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Globalisierung: Renaissance des Lokalen?  
  Führt die Globalisierung zu einer homogenen, eintönigen Welt? Der deutsche Soziologe Helmuth Berking deckt im verbreiteten Bild der Globalisierung einige Widersprüche auf - und kommt zu dem Schluss: Wo "Global" draufsteht, ist nicht selten Lokales drin.  
Globale Ströme, lokale Orte - Was Globalisierung bewirkt
Von Helmuth Berking

Globalisierung - kaum ein Wort hat unsere Vorstellungen in den letzten Jahrzehnten stärker beeinflusst. Ob als Schreckensvision entsolidarisierter Gesellschaften, es gibt heute nichts - von der Arbeitslosigkeit über den Sozialabbau bis zum Hundedreck auf unseren Straßen - das nicht in welch obskurer Weise auch immer mit "Globalisierung" in Verbindung gebracht würde.

Auch als Versprechen auf eine paradiesische Zukunft hält die "Globalisierung" her: Immer geht es um die dramatischen Folgen einer neuen, oder als neu imaginierten sozialräumlichen Ordnung, die sich als "Weltgesellschaft", "global village", "the world as a single place" Ausdruck und Geltung verschafft.
Entgrenzung vs. Begrenzung
Wer von Globalisierung spricht, entwirft das Bild einer Welt, in der altervertraute Orientierungen - von Innen und Außen, von Eigenem und Fremden - ihren Halt verlieren. In den nationalen Wohnzimmern wird es zusehends zügiger wenn sich Distanzen und Grenzen auf irritierende Weise verschieben.

Dabei drängt sich eine Reihe von Fragen auf: Sind wir tatsächlich auf dem Weg in eine globale, kosmopolitische Kultur? Und was geschieht mit den "lokalen" Kulturen auf dieser Reise?

An den widersprüchlichen Dynamiken von "Entgrenzung und Begrenzung", von "Globalisierung und Lokalisierung", von "kultureller Homogenisierung und Vervielfältigung", lassen sich aktuelle Problemlagen wie Kontroversen anschaulich studieren. Denn die ersten Benennungen in jeder Reihe, also Entgrenzung, Globalisierung und Homogenisierung markieren das wirkungsmächtige Bild des Globalen als eines freien, grenzenlosen Raumes, in dem alles locker fließt. Das ist die Zukunft.

Die zweiten Benennungen: Begrenzung, Lokalisierung, Heterogenität markieren die Welt, die angeblich hinter uns liegt, die Welt der territorialen Staaten, der lokalen Kulturen, Identitäten und Wissensbestände. Manuel Castells hat diese Figur anschaulich im Bild vom "global space of flows", der dem "local space of places" gegenübersteht, zu fassen versucht.
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Veranstaltungshinweis
Zu diesem Thema findet von 11. bis 13. Oktober 2007am IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften die Tagung "Impasse? Cultures of Globalization and the Globalization of Culture" statt. Adresse: Reichsratsstraße 17, 1010 Wien.
->   Programm und Abstracts
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Der globale Fluss gerät ins Stocken
Dass das Bild der globalen Ströme passgenau auf die Finanz- und Kapitalmärkte zutrifft, und die Verfügbarkeit von Informationen und Wissen enorme Ausmaße erreicht hat, wird niemand bestreiten. Auch gilt, dass weder der globale Strom kultureller Materialien noch die weltweiten Bevölkerungsbewegungen an den Grenzen nationalstaatlich organisierter Gesellschaften halt machen.

"Baywatch" findet in Kyoto ein ebenso treues Publikum wie in Moskau oder Mexiko-City, und die Botschaft des islamischen Fundamentalismus ist in Berlin nicht weniger deutlich zu hören als in Istanbul, Karatschi oder Teheran. Irritierend freilich ist die Tatsache, dass wir gleichzeitig auch das genaue Gegenteil wahrnehmen, dass Entgrenzung mit neuen Grenzziehungen, und dass die Auflösung lokaler Kulturen mit der globalen Aufwertung von Lokalität Hand in Hand gehen.

Die hochgetrieben Städtekonkurrenz im Rahmen einer maßlosen Ökonomie der Aufmerksamkeit ist nur ein Beispiel. Die Denationalisierung der Ökonomie, der die Renationalisierung, etwa in den Feldern der Migrations- und Sozialstaatspolitik auf dem Fuße folgt, ist ein anderes. Kurz: Der globale Fließraum fließt nicht so recht.
McDonald's ist nicht gleich McDonald's
Ähnliches gilt für Zeitdiagnosen, die kulturelle Globalisierung als Homogenisierung ausbuchstabieren. Was machen wir mit dem starken Bild der einen, über Kapital, Technik und Informationsmedien integrierten Welt angesichts des enormen Flickenteppichs lokaler Kulturen.

Glauben wir wirklich, dass ein global zirkulierendes Image wie der Film "Evita- Madonna" von Frauen in einem somalischen Flüchtlingslager in gleicher Weise wahrgenommen und gedeutet wird wie von US-amerikanischen Feministinnen?

Macht die beliebte Formel der McDonaldisierung der Welt nicht vorschnell vergessen, dass McDonald's an verschiedenen Orten, äußerst Verschiedenes meint. Die globalen kulturellen Ströme sind eines und ihre Relevanz für die Transformation von Wirklichkeitskonstruktionen ist nicht von der Hand zu weisen.

Ihre soziale und kulturelle Neu-Verortung ist etwas anderes, etwas, das auf die Bedeutung ortsbezogener, kultureller Wissensproduktion und sozialer Praktiken verweist.

[10.10.07]
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Über den Autor
Helmuth Berking ist Professor für Soziologie an der Technischen Universität Darmstadt. Publikationen (u.a.): Sociology of Giving, London 1999; gem. mit Richard Faber (Hg.), Städte im Globalisierungsdiskurs, Würzburg 2002; gem. mit Martina Löw (Hg.), Die Wirklichkeit der Städte, Baden-Baden 2005; (Hg.), Die Macht des Lokalen in einer Welt ohne Grenzen, Frankfurt/Main 2006. Mitherausgeber der Zeitschrift "Ästhetik und Kommunikation".
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01.01.2010