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Sprechen Sie Wissenschaft?  
  Der wissenschaftliche Sprachgebrauch ist mit wachsenden Problemen konfrontiert. Von den Universitäten hört man Klagen über die mangelnde Sprachkompetenz der Studierenden. Die zunehmende Spezialisierung der Fächer erschwert den innerwissenschaftlichen Dialog.  
Zugleich wächst der mediale Druck, Forschung auch für die Öffentlichkeit allgemein verständlich zu vermitteln. Deutsch als Wissenschaftssprache gerät gegenüber dem Englischen immer mehr in die Defensive. In einem Jahresschwerpunkt lädt science.ORF.at zu einer Auseinandersetzung mit dem Thema "Wissenschaftssprache" ein.
Wissenschaftssprache auf dem Prüfstand
Wissenschaftliche Publikationen richten sich immer noch in erster Linie an die eigene "Community". Inzwischen werden alle Disziplinen jedoch auch mit Fragen einer breiteren Öffentlichkeit konfrontiert. Verständliche Antworten dafür zu formulieren, ist nicht einfach.

Der neue globale Wissenschaftsmarkt erfordert mediengerechte Übersetzungen der Wissenschaftssprache, um in der "Ökonomie der Aufmerksamkeit" punkten zu können. Öffentliche Debatten über die möglichen Folgen und Risiken wissenschaftlichen Fortschritts stehen immer häufiger auf der Tagesordnung.
Wissenschaftssprache im Dialog
Das Bemühen um die Qualität der sprachlichen Vermittlung ist auch die wichtigste Voraussetzung für ein besseres gesellschaftliches Verständnis von Wissenschaft und Forschung.


Mit der Initiative "Sprechen Sie Wissenschaft? Wissenschaftssprache im öffentlichen Dialog" - getragen vom BMWF und der Ö1 Wissenschaftsredaktion - wird versucht, aktuelle Probleme des wissenschaftlichen Sprachgebrauches konkret zu definieren. Kritik an der Wissenschaftssprache und Lösungsversuche sollen für die Wissenschaft selbst, aber auch für ihren Dialog mit der Öffentlichkeit konstruktive Anregungen bieten.
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Die Serie auf science.ORF.at
In einer Reihe von Gastbeiträgen und Interviews werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen zu Reflexionen über ihren Sprachgebrauch eingeladen. Kommunikationsbedingungen des eigenen Faches, eine Bilanz von Stärken und Schwächen, Auseinandersetzungen mit der Fachterminologie und Übersetzungsmöglichkeiten, neue Herausforderungen und Spielräume der Wissenschaftssprache sollen dadurch ausgelotet werden.

In Verbindung damit werden in dieser Serie auch aktuelle, gesellschaftlich relevante Fragestellungen und Themen des jeweiligen Forschungsgebietes und der damit verbundene Bedarf an Wissenschaftskommunikation zur Sprache kommen.
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Mangelnde Sprachkompetenz?
Probleme der Wissenschaftssprache haben mit unbewältigten Vermittlungsdefiziten einzelner Disziplinen und Fächer ebenso zu tun, wie mit neuen Anforderungen, die von außen an die Wissenschaften herangetragen werden. Damit sind einige aktuelle Fragen verbunden.

Versagen die Universitäten bei der Anforderung, guten wissenschaftlichen Sprachgebrauch zu vermitteln? Wie können wissenschaftliche Inhalte weitergegeben und verarbeitet werden, wenn dafür grundlegende sprachliche Fähigkeiten erst erworben werden müssen, die das Schulsystem offensichtlich nicht mehr garantiert?
Mut zur Verständlichkeit
Wer fühlt sich überhaupt für wissenschaftliche Sprachkritik zuständig? Muss diese aus dem eigenen Fach kommen, um auch inhaltlich legitimiert zu sein, oder lassen sich fächer- und disziplinübergreifend Standards für eine gute Praxis des Sprachgebrauches definieren und einfordern?


Wie sollte sich Wissenschaftssprache zur Sprache der Medien verhalten? Ist es sinnvoll, auf externe Übersetzer zurückzugreifen, oder sollte das Handwerk des Übersetzens für verschiedene Sprachwelten und Sprachebenen von allen beherrscht werden?

Muss mit der Wissenschaftskultur im deutschen Sprachraum untrennbar verbunden bleiben, dass sperrige Komplexität vielfach immer noch mit Wissenschaftlichkeit gleichgesetzt wird?
Bilder statt Sprache?
Wie kann Wissenschaftssprache Themen bewältigen, die sich zunächst der Anschaulichkeit und dem Vorstellungsvermögen entziehen, wie bei der Nanotechnologie?

Fördert die Tendenz in manchen naturwissenschaftlichen Fächern, gelungene Darstellungen des Wissens in erster Linie mit Bildern und Graphiken zu verbinden, zeitgemäße Vermittlungsformen, oder verkümmert im Zeitalter von Powerpoint die Fähigkeit, sich auch in Worten bildhaft und anschaulich ausdrücken zu können?
Dialog über die Wissenschaften
Unreflektierte Wissenschaftssprache kann auch dazu beitragen, instrumentalisiert zu werden oder selbst zur Instrumentalisierung beizutragen. Vielleicht sollte schon bei der wissenschaftlichen Ausbildung das Bewusstsein deutlicher dafür geschärft werden, dass Wissenschaftssprache nicht isoliert von gesellschaftlichen Codes, Bedingungen und Leitbildern funktioniert.

Besseres Verständnis und ein gesellschaftlicher Dialog über Wissenschaften setzt umfassende Information der Bürgerinnen und Bürger voraus. Gefragt wäre eine größere Bereitschaft, über wissenschaftliche Produktionsbedingungen und Vermittlungswege, damit aber auch die Bedingtheit ihrer Ergebnisse und Erkenntnisse, zu reflektieren - und zwar öffentlich.

Vorurteile, Informationsmängel, Vermittlungsdefizite ergeben ein unvollständiges und verzerrtes Bild der Wissenschaften, das durch vordergründiges Public Understanding of Science nicht korrigiert werden kann. Aufklärung über Wissenschaften verlangt Klarheit auch in der Sprache.
Englisch als Lingua franca
Das Sprachproblem der Wissenschaften verschärft sich durch die Globalisierung des Wissenschaftsbetriebes. Englisch als dominierende sprachliche "Leitwährung" wirft nicht nur die Frage nach "Bad Simple English" im Publikationswesen auf.

Im deutschen Sprachraum könnte der Trend verstärkt werden, dass immer weniger Zeit und Interesse für Wissenschaftsvermittlung in der eigenen Sprache aufgebracht wird.
Globalisierung oder Provinzialismus?
Hubert Markl, der frühere Präsident der Max-Planck-Gesellschaft hat darauf hingewiesen, dass sich Sprachgemeinschaften auch in der Wissenschaft nicht abkapseln können. Das würde rasch zu sprachlichem und damit bald auch zu geistigem Provinzialismus führen, der sich auf die gesamte Gesellschaft auswirkt.
Neue Wissenskulturen
Wissenschaftler hätten deshalb eine zweifache Übersetzungsarbeit zu leisten: Einerseits in das Englische, die Sprache der "weltweiten Gemeinschaft der Wissenschaft", andererseits aber auch wieder zurück in das Deutsche, um in der Gesellschaft zu wirken, die auch die Mittel für das Forschen zur Verfügung stellt und eine Einbettung in neue Wissenskulturen erst ermöglicht.

Die Serie auf science.ORF.at will Beiträge zu dieser Übersetzungsarbeit leisten: zwischen den Wissenschaften ebenso wie zwischen Wissenschaft und Gesellschaft.

Martin Bernhofer, Ö1 Wissenschaft, 11.2.08
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Symposium "Sprache - Wissenschaft - Öffentlichkeit"
->   Maria Nicolini: Die besondere Sprache in der Wissenschaft
->   Jürgen Trabant: Deutsch als Wissenschaftssprache
->   Dieter Simon: Die Sprachen der Wissensproduzenten
 
 
 
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01.01.2010