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US-Forscher mobilisieren gegen Kreationisten  
  Kreationismus und Intelligent Design (ID) sind in den USA massiv auf dem Vormarsch. Die Wissenschaft hingegen gerät in der Diskussion um Darwins Evolutionstheorie und die göttliche Schöpfung immer mehr ins Hinterfeld. Amerikanische Wissenschaftsgesellschaften mobilisieren nun gegen die Kampfansage der bibeltreuen evangelikalen Christen.  
Journals starten Offensive
Zwei der renommiertesten Wissenschaftsjournals, die "Proceedings of the National Academy of Sciences" (PNAS) und das Journal der "Federation of American Societies for Experimental Biology" (FASEB), blasen in ihren Jänner-Ausgaben zur Offensive.

Vor allem richtet sich das Engagement der Zeitschriften gegen die Bestrebungen der Kreationisten und ID-Propagandisten, ihre Ansicht, wonach alles Leben das Produkt eines "intelligenten Designers" und nicht das Ergebnis der Evolution sei, zur gültigen Lehrmeinung an amerikanischen Schulen zu machen.
Mehr Engagement im Unterricht
Gleichzeitig läuft eine Koalition von 17 amerikanischen Organisationen - darunter sind auch die "National Academy of Sciences", das "American Institute of Physics", und die "National Science Teachers Association" - Sturm gegen die Kreationisten: "Der Evolutions-Unterricht ist ein 'Muss'", so die Koalition.

Die illustre Runde an renommierten Organisationen ruft die scientific community dazu auf, sich mehr in den Wissenschaftsunterricht einzubringen, vor allem in jenen rund um die Evolution. Die Einführung von "Nicht-Wissenschaft" wie Kreationismus und ID in den wissenschaftlichen Unterricht werde ansonsten die Fundamente der wissenschaftlichen Lehre untergraben, befürchten die Organisationen.
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Besorgnis erregende Umfrage
Die Koalition bezieht sich dabei auf einen Artikel in der Jänner-Ausgabe des FASEB-Journals zu einer jüngst erschienenen nationalen Studie unter 1.000 US-Wählern über deren Einstellung zur Wissenschaft, deren Vorstellung von der Evolutionsforschung und deren Meinung, wie die scientific community am besten den Evolutionsunterricht unterstützen können. Das Ergebnis der Studie skizziert ein dramatisches Bild: Die meisten Befragten würden einen Evolutionsunterricht auf Basis des Kreationismus oder ID bevorzugen.
->   Zum Original-Artikel (kostenpflichtig)
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Evolution als Wahlkampfthema
Die Ablehnung der Evolution in weiten Teilen der Bevölkerung in den USA ist nun auch verstärkt zum Wahlkampfthema geworden. Laut einer Umfrage des Gallup-Instituts stehen 68 Prozent der republikanischen Wähler im Lager der Kreationisten.

So kann sich etwa Mike Huckabee über tolle Quoten freuen: Der "Aufsteiger" unter den Präsidentschaftskandidaten gehört zu den Befürwortern des kreationistischen Gedankenguts. Der Republikaner, der längst als Konkurrent des Favoriten Rudy Giuliani gilt, macht keinen Hehl aus seiner Gesinnung und verwendet diese auch in seinen Wahlkampf-Reden.
Rhetorik fällt auf fruchtbaren Boden
Und die potenzielle Wählerschaft ist groß: Die Mehrzahl der Amerikaner glaubt nämlich, dass die biblische Schöpfung ganz real stattgefunden hat. Das zumindest besagen die meisten Umfragen der vergangenen 20 Jahre. Und: Nicht einmal jeder zweite glaubt nach einer kürzlich erstellten Erhebung des Pew Research Center, dass sich der Mensch aus anderen Arten entwickelt hat.
->   Pew Research Center
Wissensvermittlung auf Basis von Fakten gefragt
"Die Conclusio ist, dass die Welt rund ist, Menschen von einer ausgestorbenen Spezies abstammen und Elvis tot ist", resümiert Gerald Weismann, Chefredakteur des FASEB-Journals.

"Die Studie ist ein Weckruf für jeden, der die Wissensvermittlung auf Grundlage von Beweisen anstatt von Spekulation und Hoffnung vorzieht. Die Menschen wollen die Wahrheit hören. Und sie wollen es von den Wissenschaftlern hören."
Wissenschaft muss Antworten liefern
Im Editorial der jüngsten Ausgabe der "Proceedings of the National Academy of Sciences" (PNAS) findet auch der Evolutionsbiologe Francisco J. Ayala klare Worte für die Aufgabe seiner Kollegen: Es gilt, Antworten zu liefern auf die Fragen vieler Menschen zur biologischen Evolution.

Denn: "Vielen wurde gesagt, dass das wissenschaftliche Verständnis inkorrekt oder zumindest zweifelhaft sei", führt der Wissenschaftler vom Institut für Ökologie und Evolutionäre Biologie der Universität von Kalifornien aus. "(...) Gläubige Menschen fragen sich, ob die Akzeptanz der Evolution mit ihrem religiösen Glauben vereinbar sei."
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Neuerscheinung eines Standardwerks
Konkreter Anlass für den Aufruf Ayalas ist die Neuerscheinung der überarbeiteten Auflage von "Science and Creationism: A View from the National Academy of Sciences". Das Kompendium, das nun den prägnanten Titel "Science, Evolution, and Creationism" trägt und am 4. Jänner 2008 veröffentlicht wird, liefert in drei Kapiteln einen ausführlichen Einblick in die wesentlichen Eckpunkte der hitzigen Kulturdebatte: die Grundlagen evolutionärer Prozesse, die wissenschaftlichen Belege für die Evolutionstheorie aus dem Blickwinkel verschiedenster Disziplinen und eine Ausführung in "Intelligentes Design" und andere kreationistische Ansichten.
->   Details zum Buch
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Hilfe für Pädagogen und Lehrer
Das letzte Kapitel über "Intelligent Design" diene vor allem dazu, "wissenschaftliche und legale Gründe gegen die Lehre von Kreationismus in den Wissenschaftsklassen an öffentlichen Schulen herausstreichen zu können", so Ayala. Das Buch solle eben jene Antworten zur Evolutionsbiologie liefern, die die Wissenschaft der Gesellschaft noch schuldig ist.

"Es wurde geschrieben, um eine Informationsquelle und eine Ressource für jene Menschen bereitzustellen, die in die Debatte über die Evolution verwickelt sind", so der Autor. "Es soll eine Hilfe für Mitglieder von Schulausschüssen, Wissenschaftslehrern und Pädagogen, Politikern und anderen Mitgliedern der Gemeinschaft sein, die Schüler und Studenten mit qualitativer wissenschaftlicher Lehre versorgen sollen."
Alte Diskussion
Die in den 80iger Jahren neu entflammte Auseinandersetzung zwischen den Anhängern der Evolutionstheorie und den Kreationisten ist eine alte Debatte, die bereits Anfang des 19. Jahrhunderts beginnt, wie Ayala im Editorial ausführt.

Letztlich ging es damals wie heute um dasselbe Thema - mit dem Unterschied, dass sich die Kreationisten diesmal nicht Kreationisten nennen, sondern versuchen, ihre Idee als "Intelligent Design" unters Volk zu bringen.
Gott wird nicht explizit genannt
Die Botschaft: Das heutige Leben in all seiner Komplexität kann nicht das Produkt einer "zufälligen" Evolution im Sinne von Mutation und Selektion sein, sondern müsse von einer übernatürlichen Intelligenz geschaffen worden sein.

Gott wird - strategisch klug - nicht explizit genannt. Denn der Oberste Gerichtshof der USA hat 1968, 1982 und zuletzt 1987 entschieden, dass Kreationismus an staatlichen Schulen nichts zu suchen hat - nicht einmal als Ergänzung zur Evolutionstheorie. Alles andere verletzt die in der Verfassung garantierte Trennung zwischen Kirche und Staat.
Aufruf des Europarats
Kreationistische Ansichten finden sich aber nicht mehr nur im US-amerikanischen Raum. Längst greifen die ID-Vorstellungen auch auf Europa über. Der Europarat warnt daher vor der Verbreitung kreationistischer Thesen in europäischen Schulen.

Die Parlamentarier-Versammlung richtete im Oktober 2007 an die 47 Europaratländer die Aufforderung, "mit aller Entschiedenheit gegen die Einbeziehung des Kreationismus in den Unterricht als gleichberechtigte Wissenschaftsdisziplin neben der Evolutionstheorie anzugehen."

Eva-Maria Gruber, 3.1.08
->   Francisco J. Ayala (University of California)
->   "Proceedings of the National Academy of Sciences" (PNAS)
->   Stellungnahme des Europarats zum Kreationismus
Mehr zum Thema in science.ORF.at:
->   Leidenschaftliches Plädoyer gegen den "Gotteswahn" (11.9.07)
->   Umfrage: Kreationismus in USA weit verbreitet (12.6.07)
->   Umfrage: Jeder achte künftige Lehrer zweifelt an Darwin (25.4.07)
->   Papst: Wissenschaft kann Evolution nicht vollständig erklären (12.4.07)
 
 
 
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01.01.2010