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Pannenhilfe für Nanomaschinen  
  Nanomaschinen kann man nicht beliebig klein bauen, weil deren Bauteile ansonsten verkleben, hieß es bisher unter Berufung auf die Quantentheorie. Deutsche Physiker haben nun ein Gegenmittel zu dem störenden Effekt entwickelt. Das könnte die Limits der Nanotechnologie weiter nach unten drücken.  
Vakuum nur fast leer
Wie heißt es so schön? Von nichts kommt nichts. Der Satz mag stimmen, in der Physik gibt es allerdings Fälle, wo er nachweislich nicht gilt. Etwa beim Casimir-Effekt, der seine Existenz der Tatsache verdankt, dass das Vakuum - im Alltagsverständnis völlig leerer Raum - nicht wirklich leer ist, sondern die sogenannte Vakuumenergie in sich trägt. Diese ist notorisch unruhig, sie fluktuiert, es entstehen fortlaufend Teilchen-Antiteilchen-Paare, die kurz darauf wieder verschwinden.
Kraft aus dem Nichts
Wir merken freilich nichts von alledem, aber in der Mikrowelt hat das Zittern der Vakuumenergie sehr wohl Auswirkungen. Der niederländische Physiker Hendrik Casimir sagte bereits im Jahr 1948 die Existenz einer Kraft voraus, die gewissermaßen aus dem Nichts entsteht, sofern man zwei Metallplatten im Vakuum ganz knapp nebeneinander platziert. Der Grund dafür: Die Anwesenheit der beiden Platten schiebt dem Kommen und Gehen virtueller Teilchen einen Riegel vor.

Zwischen ihnen können nämlich nur solche Teilchen (bzw. Wellen) entstehen, deren Wellenlänge in einem bestimmten Zahlenverhältnis zur Größe des Zwischenraumes steht. (In etwa so, wie bei einer Violine nur dann Resonanz entsteht, sofern die Schwingungen der Saiten zur Größe des Holzkörpers passen.)

Außerhalb der Platten gilt diese Einschränkung nicht, weswegen dort auch mehr virtuelle Teilchen durch das Vakuum flottieren. Manche von ihnen stoßen dabei an die beiden Platten und erzeugen so eine Druckdifferenz zwischen Innen und Außen, die die beiden Platten ganz leicht zusammendrückt. Das ist die berühmte Casimir-Kraft, die mittlerweile auch im Experiment nachgewiesen worden ist.
Der kritische Casimir-Effekt
30 Jahre nach Hendrik Casimir meldeten sich zwei Physiker mit einer ähnlichen Geschichte zu Wort. Michael Fisher und Pierre-Gilles de Gennes argumentierten, dass man für so einen Effekt nicht unbedingt die Fluktuationen aus der Quantenwelt benötigt, sondern im Prinzip auch solche verwenden könnte, die aus der Welt der klassischen Physik stammen.

Ein bekanntes Beispiel dafür ist der Übergang von Flüssigkeiten zu Gasen: Wie etwa jeder vom Teekochen weiß, verhält sich Wasserdampf ganz anders als heißes Wasser, das muss aber nicht immer so sein. Bei einer bestimmten Kombination von Druck und Temperatur verschwindet der Übergang einfach, Wasser liegt ab diesem Punkt nur mehr in einer einzigen Form vor, die gewissermaßen beides zugleich ist - gasförmig und flüssig.

Fisher und de Gennes betonten 1978, dass in der Nähe so eines kritischen Punktes häufig Fluktuationen auftreten, mit denen man ebenfalls eine Art Casimir-Kraft erzeugen könnte, weswegen man der Variante das Attribut "kritisch" verpasst hat.
Erster direkter Nachweis
Bis zum ersten direkten Nachweis der kritischen Casimir-Kraft sollte es weitere 30 Jahre dauern. Primär deshalb, weil sie ganz winzig ist und daher von anderen Kräften überlagert wird.

Christopher Hertlein, Doktorand am zweiten physikalischen Institut der Uni Stuttgart, hat es nun mit Hilfe einer äußerst gefinkelten Mikroskopietechnik geschafft, Schwankungen von rund 600 Femtonewton zu messen - das ist weniger als das Millionstel dessen, was eine Fliege wiegt.

Man darf vermuten: Die Pioniertat wird seiner noch jungen akademischen Karriere wohl einen Schub verleihen.
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Die Studie "Direct measurement of critical Casimir forces" von C. Hertlein et al. ist in "Nature" (Bd. 451, S. 172; 10.1.08) erschienen.
->   Abstract der Studie
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Entmischung am kritischen Punkt
 
Bild: Ingrid Schofron

Hertlein und seine Kollegen verwendeten für den Nachweis ein Gemisch aus Wasser und einer Substanz namens 2,6-Lutidin. In diese Flüssigkeit platzierten die deutschen Physiker eine Glasplatte sowie eine Polystryolkugel von etwa einem Mikrometer Durchmesser (Bild oben).

Nächster Schritt: Sie erwärmten das Ganze bis zum kritischen Punkt bei 34 Grad. "Darunter liegt die Mischung der beiden Substanzen als klare Flüssigkeit vor", erklärt Hertlein gegenüber science.ORF.at. "Kurz vor dem kritischen Punkt ändert sich plötzlich das Bild und die beiden Komponenten beginnen sich plötzlich zu entmischen."
Kraft für Nanotechnologie
Diese reinen Wasser- und Lutidin-Areale werden mit Annäherung an die 34 Grad immer größer, nur steht im Zwischenraum von Platte und Kugel eben ein beschränktes Volumen zur Verfügung, was das Kräfteverhältnis zwischen Innen und Außen geringfügig verändert.

Konsequenz: Die Kugel bewegt sich. Soweit lief die Sache durchaus ähnlich wie beim "echten" Casimir-Effekt ab, allerdings mit einem entscheidenden Unterschied. Ob die Kraft nun anziehend oder abstoßend ist, hängt ganz von den verwendeten Materialien ab, wie Hertlein betont.

Technologisch interessant ist vor allem letzteres: Der Casimir-Effekt setzt nämlich ein unteres Größenlimit für den Bau von Nanomaschinen. Sind sie zu klein, neigen die Bauteile dazu, aneinander zu kleben. Mit der nun vorgestellten Versuchsanordnung könnte man den unerwünschten Effekt wieder rückgängig machen.

Robert Czepel, science.ORF.at, 10.1.08
->   Casimir-Effekt - Wikipedia
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Casimir-Effekt: Ein Mythos auf Schiffsreise
->   Der Casimir-Effekt: Die Kraft aus dem Nichts
 
 
 
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01.01.2010