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Dschinggis Khan: Vom Despot zum Werbesujet  
  Manche erinnert schon allein der Name an Krieg und Gewalt. Andere wieder verbinden mit Dschinggis Khan einen herausragenden Staatsmann, der mehr als nur den Grundstein zum größten zusammenhängenden Weltreich der Geschichte legte. Welche Bedeutung Dschinggis Khan seit seinem Ableben zugeschrieben wurde, hat der Historiker Johannes Steiner in seiner Diplomarbeit untersucht. In einem Gastbeitrag skizziert er die wichtigsten Ergebnisse.  
Brudermörder und Heiliger
Bild: Wikipedia
Dschinggis Khan (Bildnis aus dem 14. Jhd.)
von Johannes Steiner

Dschinggis Khan, geboren um 1162 unter dem Namen Temüdschin, hatte es Zeit seines Lebens nicht gerade leicht. Zahlreiche Rückschläge markieren seinen Weg zum "Gebieter über die Völker in den Filzwandzelten", wie ihn ein Biograph bezeichnete. Doch durch seinen unaufhaltsamen Durchsetzungswillen konnte er immer wieder die Oberhand gewinnen.

Seine Kompromisslosigkeit mussten nicht nur die von ihm und seinen Truppen heimgesuchten Völker und Herrscher am eigenen Leib verspüren. Sogar einen um ein paar Jahre älteren Halbbruder, der ihm die Jagdbeute abspenstig machte, ließ er diesen Affront mit dem Leben bezahlen, indem er ihn - noch kaum dem Kindesalter entwachsen - kurzerhand mit einem Pfeil erschoss. Heute findet Dschinggis Khan u. a. als buddhistischer Heiliger Verehrung, er gilt als Kulturheros und steht für die einstige Größe und Einigkeit der Mongolen.
T-Shirts mit Dschinggis Khan
Aber Dschinggis hat auch einen lukrativen Aspekt zu bieten: Er bringt Geld. Der Tourismus in der Mongolei boomt - sein vermeintliches Konterfei findet auf Souvenirs weite Verbreitung, zum Beispiel auf T-Shirts, was einen unweigerlich an Che Guevara und dessen Personenkult denken lässt.

Denn Dschinggis Khan ist umrankt von Legenden und das eigentliche "Gesicht des Mongolen" ist in diesem dichten Märchenwald nur schwer auszumachen, was sicher auch zur Faszination dieses Herrschers beiträgt. Mittlerweile vergeht kaum ein Jahr, in dem nicht eine Biographie über den ersten Mongolen-Großkhan erscheint; Seriosität und Qualität dieser Literatur sind hingegen nicht immer gegeben. Aber auch in Film, Musik und Fernsehen scheint der mitunter stark verzerrte Großkhan allgegenwärtig.
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Verein "textfeld"
Dieser Text von Johannes Steiner wurde science.ORF.at vom Verein "textfeld" zur Verfügung gestellt. Der 2001 von Studierenden - damals unter dem Namen mnemopol - gegründete Verein versucht, studentischen Texten mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen. Zentrale Plattform ist die Website, auf der die Texte publiziert werden und Vernetzung über gemeinsame Inhalte stattfindet. Der Zugang zur Website ist kostenlos, man muss keiner Universität angehören, um auf "textfeld" veröffentlichen zu können.
->   "textfeld"
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Zurück zu mittelalterlichen Quellen
Um ein möglichst urteilsfreies Ursprungsbild rekonstruieren zu können, heißt es somit zu den mittelalterlichen Quellen zurück zu kehren. Doch ist dies nicht so einfach, denn die Geschichte der Mongolen ist vor allen von denjenigen verfasst worden, welche von ihnen niedergerungen wurden und zumeist in Sprachen, welche kaum einem Mitteleuropäer zugänglich sind.

Ein Glücksfund war daher die Entdeckung der sogenannten "Geheimen Geschichte der Mongolen", deren Autor zwar umstritten ist, aber vermutlich in einem Naheverhältnis zu Dschinggis Khan gestanden hat. Ausführlich wird in der einige Jahre nach seinem Tod verfassten "Geheimen Geschichte" der Aufstieg Dschinggis Khans als mongolische Erfolgsstory präsentiert.

Aber auch chinesische Gesandtschaftsberichte, ebenso wie beispielsweise die Aufzeichnungen der Patres Carpini und Rubruk nebst anderen Quellen liefern uns zur Figur Dschinggis Khans wertvolle Hinweise. Freilich, vieles ist dabei mit Vorsicht zu genießen. Darum gilt es festzustellen, in welcher Intention der jeweilige Autor sein Werk zu Papier brachte und woher er überhaupt seine Informationen bezog. Das lässt wieder in der Zusammenschau mit anderen Quellen weitere Schlüsse zu, wie in der Diplomarbeit ausführlich dargestellt wurde.
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Arbeit im Volltext
Die Diplomarbeit "Das Bild Dschinggis Khans in zeitgenössischen Quellen und rezeptionsgeschichtliche Aspekte in der Literatur der Gegenwart" kann auf "textfeld" im Volltext nachgelesen werden.
->   Zur Arbeit
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Bewunderung durch die Gegner
Auffallend ist, dass von Dschinggis Khan in den in der Diplomarbeit untersuchten mittelalterlichen Quellen ein überwiegend positives Bild gezeichnet wird. Der chinesische Gesandte Chao Hung, der die Zerstörungen der mongolischen Ostfeldzüge miterlebt hatte vermerkt über den Khan: "Persönlich ist er tapfer und von raschem Entschluss; dabei ist er großzügig und hat die Gabe, die Menge für sich zu gewinnen."

Selbst die mittelalterlichen Gesandtenberichte Latein-Europas beinhalten trotz stellenweise negativer Konnotationen unterschwellige Bewunderung. Marco Polo kommt schließlich 60 Jahre nach dem Tod des Herrschers zum Schluss, dass Dschinggis Khan ein tapferer, kluger und kühner Mann sowie ein guter und geschickter Herrscher war.
Trotz allem: Blutrünstiger Eroberer
Trotz allen Lobes - Dschinggis Khan und seine Nachfolger waren in ihrem Expansionsdrang skrupellos. Das mongolische Weltreich wurde mit viel Blut und Leid errichtet und so verwundert es kaum, wenn nicht nur Dschinggis Khan sondern auch die mit ihm verbundene militärische Gewalt Eingang in das kulturelle Gedächtnis fand.

[8.2.08]
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Der Autor
Johannes Steiner, geboren 1978, schloss 2005 an der Karl-Franzens-Universität Graz sein Diplomstudium Geschichte/Philosophie ab. Seither arbeitet er an seiner Dissertation, nebenbei studiert er noch Archäologie und Volkskunde. Interessensschwerpunkte: Archäologie und mittelalterliche Geschichte, insbesondere Mongolistik / Dschinggis-Khan-Forschung.
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01.01.2010