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Körper: Glaubwürdige Visitenkarte von Sportlern  
  Der Körper des Menschen ist seit der Aufklärung immer stärker zum Ausdruck seiner inneren Einstellungen und Eigenschaften geworden. Er werde immer mehr zur "Visitenkarte" der Person, meint der deutsche Sportsoziologe Thomas Alkemeyer. Ausgehend von diesem Befund hält er die Kampagnen gegen Rauchen und Übergewicht für Bestandteile eines "entpolitisierten Klassenkampfes".  
Athletische Körper hingegen wie jene von Skirennfahrern, die wir dieses Wochenende wieder in Kitzbühel bewundern können, verkörpern hingegen idealtypisch Werte wie Gesundheit und Leistungsfähigkeit.

Wobei es die Wintersportler schwerer haben als ihre Kollegen aus den Sommersportarten, meint Alkemeyer in einem science.ORF.at-Interview.
Bild: Uni Oldenburg
Thomas Alkemeyer
science.ORF.at: Sie bezeichnen Körper historisch als "Visitenkarten der Person", trifft das auch heute noch zu?

Thomas Alkemeyer: Ja und in besonderem Maße. Der Körper ist heute zu einer Art sozialer Form der Person geworden ist, er soll die Lebensführung seines "Besitzers" beglaubigen, seine Haltungen und inneren Einstellungen, nicht zuletzt auch seine Leistungswilligkeit. Wer über keinen sozial anerkannten Körper verfügt, der droht als leistungsunwillig, faul und letztlich überflüssig ausgegrenzt zu werden.

Unter dem Einfluss der visuellen Medien und der Allgegenwart von Bildern junger, schöner Körper hat die Bedeutung des Körpers als vermeintlich authentische Visitenkarte der Person - der Körper scheint nicht lügen zu können - noch zugenommen.
Diese Visitenkarten korrelieren mit bestimmten Gesellschaftsschichten, was heißt das für konkrete Sportarten?

Es ist zu beobachten, dass bestimmte Praktiken des Sports, etwa Fitness oder Wellness, vor allem von der Mittelschicht betrieben werden. Bestimmte Körperformen werden als Zeichen für die Schicht- oder Milieuzugehörigkeit der Person gedeutet. So werden das sogenannte Übergewicht - bei dem es sich ja eigentlich um eine normative Größe handelt -, Rauchen und übermäßiger Alkoholkonsum eher mit den unteren sozialen Klassen in Verbindung gebracht.

Schlanke, fitte und durchtrainierte Körper sind hingegen legitime und anerkannte Zeichen der vermeintlich leistungswilligen Mittelschichten. Die Körper, die ein wenig aus der Form geraten sind, deuten zunehmend auf die Zugehörigkeit zur Unterschicht hin.
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Thomas Alkemeyer ist Sportsoziologe an der Universität Oldenburg. Forschungsschwerpunkte: Soziologie und Historische Anthropologie des Körpers und der Bewegung, Kultur- und Medientheorie, Populärkulturforschung, Vermittlungen von Spiel und Gesellschaft.
->   Thomas Alkemeyer, Uni Oldenburg
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Mit Eva Kreisky kann man die Diskussion um Übergewichtige auch als "sublimen Klassenkampf" bezeichnen. Wie wird dieser Kampf geführt?

Auf jeden Fall nicht politisch. Politische Auseinandersetzungen haben sich auf das Feld des Kulturellen und speziell des "Körperkulturellen" verschoben. Es findet eine Art Biologisierung und Moralisierung des Sozialen statt. Soziale Unterschiede scheinen in den Körpern der Menschen, in ihrer Biologie materielle Gestalt anzunehmen.

Statt politischer Auseinandersetzungen über die Ursachen und sozialen Bedingungen bestimmter Lebensweisen treten moralische Frage nach der subjektiven Verantwortung für die Lebensführung, etwa von Ernährungsweisen, Rauchen, Fettverzehr etc. ins Zentrum.
Das ist sehr ambivalent: Auf der einen Seite gibt es diese Appelle an die Selbstverantwortung, auf der anderen Seite eine immer striktere Reglementierung, siehe die Debatten um die Raucherverbote. Wie passt das zusammen?

Solange die Einzelnen den Anrufungen zur gesunden Lebensführung, zur Eigenverantwortung und zur Selbstdisziplin folgen, bedarf es keines Eingriffes des Staates. Er greift nur dann ein, wenn die Subjekte diesen Appellen nicht folgen. Die Kontrollen und Interventionen setzen dort an, wo Normalitätsgrenzen überschritten werden.

Es wird in gewisser Weise ein sozialer Raum der Normalität abgesteckt, innerhalb dessen sich die Subjekte bewegen, die zur Selbstführung in der Lage sind. Diejenigen aber, die die Grenzen dieses Raumes überschreiten, werden Objekte staatlicher Kontrolle und politischer Interventionen. Insofern passt das zusammen.
Ist das historisch betrachtet eine neue Entwicklung?

Das ist ein Spannungsverhältnis, das im Grunde die Geschichte des modernen Körperkultes, den Umgang mit dem Körper seit der Aufklärung durchzieht. Auf der einen Seite haben wir Appelle zur Subjektivierung, auf der anderen Seite kollektivistische, von oben auf die Individuen einwirkende Strategien, etwas, das Foucault Fremdtechnologien genannt hat.

Mein Eindruck ist, dass der Gegensatz zwischen diesen beiden Entwicklungen heute nahezu bis zum Zerreißen gespannt ist.
Bild: APA
Hybrider Maschinenmensch
Am Wochenende steht das Skirennen in Kitzbühel auf dem Programm: Auch der Körper von Skisportlern ist ihre Visitenkarte, sie können ihn im Vergleich zu ihren Kollegen aus den Sommersportarten aber nicht so leicht zeigen, weil es einfach zu kalt ist. Haben Wintersportler einen symbolischen Nachteil?

Ein Kennzeichen des Mediensports ist es, dass die trainierten und maschinisierten Körper durch die Massenmedien wieder mit menschlichen Zügen ausgestattet werden. Man kann den Figuren durch TV-Großaufnahmen ins Gesicht sehen, ihren Schmerz, ihre Freude, Leid und Trauer, Niederlagen usw. vor dem Bildschirm miterleben.

Das fällt in der Tat im Wintersport schwerer als bei Sommersportlern, vielleicht ist das mit ein Grund, warum Wintersportarten wie der alpine Skisport zumindest außerhalb der klassischen Skisportnationen nicht ganz so massentauglich sind. In den Sommersportarten kann man hingegen so nahe an die Körper heranzoomen, dass man noch das feinste Muskelspiel sieht.

Das ist beim Skilaufen schwieriger, hier müssen andere Attribute in Szene gesetzt werden wie Geschwindigkeit, Risiko usw. Das ist ja auch die Strategie, die bei TV-Übertragungen von Skirennen verfolgt wird: die Spektakularisierung von Gefahr und Risiko.
Bild: APA
Emotionen im Gesicht
In Deutschland herrscht im Winter eine große Begeisterung für Biathlon, was man im Alpinski-Österreich gar nicht so nachvollziehen kann. Woher kommt diese Begeisterung?

Biathlon ist eine Sportart, in der es gelingt, medientechnisch dicht an die Athleten heranzukommen, am Schießstand etwa; hier kann man als Zuschauer unmittelbar mitzittern. So gibt es im Biathlon im Gegensatz zum Skiabfahrtslauf eher die Möglichkeit, Anstrengungen und Emotionen ins Bild zu setzen: den Körper, aber auch das Gesicht als Träger der Emotion.

Wenn ein Skiabfahrtsläufer mit seinem Helm vorbeirauscht, sieht er eher aus wie eine futuristische Kunstfigur, er ist viel mehr ein hybrider Maschinenmensch als der Biathlet.
Nicht nur, aber auch österreichische Skifahrer machen oft Werbung für Gesundheits- und Wellnessprodukte. Halten Sie Sportler für glaubwürdige Werbeträger?

Sport ist das zentrale Beglaubigungsmedium in modernen Gesellschaften für solche Produkte und - trotz Doping - noch immer für die Leistungsfähigkeit des menschlichen Organismus. In der öffentlichen Wahrnehmung ist Sport direkt kodiert mit Jugendlichkeit, Leistungsfähigkeit, Gesundheit und so weiter.

Von Interesse ist selbstverständlich allein die visuelle Erscheinung der Sportler, nicht ihr tatsächlicher Gesundheitszustand. Das Image soll auf die Produkte übertragen werden.
Dass diese visuelle Erscheinung der Sportler oft auf dem Einsatz unerlaubter Mittel beruht, stört die Wirkung der Testimonials aus dem Sport nicht?

In bestimmten Sportarten wie dem Radsport ist das sicher zu einem Problem der Glaubwürdigkeit geworden. Der Wert des symbolischen Kapitals von Radsportlern ist gesunken, im Gegensatz zu anderen Sportarten.

Skirennfahren wird etwa noch viel weniger mit unerlaubten Praktiken oder Technologisierung in Verbindung gebracht.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 18.1.08
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Veranstaltung an der Uni Wien
Der Sportsoziologe Thomas Alkemeyer war diese Woche zu Gast der Ringvorlesung "Macht Bewegung - Transformation des sportlichen Feldes" an der Universität Wien.
->   Die Ringvorlesung
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01.01.2010