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Die Karriere des Begriffs "Kommunikation"  
  Politik, Wirtschaft, Wissenschaft - alles kommuniziert. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gilt "Kommunikation" als inflationär verwendeter Begriff. Als Ersatz für das nach 1945 verbrämte Wort "Propaganda" avancierte der Ausdruck innerhalb weniger Jahrzehnte zu einem der 100 prägenden Begriffe des 20. Jahrhunderts, an den ebenso prägende Begriffe wie "Medium" und "Information" anknüpfen.  
Der Medientheoretiker Frank Hartmann reflektiert im Zuge der Serie "Sprechen Sie Wissenschaft? Wissenschaftssprache im öffentlichen Dialog" in einem Gastbeitrag über die steile Karriere von Kommunikation.
Von der Propaganda zur Kommunikation
Von Frank Hartmann

Soeben wurde ein schmales Buch wieder aufgelegt, ein Klassiker der Medienwissenschaft: "Propaganda" von Edward Bernays, 1928 erschienen. Der Neffe Sigmund Freuds machte in den Vereinigten Staaten einst glänzende Karriere mit der Kunst der manipulativen Kommunikation.

Und mit einer Offenheit, die heutigen PR-Strategen und Werbern nicht so mehr eigen ist, bekannte er: "Die bewusste und zielgerichtete Manipulation der Verhaltensweisen und Einstellungen der Massen ist ein wesentlicher Bestandteil demokratischer Gesellschaften."
Prägender Begriff des 20. Jahrhunderts
Heute ist pauschal von Kommunikation die Rede - ein Begriff, der unsere Gesellschaft wie kaum ein zweiter charakterisiert. Nicht Menschen kommunizieren, sondern Unternehmen und Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Hätte man Wissenschaftler noch vor wenigen Jahrzehnten mit dieser Forderung nach Kommunikation konfrontiert, wäre Ratlosigkeit die Folge gewesen. Die Publikation gehörte selbstverständlich zum Metier, aber Kommunikation?

Kommunikation ist ein eigenartig inflationärer Begriff, der sich ebenso wie der Ausdruck "Medien" erst in jüngerer Zeit etabliert hat. Er findet sich - in einer Reihe übrigens mit Jeans und Kaugummi, Sex und Drogen - unter den 100 prägenden Begriffen des zwanzigsten Jahrhunderts.

Unsere Kultur ist von dem, was sie als Kommunikation bezeichnet, offensichtlich derart überzeugt, dass sie eine Medien- und Kommunikationswissenschaft entwickelt hat: ein Studienfach, das über mangelnden Zulauf nicht klagen kann.
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Schwerpunkt: "Sprechen Sie Wissenschaft?"
"Sprechen Sie Wissenschaft? Wissenschaftssprache im öffentlichen Dialog" heißt eine Initiative von BMWF und Ö1 Wissenschaft. Forscher und Forscherinnen verschiedener Disziplinen reflektieren dabei in science.ORF.at in Gastbeiträgen und Interviews über den wissenschaftlichen Sprachgebrauch und den Bedarf an Wissenschaftskommunikation.
->   Sprechen Sie Wissenschaft?
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"Kommunikation": Ersatz für "Propaganda"
Kommunikation ist ebenso wie Information eine der erfolgreichsten terminologischen Erfindungen. Es gibt kein Entkommen vom Diktat dieser Metapher, oder frei nach Paul Watzlawick: man kann nicht "nicht kommunizieren".

In den 1960er Jahren begann man unter dem Einfluss kybernetischer Modelle, psychische Probleme als Kommunikationsstörungen zu behandeln. Das schien für manche Zeitgenossen unerhört und auf jeden Fall ungewöhnlich, vor allem im deutschen Sprachgebrauch. Konsequent entschuldigte sich Watzlawick noch 1969 in seinem Vorwort zur deutschen Publikation "Menschliche Kommunikation" für diesen ungewohnten Ausdruck.

Im Amerikanischen hingegen war er bereits etabliert, nachdem Harold D. Lasswell es 1945 für opportun empfand, den Begriff Propaganda im Forschungskontext durch den der Kommunikation zu ersetzen. Was im deutschen Sprachraum lange noch Publizistik hieß, war durch die Kollaboration der Zeitungswissenschaft mit dem NS-Regime (Publizistik als "besonderes Führungsmittel") schwer kompromittiert. Erst in den vergangenen zwei, drei Jahrzehnten begann die Aufarbeitung und Neudefinition.
Unabdingbar mit "Medien" verknüpft
"Ich war dabei", schrieb Grafikdesigner Otl Aicher, "als das Wort Kommunikation in die deutsche Sprache eingeführt wurde." Er bezeichnete Kommunikation als "Schlüsselwort für das Verständnis dieses Jahrhunderts", welches den aus dem Amerikanischen importierten Überbegriff für Werbung, Propaganda, Publizistik etc. als Arbeitsgebiet für Gestalter bildete. Die Künstlichkeit von Kommunikation als Designobjekt wird dabei deutlich.

Diese Künstlichkeit verweist indirekt auf einen weiteren Zentralbegriff, der in den nachfolgenden Jahrzehnten Karriere machen sollte: den des Mediums. Es gibt keine unmittelbare Kommunikation, obwohl manchmal dieser Eindruck besteht. Kommunikation und Medien(-technik) gehören unabdingbar zusammen.

Die Medientheorie wurde zu einer Grundlagendisziplin, die sich mit jener Künstlichkeit beschäftigt, an deren Anfang die Übertragung von erworbener Information steht, die somit unwahrscheinliche Strukturen generiert - die kodifizierte Welt der Kultur (Vilém Flusser).
Karriere in der Sozialwissenschaft der 1970er Jahre
Als "Information" tritt der Kommunikationsbegriff schließlich in seine neuere, vom Vokabular der Nachrichtentechnik geprägten Phase. Der mathematische Begriff (Claude Shannon) hat nichts mit Verstehen oder Verständigung zu tun, sondern bezeichnet die technische Übertragung von Signalen.

In der Sozialwissenschaft der 1970er Jahre hingegen sollte das Begriffsfeld "Kommunikation" eine prächtige Karriere machen. Ein gegen die "Bewusstseinsindustrie" (Hans M. Enzensberger) und damit gegen die Medien erhobener Instrumentalisierungsverdacht sorgte zusammen mit idealistischen Relikten für ein neues Interesse an authentischen Vermittlungsakten.

Ein damals kanonisierter Text, nämlich die "Kritik der Kulturindustrie" (1944) von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, kam noch ganz ohne den Begriff der Kommunikation oder des Mediums aus.
Von Habermas zu Luhmann
Als eine Art Summa der einschlägigen Diskurse erschien 1981 eine voluminöse "Theorie des kommunikativen Handelns" von Jürgen Habermas. Hier wurde über die Theoretisierung von Interaktion der Kommunikationsbegriff letztlich auch erkenntnistheoretisch nobilitiert.

Das wiederum rief Niklas Luhmann auf den Plan, der die Theorie der Rationalität kommunikativen Handelns schon auf der empirischen Ebene für schlicht falsch erklärte.

Luhmann entleerter den Kommunikationsbegriff systemtheoretisch ebenso konsequent wie radikal: "Nur die Kommunikation kann kommunizieren".
Nachfolger der Kausalität
Was Kommunikation ist, sagt heute sein Schüler Dirk Baecker, muss offen gelassen werden; er weiß aber, dass "gemessen an seiner Intention und Intuition der Kommunikationsbegriff im 20. Jahrhundert die Nachfolge des Kausalitätsbegriffs des 19. Jahrhunderts antritt".

Während Physiker ganz allgemein von Kommunikation sprechen, wenn sie irgendeine Art der Beeinflussung meinen (von den kommunizierenden Röhren bis hin zu den kommunizierenden Teilchen), verdankt der Begriff seine Karriere einem politisch relevanten Interesse an Problemen des Informationsflusses und des Managements von Systemen, das dem strategischen Zusammenhang von Kriegsführung, sozialer Kontrolle und neuen Technologien in Folge des Zweiten Weltkrieges entstammt.
Fetischisierter Ausdruck
Kommunikation und Information sind sowohl technologisch wie wissenschaftlich fetischisierte Begriffe.

Als einst mit Hilfe der elektrischen Telegrafie die globale Vernetzung begann, da tauchte mit der "unendlich erleichterten Kommunikation" (Karl Marx) auch die Rede von Völkerverständigung und Weltfrieden auf. Ganz so, als wären die kulturellen und sozialen Problemlagen auf unzureichende Kommunikation zurückzuführen - wir wissen inzwischen, dass dem nicht unbedingt so sein muss.

Wir wissen aber auch, dass das, was die Menschen wahrnehmen und denken, etwas ganz anderes ist als das, was sie kommunikativ zum Ausdruck bringen.

[15.2.08]
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Über den Autor
Frank Hartmann ist Dozent für Medientheorie an der Universität Wien. Im April erscheint sein neues Buch, eine Einführung in das Thema "Medien und Kommunikation" (UTB Profile).
->   Mehr über das Buch und den Autor
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->   BMWF
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->   Welt-Kommunikation brauchte Welt-Verkabelung
->   Mediologie: Ansätze einer Medientheorie der Kulturwissenschaften
->   Definitionsversuche zur "Medienphilosophie"
 
 
 
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01.01.2010