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Spiegeltherapie hilft bei Phantomschmerzen  
  Patienten, die an Phantomschmerzen leiden, kann durch eine sogenannte Spiegeltherapie geholfen werden, berichten US-Mediziner. Die Therapie arbeitet mit der Illusion, der amputierte Körperteil sei noch vorhanden. Das lindert offenbar den Schmerz.  
Kopfsache Schmerz
Ungefähr 90 Prozent aller Menschen, denen im Lauf des Lebens ein Körperteil amputiert worden ist, berichten von bisweilen unerträglichen Schmerzen in dem nunmehr fehlenden Körperteil. Phantomschmerz nennt man dieses Phänomen, das es auf den ersten Blick gar nicht geben dürfte: Denn wie kann etwas schmerzen, das gar nicht mehr da ist?

Verständlich wird das Ganze erst, wenn man sich bewusst macht, wie wichtig das Gehirn bei diesem Vorgang ist. Schneidet man sich beispielsweise in den Finger, werden dabei freie Nervenenden in der Haut gereizt. Sie leiten das Alarmsignal über spezielle Nervenbahnen bis ins Hirn.

Zwar gibt es dort kein eigentliches Schmerzzentrum, dennoch entsteht erst dort jene bewusste Empfindung, auf die wir mit "Aua!" reagieren. Kurz gesagt: Bewusster Schmerz spielt sich weitgehend im Kopf ab, auch wenn wir das Gefühl haben, er "sitzt" im Fuß oder im Rücken.
Hirnregionen ohne Aufgabe
So kann man auch erklären, warum z.B. Gliedmaßen Jahre nach ihrer Amputation Probleme machen: Es handelt sich um eine Fehlfunktion jener Hirnregionen, die für den einst vorhandenen Körperteil zuständig waren. Was dabei genau passiert, ist noch Gegenstand von Debatten.

Eine Hypothese lautet etwa, dass sich im Gehirn eine Art Schmerzgedächtnis ausbildet, das auch in Abwesenheit des entsprechenden Körperteils weiter aktiv ist. Ebenfalls diskutiert wird die Ansicht, dass der Phantomschmerz durch die Reorganisation der nunmehr "arbeitslosen" Hirnbereiche ausgelöst wird.
Hypothese: Phantomschmerz durch Konflikt
Jack Tsao von der Uniformed Services University of the Health Sciences in Bethesda neigt hingegen einer anderen Interpretation zu. Er vermutet, dass Phantomschmerzen Ausdruck eines inneren Konflikts sind. Der entsteht beispielsweise dann, wenn das Hirn Bewegungskommandos an das Phantomglied sendet. Normalerweise werden diese Befehle sofort durch die Körperwahrnehmung bestätigt.

Da diese Bestätigung bei amputierten Gliedern ausbleibt, reagiert das Hirn mit einem Alarmsignal. Eine andere Variante der Konflikthypothese konzentriert sich auf die Widersprüche zwischen der visuellen Wahrnehmung und dem Körperempfinden.

Auch wenn der amputierte Körperteil objektiv gesehen nicht mehr da ist, existiert er in der subjektiven Wahrnehmung vieler Patienten als Phantom weiter. Eine Auflösung dieses Widerspruches sollte daher den Schmerz lindern, folgerte Tsao - und startete einen entsprechenden Versuch.
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"Mirror Therapy for Phantom Limb Pain" von Jack Tsao et al. ist im "New England Journal of Medicine" erschienen (Band 357, S. 2206; 22.11.07).
->   Zur Studie (Pdf-File)
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Versuch erfolgreich
Er teilte 18 Patienten, die einen Fuß oder ein Bein verloren hatten, in drei Therapiegruppen. Bei einer begann er mit einer sogenannten Spiegeltherapie, bei der das Bild des gesunden Körperteils an den Ort des amputierten projiziert wird. Dadurch entsteht die Illusion, der Körper sei vollständig.

Tsao ließ die Probanden vier Wochen lang Bewegungsübungen mit dem Phantomglied durchführen. Das machten auch die Mitglieder der anderen beiden Gruppen, allerdings in Variation. Bei Gruppe zwei war der Trickspiegel zwar vorhanden, aber mit einem Vorhang bedeckt. Gruppe drei führte die Bewegungen überhaupt nur im Geiste aus.
Erklärung noch ausständig
Vier Wochen später zeigte sich: In der Spiegelgruppe waren die Schmerzen tatsächlich zurückgegangen, in den beiden Kontrollgruppen hingegen nicht. Das spricht dafür, dass der Phantomschmerz tatsächlich auf einem Wahrnehmungskonflikt beruht. Was bei dessen Linderung im Gehirn vorgeht, wissen die Forscher noch nicht.

Es könnte jedoch sein, dass der Therapieeffekt etwas mit sogenannten Spiegelneuronen zu tun hat. Diese Nervenzellen werden sowohl dann aktiv, wenn man Bewegungen ausführt, als auch dann, wenn man sie lediglich sieht. Daher kommt auch ihr Name: Sie spiegeln quasi eine beobachtete Bewegung in der Großhirnrinde des Zuschauers.

[science.ORF.at, 23.11.07]
->   Phantomschmerz - Wikipedia
->   Jack Tsao
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01.01.2010