News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 
Städte verändern Evolution von Pflanzen  
  Moderne Städte bestehen vorwiegend aus Beton und Asphalt. Pflanzen müssen mit kleinen, oft weit auseinanderliegenden Flächen auskommen. Französische Forscher haben herausgefunden, dass verbaute Stadtflächen die Samenproduktion und somit die Verbreitungsstrategie einer Grasart erstaunlich schnell verändern können.  
Offensichtlich hat die Fragmentierung der Grünflächen wesentliche Auswirkungen auf die Evolution von Stadtpflanzen. Davon berichten die Biologen in der aktuellen Ausgabe der "PNAS".
...
Der Artikel "Rapid evolution of seed dispersal in an urban environment in the weed Crepis sancta" von P.-O. Cheptou et al. erscheint zwischen 4. und 7. März in den "Proceedings of the National Academy of Science"(Bd.105, DOI:10.1073/pnas.0708446105).
->   Artikel
...
Verbreitungsstrategien als Kosten-Nutzen-Rechnung
Prinzipiell geht die Evolutionstheorie davon aus, dass die Verbreitungsstrategie jeder Art das Ergebnis einer Kosten-Nutzen-Rechnung ist. Ein Vorteil einer breiten Streuung von Erbträgern bei Pflanzen wäre etwa, dass sie die Konkurrenz in der eigenen Verwandtschaft reduziert oder neue Umgebungen erreicht werden können. Der entscheidende Nachteil ist aber ein potenzieller Verlust während der Verteilung.

Bei Pflanzen verbreiten ihre Samen sehr häufig über die Luft. Diese Form der Fortpflanzung kann unter Umständen jedoch sehr kostenintensiv sein, wenn der Samen eben verloren geht. Ist dieser Verlust zu hoch, müsste dies laut den Forschern diese Art der Verbreitung beeinflussen, nämlich indem sie zurückgeht.

In natürlichen Umgebungen ist dieser Selektionsdruck jedoch aufgrund unterschiedlichster Einflussfaktoren schwer zu messen.
Bei der passiven Verbreitung entscheidet der Zufall
 
Bild: Gilles Przetak

Die Biologen rund um Pierre-Olivier Cheptou vom Centre d'Ecologie functionelle et evolutive gingen davon aus, dass bei einer passiven Verbreitung - also entweder über die Luft oder über Wasser - die Wahrscheinlichkeit in einer passenden Umwelt zu landen ganz einfach von der Anzahl derartiger Plätze in der Umgebung abhängt, nachdem die Auswahl des Ortes ja völlig zufällig erfolgt.

Für ihre Studie untersuchten sie die Population des Grases Crepis sancta , ein weit verbreitetes Korbblütengewächs, in der südfranzösischen Stadt Montpellier. Es wächst dort in kleinen Flecken auf den Bürgersteigen rund um von der Stadt gepflanzte Bäume.

Auf einer Fläche von mehreren Quadratkilometern befinden sich also nur sehr verstreute, kleine und isolierte Grünflächen, die weniger als ein Prozent der Gesamtfläche ausmachen.
Stadtpflanzen ändern ihre Fortpflanzungsstrategie
Bild: Eric Imbert
Die zwei Samentypen
Die Pflanze eignet sich besonders gut, evolutionäre Veränderungen bei der Verbreitung zu untersuchen, da sie zwei unterschiedliche Samentypen produziert. Einer ist sehr leicht und wird vom Wind verteilt (rechts im Bild unten), der andere schwer und fällt direkt zu Boden (im Bild oben). Die Studienautoren nahmen Samen von mehreren Stellen in Montpellier, pflanzten sie in ein Glashaus und verglichen sie mit ihren Artverwandten vom Land.

Zuerst konnten sie zeigen, dass die leichten Samen eine um 55 Prozent geringere Chance haben auf einem geeigneten Untergrund zu landen als die schweren. In einem zweiten Schritt konnten sie tatsächlich nachweisen, dass der Anteil des zweiten Samentyps bei den grünen "Stadtbewohnern" signifikant höher ist als bei den "Landbewohnern".

Mit Hilfe eines mathematischen Fortpflanzungsmodells berechneten die Wissenschaftler, dass die aktuelle Stadtversion des Grases etwa zwölf Jahre - also nicht sehr lange - für ihre Entwicklung brauchte.
Pflanzen in Städten doppelt isoliert
Das könnte laut den Forschern für Pflanzen in derartigen städtischen Lebensräumen quasi zu einer doppelten Isolation führen. Einerseits hätten sie ohnehin kaum mehr ausreichend Platz. Und obwohl die Pflanze durch ihre Anpassung ihr momentanes Überleben sichert, würde die reduzierte Verbreitung der Samen langfristig zu einer Verringerung der Genvarianz und somit der Überlebenschance der gesamten Art führen.

[science.ORF.at, 4.03.08]
->   Pierre-Olivier Cheptou
->   Centre d'Ecologie Fonctionnelle et Evolutive
Mehr dazu in science.ORF.at:
->   Öko-Paradox: Pflanzen brauchen Pflanzenfresser (11.1.08)
->   Evolution: Sprintphase der Samenpflanzen (27.11.07)
->   Pflanzen: Asexualität bringt Vorteile (11.9.06)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010