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Evolution des Menschen verläuft immer schneller  
  Evolution ist nichts Historisches: Sie spielt sich vor unseren Augen ab, auch bei uns Menschen. Das Ausmaß der natürlichen Selektion unserer Spezies hat nun ein internationales Biologenteam quantifiziert. Die treibenden Kräfte dahinter sind zum einen die enorme Bevölkerungszunahme in den vergangenen Jahrtausenden, zum anderen die Kultur, die unsere Lebensgewohnheiten dramatisch verändert hat.  
Seit dem Ende der Steinzeit vor rund 5.000 Jahren ist die Evolutionsrate 100 Mal schneller abgelaufen als in allen Perioden der Menschheit zuvor, berichtet ein Team um den Anthropologen John Hawks von der Universität Wisconsin-Madison.
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Die entsprechende Studie "Recent acceleration of human adaptive evolution" erscheint zwischen 11. und 14. Dezember 2007 online in den "Proceedings of the National Academy of Sciences" (doi: 10.1073/pnas.0707650104).
->   Studie (sobald online)
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Rein quantitativ ein Erfolg
Die Geschichte der Menschheit ist rein quantitativ eine Erfolgsgeschichte. Vor 10.000 Jahren, am Ende der Eiszeit, bevölkerten einige Millionen Menschen den Globus, um Christi Geburt waren es vermutlich 200 oder 300 Millionen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts überschritt die Zahl erstmals die Milliardengrenze, zurzeit geht man von 6,6 Milliarden Erdenbürgern aus.

Der Zusammenhang zwischen Populationsgröße und natürlicher Selektion war einer der Grundannahmen bereits von Charles Darwin. Je mehr Individuen eine Population umfasst, desto größer ist der Genpool, und desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich positive Genmutationen durchsetzen.
HapMap: Katalog genetischer Unterschiede
Was Darwin nicht zuletzt hinsichtlich des Züchtungserfolgs von Rinderherden beschrieb, haben Hawks und seine Kollegen nun anhand einer besonderen Spezies untersucht: dem Menschen.

Dazu analysierten sie Daten des Internationalen HapMap-Projekts. Seit fünf Jahren werden dabei die genetischen Ähnlichkeiten und Unterschiede von Menschen katalogisiert, die aus verschiedenen Bevölkerungen rund um den Globus stammen.

HapMap zielt in erster Linie auf die Identifizierung von Genen, die mit Krankheiten in Verbindungen stehen, die Daten können aber auch zur Analyse der genetischen Abstammung verwendet werden.
Sieben Prozent der Gene erst "kürzlich" mutiert
Hawks und seine Kollegen konzentrierten sich auf die Untersuchung von sogenannten "Single Nucleotide Polymporphisms (SNP)", die die individuellen Unterschiede der DNA markieren.

Knapp vier Millionen solcher SNPs von 270 Individuen, die aus China, Japan, Afrika und Nordeuropa stammten, haben sie untersucht.

Mit einer speziellen Methode ("linkage disequilibrium") entdeckten sie rund 1.800 Gene, die einer besonders schnellen und in den vergangenen Jahrtausenden erfolgten Evolution unterliegen - das sind sieben Prozent aller menschlichen Gene.
Geringerer oder größerer Selektionsdruck?
Wie Hawks in einer Aussendung betont, laufe dies einer Reihe prinzipieller Annahmen zuwider. So weiß man, dass die Menschen in den vergangenen Zehntausenden von Jahren physisch schwächer geworden sind, und ihre Gehirne sowie Zähne kleiner.

Das gilt gemeinhin als Zeichen geringeren Selektionsdrucks, Größe und Kraft waren nicht mehr der alleinige Schlüssel zum Überleben.

In anderen Bereichen hat sich laut Hawks die Geschwindigkeit der Evolution aber dramatisch erhöht: In erster Linie reagierten die Gene dabei auf Entwicklungen der Kultur.
Landwirtschaft beeinflusste Laktase-Gen
Das bekannteste Beispiel ist das Gen, das für die Produktion des Enzyms Laktase zuständig ist. Laktase ist für die Verdauung von Milch notwendig, seine Produktion wurde ursprünglich im zweiten Lebensjahrzehnt eingestellt.

Vor rund 5.000 Jahren entwickelten aber Nordeuropäer ein Gen, das es ermöglichte, unser gesamtes Leben Milch zu trinken und den Milchzucker abzubauen - eine direkte Folge der Sesshaftwerdung und der landwirtschaftlichen Produktionsmethode unserer Vorfahren.
Genetisch immer unterschiedlicher
Die größte Beschleunigung der menschlichen Evolution hat sich laut Hawks aber mit der Resistenz gegen verschiedene Krankheiten ergeben. Als Reaktion auf epidemische Krankheiten wie Pocken, Malaria oder Cholera in immer größeren Bevölkerungsgruppen habe sich eine Reihe von Resistenzen entwickelt.

Der Mensch, so die Schlussfolgerung der Forscher, differenziere sich genetisch unter dem Einfluss seiner Kultur und den wachsenden Bevölkerungszahlen immer stärker aus.

"Wir unterscheiden uns genetisch von Menschen der Steinzeit viel stärker, als sich diese von den Neandertalern unterschieden haben", fasst es Hawks zusammen.

[science.ORF.at, 11.12.07]
->   Linkage disequilibrium (Wikipedia)
->   HapMap
->   John Hawks Blog
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Intelligenzvergleich Affe-Mensch: Sozialfaktor sticht (7.9.07)
->   Selektion: Individuum oder Gruppe? (11.10.06)
->   Ist der Darwinismus eine säkulare Religion? (24.2.06)
 
 
 
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01.01.2010