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Geschlecht macht beim Publizieren den Unterschied  
  Die "gläserne Decke", an die Frauen in der Wissenschaft oft stoßen, ist um ein Rätsel ärmer: Laut einer Studie haben Forscherinnen eine signifikant geringere Chance, in Fachzeitschriften zu publizieren, wenn die Gutachter wissen, dass es sich um Frauen handelt.  
Erfolgt die Einreichung der Studien hingegen anonym, steigt ihre Chance auf Veröffentlichung deutlich.

Von der in Zahlen gegossenen Diskriminierung berichtet ein Team um die Zoologin Amber Budden von der Universität im kanadischen Toronto und Kollegen.
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Die Studie "Double-blind review favours increased representation of female authors" ist online im Journal "Trends in Ecology & Evolution" (Bd. 23, S. 4, Jänner 2008) erschienen.
->   Abstract der Studie
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Drei Arten von Peer-Reviews
Die klassische Methode zur Qualitätssicherung in den Naturwissenschaften lautet Peer Reviewing: Fachkollegen und -kolleginnen beurteilen dabei den Wert von Studien, die mit der Hoffnung auf Veröffentlichung an verschiedene Fachzeitschriften geschickt werden.

Drei verschiedene Arten des Umgangs mit der Identität der beteiligten Personen gibt es: "Single Blind Peer Reviews", bei denen die Gutachter anonym sind, die Studienautoren aber bekannt; "Double Blind Peer Reviews", bei denen beide anonym, sowie "offene Peer Reviews", bei denen beide bekannt sind.
Untersuchung von Biologie-Fachzeitschriften
Am meisten in der Fachwelt verbreitet ist die Variante Eins: nicht zuletzt bei den Journalen der Ökologie und Evolutionsbiologie. Zwei der wichtigsten und thematisch nahe verwandten hat die Forschergruppe um Amber Budden nun einzeln untersucht und miteinander verglichen: "Behavioral Ecology (BE)" und "Behavorial Ecology and Sociobiology (BES)".

BE hat im Jahr 2001 seinen Peer-Review-Prozess von "Single Blind" auf "Double Blind" umgestellt und bietet somit einen guten Gradmesser für etwaige Änderungen.

Die Forscher untersuchten dazu die vier Jahre vor 2001 und jene danach. Dabei zeigte sich sowohl bei Männern als auch bei Frauen ein Anstieg der Veröffentlichungen, bei letzteren war er aber viel deutlicher.
Anonymität: Acht Prozent mehr Publikationen von Frauen
 
Grafik : Trends in Ecology & Evolution/Amber Budden et al.

Anzahl der Studien im Vergleichszeitraum 1997-2000 (links) und 2002-2005 (rechts)

In den vier Jahren vor 2001 stammten in "Behavioral Ecology" 220 Veröffentlichungen von männlichen Erstautoren, 84 von weiblichen, 50 konnten nicht eindeutig zugeordnet werden (z.B. weil die Forscher nur ihre Initialen angegeben haben).

In den vier Jahren nach Einführung des "Double Blind"-Systems waren es 277 Studien von Männern, 162 von Frauen und 74 unbekannte.

In Prozenten ausgedrückt: Der Anteil der Erstautorinnen steigerte sich von 23,7 Prozent auf 31,6 Prozent - ein Plus von knapp acht Prozent.
Ursache ist Diskriminierung
Die Ursache für diesen Unterschied macht die Forschergruppe eindeutig in einem "Gender-Bias" fest. Die Beurteilungen der Studien durch die Gutachter wurden also aufgrund von Vorurteilen gegenüber Frauen systematisch verzerrt.

Andere Ursachen konnten ausgeschlossen werden: So gab es im untersuchten Zeitraum zwar auch einen Anstieg von Ökologie-Absolventinnen, der lag aber dreimal unterhalb der Zuwachszahlen an den Publikationen.

Aus diesem Grund sprechen sich die Autoren und Autorinnen für die generelle Einführung von "Double Blind" im Begutachtungsprozess aus.
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Vergleich mit anderem Journal zeigt gleiche Tendenz
Der Vergleich mit dem Journal "Behavorial Ecology and Sociobiology (BES)" untermauerte die Schlussfolgerungen der Forscher: Denn falls tatsächlich der Anstieg der Absolventinnenzahlen zu mehr Publikationen von Biologinnen geführt haben sollte, so müsste dies auch im BES nachweisbar sein.

Dies war bei der Zeitschrift, bei der den Gutachtern bis heute die Namen und das Geschlecht der Studienautoren bekannt ist, nicht der Fall: Publizierten in der Zeitschrift zwischen 1997 und 2000 25,1 Prozent Frauen als Erstautorinnen, so waren es zwischen 2001 und 2005 26,3 Prozent - der Anstieg war mit 1,2 Prozent also deutlich geringer als im BE.
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Frauen müssen mehr als doppelt so produktiv sein
Peer-Reviews an sich stehen schon länger in der Kritik - etwa weil sie tendenziell strukturkonservativ sind und sehr viel Zeit benötigen.

Vor allem bei "Single Blind"-Verfahren wurden schon öfter Verzerrungen der Resultate nachgewiesen - und zwar nicht nur zwischen den Geschlechtern. Bereits 1997 stellte die schwedische Mikrobiologin Christiane Wenneras (Nature, Bd. 387, S. 341) neben einer "Vetternwirtschaft" auch einen Gender-Bias fest.

Frauen, die sich in Schweden um Fördermittel in der Medizin bewarben, mussten zweieinhalb Mal produktiver sein als ihre männlichen Kollegen, um die gleiche Beurteilung in der Peer-Review zu erhalten.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 28.1.08
->   Ecobias: Exploring bias in Ecology and Evolution
->   Amber Budden
->   PLoS (Bd. 3, e326): Peer Review - The Newcomers' Perspective
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Peer Review: Wie erkennt man gute Gutachter? (30.1.07)
->   Peer-Review wird nach wie vor kontrovers diskutiert (21.6.06)
->   Neue Peer Reviews sollen Fehler minimieren (6.2.06)
 
 
 
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01.01.2010