter Project

Schon 1948 ahnte der britische Astrophysiker Sir Fred Hoyle, dass erst die Fotografie von außen einen wirkungsmächtigen Effekt auf die menschliche Wahrnehmung der Erde haben würde. Die enthobene Position des Satellitenblicks sollte zehn Jahre nach Sputnik die globale Ikone des Medienzeitalters produzieren.

Sandte Sputnik, der eine technische Improvisation war, lediglich ein paar Tage lang Funksignale, so stammt das erste Weltraumbild unseres Planeten vom US-Forschungssatelliten Lunar Orbiter: die 1966 von der Mondumlaufbahn zur Erde gefunkte Aufnahme der über dem Mond aufgehenden Erde ging als "Foto des Jahrhunderts" in die Geschichte ein, das am 8. August 1967 entstandene Bild von der "Whole Earth" ebenfalls.
->   NASA History Division: The Lunar Orbiter Project
Whole Earth Catalog
Die Wahrnehmung des Ganzen zeigte ein Zusammenspiel der Kräfte, aber auch ein fragiles irdisches Gleichgewicht inmitten kosmischer Ödnis. Dieser später sogenannte "Overview-Effekt" (Frank White) aus extraterrestrischer Perspektive wurde durch die Aufnahmen mit hochwertigen Hasselblad-Kameras von Astronauten der Apollo-Missionen in Farbe wiederholt.

Besonders eine Abbildung vom November 1967 brannte sich als "Blue Planet" ins kollektive Bewusstsein ein. Zuerst kam der außergewöhnliche Blick auf die Erdoberfläche, heute ist es schon möglich, eine Simulation der aktiven Satelliten in Echtzeit zu betrachten.

Die Symbolik dieser technischen Verbildlichung sollte in den Folgejahren zur visuellen Metapher für Nachhaltigkeit mutieren, aber auch zum Devotionalienmotiv des ökologischen Sentiments erhoben werden, wie etwa an der Bibel der amerikanischen Gegenkultur ersichtlich wird, dem Whole Earth Catalog.

Dieser ab 1968 erschienene Katalog wiederum, dessen Anspruch gewesen war, das Wissen über nachhaltige Dinge navigierbar zu machen, zeigt noch einen ganz anderen Effekt des Sputnik-Schocks: eine neue Wahrnehmung von Information.
Bildungsoffensive
Zum Ausbau technologischer Überlegenheit, deren symbolische Demonstration dann die Mondlandung war, wurde in den USA unter der Präsidentschaft Eisenhowers die Ingenieursausbildung forciert und die Forschungspolitik neu gewichtet.

Das damalige Forschungs- und Bildungsbudget wurde vervierfacht, um genug Fachkräfte auszubilden. Dies ermöglichte, neben der angewandten Forschung zur Mikroelektronik (die uns schließlich die Personal Computer bescherte) in den Vereinigten Staaten erstens die Einführung von Schulfernsehen und Bildungsprogrammen (ca. 1960) und zweitens die Vernetzung von Bildungseinrichtungen und von Bibliotheken.
Der Weg zum Internet
Was die papierenen Wissensspeicher nicht mehr leisten konnten, wurde nach dem Sputnik-Schock durch die Elektronisierung des Informationswesens neue Medienwirklichkeit: die umfassende Katalogisierung von Publikationen und die dadurch erreichte Effizienzsteigerung in Bildungs- und Forschungsprozessen.

Aus der amerikanischen Bildungs- und Forschungsoffensive entstand die computergestützten Technologie der 1960er-Jahre, bei der auch DARPA federführend war, jene militärisch finanzierte Forschungsorganisation, die wegweisend für die Computervernetzung und - auf Umwegen - auch für das heutige Internet sein sollte.

PS: Was kaum bekannt ist - auch McLuhans Hauptwerk "Understanding Media" war nichts anderes als eine Auftragsarbeit in genau diesem Zusammenhang. Wer nichts von McLuhan weiß, kennt zumindest seinen Slogan: "The medium is the message".

Diesen äußerte er schon 1958 auf einer Tagung vor der Jahresversammlung der National Association of Educational Broadcasters (NAEB), in deren Folge er seine berühmte Medientheorie von den "Magischen Kanälen" entwickelte, nicht als akademische Theorie, sondern als medienpädagogisches Studie im Auftrag der NAEB ¿ This medium was the message - Sputnik war exemplarisch ein Medium als Botschaft seiner selbst, seine Funksignale hatten keinen verschlüsselten Inhalt.

[4.10.07]
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Über den Autor
Frank Hartmann ist Dozent für Medientheorie an der Universität Wien. Zuletzt erschien bei Facultas sein Buch "Globale Medienkultur. Technik, Geschichte, Theorien."
->   Frank Hartmann - Medienphilosohpie
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->   Sputnik - Wikipedia
->   Sputnik - NASA
Mehr zu diesem Thema im ORF.at-Network:
->   Der "Sputnik-Schock" und seine Folgen
->   Radiokolleg - Bildungsvisionen der 1960er Jahre
->   Radiokolleg - Austria in Space
 
 
 
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01.01.2010