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"Open Access" sollte Qualitätskriterium werden  
  Open-Access-Zeitschriften stellen ihre Inhalte gratis zur Verfügung. Während es in den Naturwissenschaften bereits einige renommierte frei zugängliche Journals gibt, haben die Sozialwissenschaften das Open-Access-Prinzip bisher kaum genützt. Katja Mruck und Günter Mey vom "Forum Qualitative Sozialforschung" haben bereits 1999 ihre Open-Access-Zeitschrift gegründet.  
Im Interview mit science.ORF.at erzählen sie vom anfänglichen Unverständnis von Kollegenschaft und Verlagen und erklären, warum sich die Wirkung ihrer Zeitschrift nicht mit der klassischen Impact-Berechnung erfassen lässt.
science.ORF.at: In den Naturwissenschaften gibt es bereits einige gut etablierte Open-Access-Journals, in den Sozialwissenschaften kaum. Warum ist das so?

Katja Mruck: Zum einen, weil die Open-Access-Idee aus den Naturwissenschaften kommt. Gestartet hat Open Access ja mit einem Preprint-Archiv in der Physik, dem arXiv. Es gibt mittlerweile aber auch einige Journals in den Sozialwissenschaften, allerdings sind sie nicht so prominent.
Bild: science.ORF.at
Günter Mey
Günter Mey: Eine Umfrage der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Jahr 2005 hat gezeigt, dass die Nutzung der einzelnen Disziplinen von Open Access tatsächlich stark variiert und die Naturwissenschaften dominierten. Die Sozialwissenschaften haben in der Zwischenzeit aber deutlich nachgezogen.

Dabei könnte eine Rolle spielen, dass die Publikation von Artikeln ein Markenzeichen naturwissenschaftlichen Arbeitens ist, während in den Geistes- und Sozialwissenschaften nicht nur der Artikel, sondern auch das Buch und die Monografie stärker im Vordergrund stehen. Auch hier ist einiges in Bewegung geraten.
Wie waren die Reaktionen Ihres Umfelds auf die Zeitschrift, die bereits 1999, als noch niemand an Open Access dachte, gegründet wurde?

Mey: Kopfschütteln und Vorbehalte dominierten. 1999 war die Community nicht vertraut mit elektronischem Publizieren. In Kollegenkreisen gab es immer wieder Skepsis, warum man Wissen denn gratis anbieten solle. Sie waren dem Gedanken sehr verhaftet, dass Zeitschriften den Leserinnen und Lesern Geld kosten müssen. Verlage haben uns belächelt und mit der Frage abgewunken, wer so etwas überhaupt wolle und brauche, wenn man damit vielleicht 20 Kunden erreichen kann.
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Internationale Redaktion und Peer Review
Alle Beiträge der Zeitschrift "Forum Qualitative Sozialforschung" (FQS) - und dies sind seit Start Anfang 2000 über 1.000 - sind als PDF- und HTML-Dateien abrufbar. Dreimal jährlich erscheinen Schwerpunktausgaben, zu durch Peer Review geprüften Forschungsbeiträgen kommen solche aus den Rubriken "Reviews", "Debatten", "Tagungen" und "Interviews", die ebenfalls begutachtet sind. Zumindest die Abstracts der Beiträge erscheinen dreisprachig (deutsch, englisch und spanisch). Die Mehrsprachigkeit wird durch eine internationale Redaktion, deren Mitglieder auch beispielsweise in Mexiko, Kanada und den USA arbeiten, gewährleistet. Den Newsletter über die Neuigkeiten in FQS erhalten mittlerweile 8.000 Abonnenten in der ganzen Welt.
->   "Forum Qualitative Sozialforschung"
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Bild: science.ORF.at
Katja Mruck
Welchen Impact hat Ihr Forum im Vergleich zu "Kaufzeitschriften"?

Mruck: Wir haben da ein ganz zentrales Problem: Wir wissen, was wir tun müssten, um in den Social Science Citation Index (SSCI) zu kommen - wollen das aber momentan nicht. Unser Problem ist die Menge: Wir veröffentlichen derzeit rund 50 Artikel pro Ausgabe, was sehr viel ist. Nur ein Teil davon hat die Chance, in anderen Zeitschriften zitiert zu werden - auf diesen Quotienten aus Artikelanzahl und Zitierungen kommt es aber an, wenn man in den Index aufgenommen werden will.

Wir wissen aufgrund der Logfiles, welche Artikel am meisten gelesen werden, und müssten den Inhalt auf diese vier bis fünf Artikel hin radikal ausdünnen. Und wir müssten unsere Autoren instruieren, dass sie in Zeitschriften, die bereits im SSCI sind, genau diese Beiträge zitieren. Derzeit möchten wir das nicht.
Mey: Wenn man Impact nicht nur in diesem klassischen Sinn versteht, hat FQS natürlich schon eine enorme Wirkung: Eine jüngst abgeschlossene Evaluation hat einmal mehr deutlich gemacht, dass Beiträge durch unsere Distributionswege sehr sichtbar sind und unsere Autorinnen und Autoren nach Veröffentlichungen in FQS vermehrt für weitere Beiträge oder Vorträge angefragt werden, häufig dann auch im internationalen Kontext - eine Erfahrung, die viele im Falle von Beiträgen in Printzeitschriften nicht gemacht hatten.
Werden Veröffentlichungen in Open-Access-Journals bei Bewerbungen für eine Stelle noch immer minimal oder gar nicht beachtet?

Mruck: Das hat sich teilweise geändert. Englischsprachige Autorinnen und Autoren etwa wollen in letzter Zeit beispielsweise immer öfter Downloadzahlen für ihre Beiträge. Sie können das offenbar verwenden, um die Bedeutung auch dieser Artikel zu unterstreichen. Generell halte ich den Druck der Forschungsförderungsgesellschaften für immens wichtig, dass von ihnen geförderte Forschende in Open-Access-Journals veröffentlichen sollen. In Deutschland und Österreich wird das gewünscht und auch gefördert, in der Schweiz ist es für Forschende, die von den Schweizerischen Nationalsfonds gefördert werden, in den USA ist für jene, die Fördermittel des National Institute of Health erhalten, schon Pflicht.
->   FWF: Freier Zugang zu Forschungsergebnissen (17.6.05)
Mey: Ich beobachte auch immer wieder, dass Forschende, die in Open-Access- und in Kaufzeitschriften veröffentlichen, immer wieder die Open-Access-Publikationen in ihren Literaturlisten unter den Tisch fallen lassen. Freie Verfügbarkeit als auszeichnendes Kriterium ist noch nicht in den Köpfen verankert.
Veröffentlichungen in Open-Access-Journals wälzen die Kosten oft auf die Autoren über. Eine Publikation in einem Journal der "Public Library of Science" etwa kostet rund 2.500 US-Dollar. Ist das tatsächlich der bessere Weg?

Mruck: Was an der Finanzierung über Autorengebühren stimmt, ist der Gedanke, dass Open Access natürlich etwas kostet. Redaktions- und - besonders bei mehrsprachigen Publikationen - die Lektorsarbeit kann nicht immer unentgeltlich geleistet werden. Ich halte die Beträge aber teilweise für extrem überzogen. Werbung beispielsweise ist eine Möglichkeit - andere Modelle wie etwa die Finanzierung durch Fachgesellschaften oder die Quersubventionierung werden bereits praktiziert und müssen weiter ausgebaut und diskutiert werden.

Elke Ziegler, science.ORF.at, 11.1.08
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Zu Katja Mruck und Günter Mey
Katja Mruck und Günter Mey sind Mitglieder der Freien Universität Berlin und im dortigen Center für Digitale Systeme und im Institut für Qualitative Forschung für die Bereiche E-Publishing/Open Access bzw. Qualitative Sozialforschung verantwortlich. Mruck und Mey leiteten auf Einladung des Graduiertenzentrums der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Wien einen Workshop zum Thema "Open Access".
->   Graduiertenzentrum der Fakultät für Sozialwissenschaften
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->   Center für Digitale Systeme (FU Berlin)
->   Institut für Qualitative Forschung
->   Berliner Erklärung über den offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen (.pdf)
->   Informationsplattform open-access.net
->   "Public Library of Science"
->   Social Science Citation Index (SSCI)
Mehr zum Thema in science.ORF.at:
->   Wissenschaftliche Zeitschriften immer teurer (3.12.07)
->   Experte: Was gegen Plagiate hilft (10.8.07)
->   Open-Access-Studien werden häufiger zitiert (16.5.07)
 
 
 
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01.01.2010