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Kakerlaken "verbrüdern" sich mit Robotern  
  Belgische und Schweizer Forscher haben Roboter gebaut, die Schaben hinsichtlich Verhalten und Geruch imitieren. Versuche zeigen: Das genügt, um das Gruppenverhalten der Insekten komplett umzupolen.  
Sozialverhalten in Formeln
 
Bild: ULB-EPFL

Wie Kakerlaken sieht der Roboter auf obigem Bild zwar nicht aus. Dennoch wird er von den Insekten als Ihresgleichen akzeptiert, in gewisser Weise ist er sogar ein Insekt.

Das kam so: Der belgische Biologe Jose Halloy beschäftigt sich schon seit Längerem mit dem Sozialverhalten von Tieren. Allerdings nicht wie es ein Verhaltensforscher tun würde, durch Beobachtung im Freiland etwa. Er interessiert sich für Modelle, für mathematische Formeln, die den Kern von Verhaltensweisen herausschälen.

Der Kern des Gewusels, das sich etwa bei der Suche nach einem geeigneten Unterschlupf abspielt, sieht folgendermaßen aus: Die Kakerlaken bewegen sich zunächst mehr oder weniger zufällig in der Landschaft und bleiben gerne dort sitzen, wo es möglichst dunkel ist. Das weiß jeder, der schon einmal im Hotelzimmer Bekanntschaft mit Küchenschaben gemacht hat: Dreht man das Licht auf, nehmen sie Reißaus.

Und sie tun das offenbar nicht unabhängig von ihrer sozialen Umwelt. Unterschlupfe, in denen sich bereits andere Artgenossen befinden, sind für sie besonders attraktiv.
Parfum wirkt als Tarnkappe
Das Ganze lässt sich auch in das Verhaltensinventar von Robotern einspeisen, sofern man es in entsprechende Formeln übersetzt. Halloy und seine Mitarbeiter haben das getan und die dergestalt instruierten Miniroboter in ein Kakerlakengehege platziert (Science Bd. 318, S. 1155). Die erste Reaktion der Insekten: Flucht. Kein Wunder, denkt man, immerhin sind die Roboter auch nicht sehr insektoid gestaltet.

Dabei dürfte offenbar gar nicht die Optik entscheiden, sondern der Geruch. Als nämlich Haloy und Kollegen mit Kakerlaken-Pheromonen getränkte Löschblätter auf die Roboter klebten, wandelte sich das Bild völlig. Die Schaben krabbelten neben den Maschinen durch das Gehege, als wäre es das Natürlichste auf der Welt.
Suche nach Unterschlupf
 
Bild: ULB-EPFL

Das zeigte sich etwa in einem Versuch, bei dem die Tiere Schutz unter zwei roten Schirmen suchten (Bild oben). Die Maschinen schienen voll integriert, die gemischte Gruppe verhielt sich, als bestünde sie nur aus Insekten.

Versuch Nummer zwei wies ein altes Prinzip der Selbstorganisation nach: Zielorientiertes und geordnetes Handeln ist auch dann möglich, wenn es keinen Führer in der Gruppe gibt. Als die belgischen Biologen einen der beiden Schirme abdunkelten, war er nach kurzer Zeit dreimal so stark frequentiert wie der andere.

Die Erklärung dafür ist in der Tat simpel. Kakerlaken halten sich länger an einem Ort auf, sofern er dunkel ist, und sie gehen gerne dorthin, wo es nach Artgenossen riecht. Mehr ist da nicht: keine Hierarchie, kein höherer Gemeinsinn, keine steuernde Einflussquelle.
Maschinen werden Teil des Kollektivs
Bis zu diesem Punkt könnte man noch immer sagen: Die Roboter mit Pheromonparfum sind lediglich geduldete Fremdkörper im Kollektiv, Mitläufer quasi. Auch wenn man es in der vereinfachten Laborwelt nicht sieht, gehen die eigentlichen Verhaltensimpulse doch von den echten Insekten aus. Der letzte Versuch legt nahe, dass dieser Einwand nicht zutrifft.

Halloy und Mitarbeiter polten die Präferenz der Maschinen um, statteten sie mit einer Vorliebe für Licht und Helligkeit aus und schickten sie erneut auf die Piste. Die echten Schaben blieben davon tatsächlich nicht unbeeinflusst. Obwohl sie an sich lichte Orte meiden, folgten sie ihren künstlichen Genossen unter den hellen Schirm - abzulesen auch am Bevölkerungsverhältnis der beiden Schirme: Aus 3:1 wurde 2:3.
Auch bei Säugern möglich?
"Diese Arbeit ist in vielerlei Hinsicht ein großer Schritt für das Studium kollektiven Verhaltens", sagt der Verhaltensbiologe Stephen Pratt von der Arizona State University gegenüber dem Fachjournal "Science" (Bd. 318, S. 1055). Sein schwedischer Fachkollege David Sumpter aus Uppsala pflichtet ihm bei: "Das ist ein schönes Beispiel für automatisierte Führerschaft. Anstatt die Kakerlaken wie Schäferhunde zusammenzutreiben, dirigieren sie sie durch soziale Anziehung um."

Einzig der Insektenforscher Coby Schal ist etwas skeptisch. Seiner Ansicht nach könnten die Schaben den Robotern auch deswegen gefolgt sein, weil deren Anwesenheit etwas Abwechslung in die Ödnis der Laborlandschaft bringt. Die "strukturelle Komplexität des Lebensraumes" sei ein Faktor, den man nicht übersehen dürfe, meint er.

Dieser Einwand sollte relativ leicht zu überprüfen sein. Halloy und Mitarbeiter indes streben schon nach Höherem. Sie wollen mittelfristig ähnliche Versuche mit Säugetieren machen.

Robert Czepel, science.ORF.at, 16.11.07
->   Jose Halloy
->   Schaben - Wikipedia
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01.01.2010