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Stammzellen: "Rechtslage verfassungswidrig"  
  In Österreich fehlt eine klare gesetzliche Regelung zur Stammzellforschung. Die Forschung selbst ist zwar nicht verboten, nur dürfen embryonale Stammzellen hierzulande nicht erzeugt werden.  
Hier ortet Christian Kopetzki, Medizinrechtexperte von der Uni Wien, "Heuchelei". Die geltende Rechtslage sei "ehrlich gesagt verfassungswidrig", sagte der Jurist auf einer Fachtagung zum Thema Stammzellforschung in Wien.
Nicht gleiches Recht wie bei Fristenlösung
Damit bezieht er sich auf eine Unausgewogenheit, die sich in den rechtlichen Regelungen zwischen dem In-vivo-Embryo (im Mutterleib) und In-vitro-Embryo (außerhalb des Mutterleibs) widerspiegelt. Denn es gibt rein rechtlich beim ungeborenen Kind im Mutterleib "einen stufenweise ansteigenden Schutz", so Kopetzki.

Nach dem Strafrecht gebe es zunächst keinen Schutz für die befruchtete Eizelle, erst ab deren Einnisten kämen die Bestimmungen über den Schwangerschaftsabbruch zum Tragen, die jedoch während der ersten drei Monate der Selbstbestimmung der Frau den Vorrang einräumen und die auch danach einen Abbruch aus bestimmten Indikationen zulassen.

Nach diesem Modell wäre die in-vitro gezüchtete Blastozyste, Trägerin der embryonalen Stammzellen, beim Schutz laut dem Experten "in der Gegend der Fristenlösung oder drunter anzusiedeln". Provokant gefragt: "Wenn das Selbstbestimmungsrecht der Frau in der Lage ist, aufgrund einer Interessensabwägung dem Embryonenschutz vorzugehen, warum soll die Forschungsfreiheit es nicht können?"
Gegensatz zwischen In-vitro- und In-vivo-Regelung
Doch die im Zuge künstlicher Befruchtungen anfallenden befruchteten Eizellen für die Forschung zu nutzen, ist tabu. Entscheidet sich die Frau bei einer In-Vitro-Fertilisation (IVF) letztendlich gegen eine Implantation, gelten laut Kopetzki eine Reihe von Verboten: jenes der Eizellenspende, der Embryonenspende, der Leihmutterschaft und der "pränatalen Adoption" sowie die begrenzte Aufbewahrungsfrist.

Ohne Implantation müssen die Embryos spätestens nach zehn Jahren, dem Ende der Aufbewahrungsfrist, entsorgt werden. "Das kann man nicht unter dem Titel Embryonenschutz verkaufen", so der Jurist. Den Gegensatz zwischen den In-vitro- und In-vivo-Regelungen - einmal ohne, einmal mit Eingriffsmöglichkeit - hält Kopetzki für gleichheitswidrig und einen Verstoß gegen die Forschungsfreiheit.
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"Hier liegt der Hund begraben"
Das Verbot der Gewinnung von embryonalen Stammzellen (ES) in Österreich geht auf einen Absatz im Fortpflanzungsmedizingesetz zurück - ein Gesetz, das laut Kopetzki "eigentlich etwas ganz anderes regeln wollte, nämlich die IVF, die Samenspende und das künstliche Schwangerwerden."

Im Paragraf 9 Absatz 1 heißt es: "Entwicklungsfähige Zellen dürfen nicht für andere Zwecke als medizinisch unterstützte Fortpflanzungen verwendet werden. Sie dürfen nur insofern untersucht und behandelt werden, als dies zur Herbeiführung einer Schwangerschaft erforderlich ist." Der Begriff "entwicklungsfähige Zelle" sorgt dabei für Diskussion. "Hier liegt der Hund begraben", so Kopetzki.
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Relativ mildes Strafrecht
Unbestritten sei, dass das Gewinnen von ES aus überbleibenden Embryonen der IVF in Österreich unzulässig ist. Beim Vergehen greift das Verwaltungsstrafrecht "mit einer relativ harmlosen Höchstdrohung von 36.000 Euro". In Deutschland etwa sei das justizstrafrechtlich geregelt.

So sei das Vergehen hierzulande nicht an der obersten Stelle der Tabus angesiedelt. "Das Missverhältnis ist schon interessant: auf der einen Seite die große ethische Erregung, während es auf der Seite der rechtlichen Sanktionen wesentlich sanfter zugeht", so Kopetzki.

[science.ORF.at/APA, 17.1.08]
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01.01.2010