News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung 
 
Sand: Was Körner treiben und Dünen singen lässt  
  Warum sind in der Müslipackung die großen Nüsse immer ganz oben? Wie gefährlich ist Treibsand wirklich und was bringt manche Sanddünen zum Singen? Der Physiker Bernhard Weingartner beleuchtet in einem Gastbeitrag die überraschenden Eigenschaften von Sand und anderen granularen Materialien.  
Physik in der Sandkiste
von Bernhard Weingartner

Sand ist widerspenstig. Er lässt sich nicht in die klassischen Kategorien fest - flüssig - gasförmig einordnen.

Einerseits kann man auf Sand Auto fahren und Häuser bauen, andererseits fließt er in der Sanduhr ähnlich wie Wasser und die Bewegung der Sandkörner im Wüstensturm erinnert an die Flugbahnen von Gasmolekülen.

Körnige Materialien sind im Alltag allgegenwärtig - und stecken doch voller Überraschungen.
Die schweren Nüsse sind immer oben
Schon beim Frühstück verwundert, warum in der Müslipackung immer die großen, schweren Nüsse ganz oben sind. Für diese Entmischung der verschiedenen Korngrößen gibt es eine anschauliche Erklärung.

Beim Transport wird die Müslipackung geschüttelt und es entstehen kurzfristig Hohlräume zwischen den Körnern. Kleinere Bestandteile haben eine höhere Chance, in diese Lücken zu fallen. Sie wandern mit der Zeit immer tiefer während die großen Nüsse quasi auf der Oberfläche schwimmen.
Konvektionsmechanismus beim Sand
Experimentelle Untersuchungen der Sandbewegung mit Hilfe von Magnetresonanz-Tomographie weisen zusätzlich auf einen Konvektionsmechanismus hin.

Wie bei einem Springbrunnen steigen im vibrierenden Granulat die Körner in der Behältermitte in einem breiten Strom nach oben. In einem schmalen Streifen an der Wand wandern sie wieder nach unten. Dabei werden die großen Nüsse an die Oberfläche gespült.
Gerölllawinen verhalten sich ähnlich
Die gleiche Entmischung beobachtet man bei Gerölllawinen, die sich wie Bagger-Raupen einen Abhang hinunterwälzen. Innerhalb der Lawine wandern die kleinen Sand- und Kieskörner nach unten.

Die großen Gesteinsbrocken hingegen schwimmen an der Oberfläche und kommen als erste und mit der größten Geschwindigkeit im Tal an. Diese automatische Erhöhung der Zerstörungswirkung ist bei der Bemessung von Schutzbauten wesentlich.
...
Vorträge
Im Rahmen der Reihe "University Meets Public" hält Bernhard Weingartner am 5.2.2008 zu diesem Thema von 19 bis 20:30 Uhr einen Vortrag in der VHS Wien-Meidling. Ein weiterer Vortrag findet am 27.3.2008 von 18 bis 19:30 Uhr in der VHS Brigittenau statt.
->   University Meets Public
...
Tückischer Treibsand?
In Abenteuerfilmen wird als dramatisches Spannungselement gerne das Phänomen Treibsand benutzt. So in 'Lawrence von Arabien', wo ein Beduine qualvoll im Wüstensand versinkt und stirbt. Was steckt wirklich hinter solchen Darstellungen?

Treibsand entsteht zum Beispiel durch - oft unsichtbare - unterirdische Quellen. Das aufsteigende Wasser hebt den Sand in eine lockere, instabile Lagerung. Die Körner sind nicht mehr ineinander verzahnt, sondern jedes Korn liegt genau auf dem höchsten Punkt des darunter liegenden Korns auf.

Diese Struktur kann zwar das eigene Gewicht gerade tragen, ein auftretender Fuß versinkt aber tief.
Treibsand ohne Wasser?
Auch bei Flussmündungen und an flachen Sandstränden, wenn sich das für die lockere Lagerung verantwortliche Wasser bei Ebbe zurückgezogen hat, entsteht Treibsand.

Wie ist aber Treibsand in der Wüste ohne Wasser möglich?
Lockere Lagerung durch Druckluft ...
Einem Forscherteam ist es vor kurzem gelungen, im Labor trockenen Treibsand zu erzeugen. Ein sandgefüllter Behälter wird von unten mit Druckluft beblasen.

Dadurch stellt sich wieder eine lockere Lagerung ein und ein bleigefüllter Tischtennisball versinkt tief im Sand.
... oder durch Wind, Verdunstung und Salz
Soweit im Labor - in der Wüste gibt es wohl keine Druckluftquellen. Dennoch ist es zumindest denkbar, dass durch Windverfrachtung - womöglich im Zusammenspiel mit Verdunstung und Salzbildung - auch in der Natur trockener Treibsand entstehen kann.

Der Unfall des armen Dieners in 'Lawrence von Arabien' kann also vielleicht doch wissenschaftlich untermauert werden. Allerdings könnte er wegen des Auftriebs (ein Mensch hat eine viel geringere Dichte als Blei) niemals vollständig, sondern maximal bis zu den Hüften versinken.
...
Mysteriöse singende Dünen
Ein mysteriöses Thema im Zusammenhang mit Sand und seinen Eigenschaften sind singende Dünen. Marco Polo berichtete im 13. Jahrhundert von einem bedrohlichen Dröhnen in der Wüste Gobi, das er bösen Dämonen zuschrieb. Auch Charles Darwin hörte in Chile den Gesang der Dünen, der Beobachter etwa an die Hufschläge eines Reiterheeres oder an tief fliegende Flugzeuge erinnert.
...
Oberfläche als Lautsprechermembran
Eine vollständige Erklärung für dieses eindrucksvolle Phänomen, das nur an etwa 15 Orten weltweit auftritt, ist noch nicht gefunden.

Man weiß jedoch, dass Sandlawinen an der windabgewandten Seite der Düne einen lauten Ton mit klar erkennbarer Tonhöhe erzeugen. Die Dünenoberfläche wirkt dabei wie eine riesige Lautsprechermembran.
Eine Grundfrequenz
Unklar ist, wie die chaotische Bewegung der Millionen von Sandkörnern synchronisiert wird, sodass sie mit einer einzigen Grundfrequenz schwingen. Eine Theorie geht davon aus, dass sich in der gleitenden Sandschicht stehende Wellen wie bei einer Kontrabasssaite ausbilden.

Neueste Messungen mit Geo-Mikrophonen weisen aber darauf hin, dass bestimmte Sandschichten im Inneren der Düne wie Wellenleiter für den Schall wirken.

Nur eine ganz bestimmte Schichtkonstellation in der Düne ermöglicht dabei das entstehen des Grundtones. Offenbar tritt diese spezielle Schichtung in der Natur nur äußerst selten auf.
Neue Erkenntnisse durch Computersimulation?
Ein neuer Weg in der Erforschung der granularen Materialien liegt in der Computersimulation.

Fortschritte in der Rechenleistung und bei den verwendeten Simulationsmodellen ermöglichen es, die Bewegung jedes einzelnen Korns einer großen Menge Sand mitzuverfolgen und die Mechanismen detailliert zu untersuchen. Dadurch hofft man, dem Sand noch weitere Geheimnisse entlocken zu können.

[4.2.08]
...
Zum Autor
Der Physiker Bernhard Weingartner forscht am Department für Naturgefahren der BOKU Wien und am Institut für Strömungsmechanik der TU Wien. Seine Forschungsgebiete sind Wellenausbreitung in granularer Materie sowie Musterbildung in Strömungen.
->   Details zum Autor (TU Wien)
...
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010