News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 
Der Fairtrade-Boom: Comeback des Politischen  
  Wie kann man im Zeitalter wirtschaftlicher Globalisierung für fairen Handel und Gerechtigkeit sorgen? Die angebotenen Lösungsansätze sind vielfältig, stimmen jedoch in einem Punkt überein: Es bedarf eines aktiven Eingreifens seitens der Politik, meinen Christian Eigner und Michaela Ritter, Leiter eines Fairtrade-Projekts in Graz, in einem Gastbeitrag.  
Zurück zur Politik!
Von Christian Eigner und Michaela Ritter

Gerechtigkeit und (Welt-)Handel scheint aktuell zum Großthema zu werden, wie die Titelgeschichten führender deutschsprachiger Zeitungen aus der jüngsten Vergangenheit nahelegen: Wirtschaftlich fair zu sein gilt offensichtlich wieder etwas.

Was umso erstaunlicher ist, als ein ganzes Jahrzehnt lang ein Globalisierungsdiskurs geführt wurde, der in eine ganz andere Richtung ging. Sein Hauptkennzeichen war die Klage, die sich mit Hoffnungslosigkeit vermengte: Nicht nur sei die Weltwirtschaft ungerecht und brutal, hieß es regelmäßig (und ganz zu Recht).

Zugleich wurde direkt oder indirekt vermittelt, dass diese Ungerechtigkeit und Brutalität Schicksal seien, dem man nur radikalen Widerstand entgegensetzen könnte - oder das man nur in Nischen alternativen Wirtschaftens zu unterlaufen vermag. Also etwa in eigenen Fairtrade-Organisationen, die durch Veränderung einzelner Wertschöpfungsketten partiell die Ungerechtigkeit des globalen Kapitalismus zu reduzieren im Stande sind.
...
Christian Eigner und Michaela Ritter betreiben in Graz das "Büro für PerspektivenManagement", das das Projekt "UN/FAIR TRADE. Die Kunst der Gerechtigkeit" wissenschaftlich und redaktionell betreut hat. Das Projekt ist der aktuelle Beitrag der Neuen Galerie Graz zum "steirischen herbst" 2007. Das Ausstellungsprojekt wird künstlerisch von Peter Weibel und Günther Holler-Schuster kuratiert; Christian Eigner fungiert als wissenschaftlicher Kurator.
->   UN/FAIR TRADE
...
Von wegen Schicksal
Diese Argumentationsweise hatte nicht nur den Effekt, dass speziell Fairtrade als ein engagiertes, aber wenig schlagkräftiges System erschien, das bestenfalls ein Anhängsel, ein Supplement des internationalen Kapitalismus darstellt, aber nicht dessen "innersten Kern" tangiert:

Ebenso hatte es zur Folge, dass sich jeder Glaube an eine politische Gestaltung der Globalisierung zu verflüchtigen begann und sich Politiker aller Ausrichtungen in ihrem jammervollen "Wir können nichts tun" weiter bestätigt sahen.

Doch nun scheint dieses quasi-apokalyptische Denken allmählich wieder durch konstruktivere Ansätze und Logiken ersetzt zu werden. Den Anfang machten dabei Ökonomen wie Amartya Sen oder Joseph Stiglitz, die mit der größten Selbstverständlichkeit eine stärkere Rolle des Staates und der Politik im Globalisierungsprozess einforderten. Allerdings haben sich nicht nur diese beiden von der Globalisierungsklage der vergangenen 10, 12 Jahre verabschiedet.
Nicht weniger, sondern mehr staatliche Macht
Auch andere Forscherinnen und Forscher beginnen systematisch das Primat des Politischen wieder herzustellen. So z.B. Saskia Sassen, eine der wohl profiliertesten GlobalisierungstheoretikerInnen der Gegenwart.

In ihrem Beitrag zu dem Katalogbuch "UN/FAIR TRADE. Die Kunst der Gerechtigkeit", das die gleichnamige aktuelle Ausstellung in der Neuen Galerie Graz begleitet, lässt sie keine Zweifel darüber offen, dass die gängige Globalisierungsdiskussion zu pessimistisch und einseitig ausgerichtet ist. Speziell die Entmachtung des Staates wurde in dieser überbetont und vor allem überbewertet:

Sassens Ansicht nach geht der Nationalstaat keineswegs geschwächt aus der bisherigen Globalisierung hervor, im Gegenteil: seine Macht hat sogar noch zugenommen. Im Zuge der Globalisierung sind nämlich viele Teilbereiche des Staates entnationalisiert worden, beispielsweise die Gerichtsbarkeit.

Genau dadurch jedoch hat der Nationalstaat - und mit ihm seine Bevölkerung - aber die Möglichkeit erhalten, auf der internationalen politischen Ebene aktiv zu werden.
Beispiel Arbeitsrecht
Es ist heute möglich, etwa auf (institutioneller) europäischer Ebene einen amerikanischen Konzern zu klagen, der auf vier Kontinenten aktiv ist und z.B. in Spanien gegen Menschen- wie Arbeitsrechte verstoßen hat. Wobei die klagenden Parteien nicht nur aus Spanien, sondern auch aus Italien oder vielleicht auch aus den USA selbst und Afrika kommen können.

Und sollte der EU-Level für die Kläger nicht erreichbar sein, so verfügen auch lokale Gerichte dank der internationalen Verflechtung des Rechts über die Möglichkeit, solche Prozesse abzuwickeln.

Selbst wenn im Zuge solcher Prozesse, so Sassen, nicht immer all jene Ziele erreicht werden, die ursprünglich angestrebt wurden - meist wird durch solche Klagen eine größere oder kleinere Veränderung bewirkt. Womit nationalstaatliche Institutionen sehr wohl über Mittel verfügen, Einfluss auf die Globalisierung zu nehmen - und sie prinzipiell in Richtung Gerechtigkeit und Fairness entwickeln können.
Ziel: Global tätige Institutionen
Freilich darf diese Nutzung nationalstaatlicher Institutionen nur ein Anfang sein. So wie auch eine andere Zollpolitik nur ein Anfang für eine neue, gerechtere Weltwirtschaft sein darf. Was es darüber hinaus anzustreben gilt, ist der Bau neuer Institutionen, die auf globaler Ebene aktiv werden.

Und dort beispielsweise mit gesetzlichem Auftrag überprüfen, ob die Produktionsweisen eines Pharma- oder Bekleidungskonzerns die de facto seit 100 Jahren außer Streit gestellten Werte bezüglich des Umgangs mit MitarbeiterInnen erfüllen oder das eben nicht tun. Die Entwicklung dieser notwendigen Institutionen ist Sache der Politik, ja: stellt deren ureigenste Leistung dar, und wer meint, dass die Politik das heute nicht mehr leisten kann, hat wohl das Wesen der Politik nicht verstanden.

Denn deren Kunst besteht weniger darin, Medien-Politik (im Sinne einer erschlagenden Medienpräsenz) oder Strukturverwaltung zu betreiben, sondern gerade dort (politische) Strukturen zu schaffen, wo sie noch nicht bestehen und auch nur mit viel Arbeit und unter unzähligen Konflikten und Rückschlägen geschaffen werden können.

"Politik als Arbeit" wird diese Art der Politik in UN/FAIR TRADE bezeichnet - oder als Neo-Politik, die keine Heilsversprechungen macht, aber engagiert mit der Arbeit einer Globalisierungsgestaltung beginnt.
Korrektur der Wertschöpfungsketten
Und Organisationen wie Fairtrade? Kommt diesen in diesem Zusammenhang keine Bedeutung zu? Das ist damit noch keineswegs gesagt. So ist beispielsweise Wolfgang Sachs vom "Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie" der Ansicht, dass die heutigen Fairtrade-Organisationen erst der Beginn einer kommenden Breitenbewegung sind.

Unter anderem deshalb, weil sie sich an der richtigen Stelle in die Weltwirtschaft einmischen, und zwar innerhalb der Wertschöpfungsketten, die heute - kontinentübergreifend - ja das Herzstück der internationalen Produktion und Wirtschaft darstellen.

In diesen Ketten wird von Fairtrade-Organisationen durch konkrete Maßnahmen dafür gesorgt, dass die Rohstoffproduzenten - z.B. kleine Kaffeebauern - bessere Preise bezahlt bekommen und nicht die Verlierer der Wertschöpfung sind. Was laut Sachs effektiver als jede Entwicklung politischer Institutionen ist, da zumindest die WTO längst in einer Sackgasse angekommen ist.
Umdenken hat bereits begonnen
Und dennoch: Immer wieder geht es letztlich um Fragen und Aufgaben der Politik, da der fundamentale Bruch zwischen Norden und Süden nach wie vor darin besteht, dass der Süden - und ganz speziell Afrika - nur allzu oft als Rohstoffproduzent fungiert, während der Norden durch die Veredelung von Gütern seinen Reichtum generiert.

Soll sich das verändern, müssen neue Strukturen entstehen, die es z.B. einer afrikanischen Wirtschaft erlauben, einen höheren Differenzierungsgrad zu erreichen und die Fixierung auf Rohstoffproduktion hinter sich zu lassen. Denn wo Differenzierung ist, können sich auch neue (wissenbasierte) Märkte entfalten, die eine Beschäftigungs- und Wohlstandsdynamik in Gang bringen.

Solche Strukturen - z.B. ein öffentliches Bildungssystem oder ein öffentliches Gesundheitswesen - kosten allerdings Geld und benötigen einen politischen Rahmen. Soll sich der Graben zwischen Norden und Süden also tatsächlich verkleinern, ist ein Comeback der Politik unumgänglich. Die aktuelle Diskussion um fairen Handel spricht dafür, dass dieses Comeback bereits begonnen hat.

[12.10.07]
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010