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Technikfolgen: Wie Expertise in die Politik kommt  
  Wie kann man sinnvolle Gesetze zu Technologien ausarbeiten, wenn man über ihre Auswirkungen noch wenig weiß? In diesem schwierigen Feld zwischen Forschung und Politik bewegt sich die Technikfolgenabschätzung. Um Politikern bessere Grundlagen bereitzustellen, gibt es am deutschen Bundestag ein eigenes Büro für Technikfolgenabschätzung (TAB).  
Der Leiter Armin Grunwald erklärt im Gespräch mit science.ORF.at, wie das TAB als Übersetzer zwischen Politik und Wissenschaft wirkt, wie er mit politischen Interventionen umgeht und warum er keine Lust hat, selbst Politiker zu werden.
Bild: science.ORF.at
Armin Grunwald
Politik und Wissenschaft sind zwei grundlegend verschiedene Systeme: Die Wissenschaft überlegt meist lange und gründlich, die Politik braucht schnelle und eindeutige Antworten. Wie kann man trotzdem Politikberatung in so heiklen Feldern wie der Nanotechnologie machen?

Armin Grunwald: Der Gegensatz besteht tatsächlich: Wissenschaft lebt geradezu davon, dass sie Zeit hat, dass sie entlastet ist von Handlungs- und Entscheidungszwängen. In gewisser Weise lebt Wissenschaft sogar von der eigenen Folgenlosigkeit. Politik wird getrieben durch die Anforderung der Alltagszwänge. Hier besteht ein großer Unterschied in den Zeitskalen - daraus folgt aber nicht, dass man sich gegenseitig nicht braucht. Politik braucht Wissenschaft bei komplexen Entscheidungen, nicht nur in technischen Bereichen, sondern auch bei Themen wie der Sozialversicherung, wo man heute Entscheidungen mit jahrzehntelangen Auswirkungen treffen muss.
Sie beraten den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgeabschätzung im deutschen Bundestag - wie kann man sich diese Arbeit vorstellen?

Grunwald: Für das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) arbeiten acht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, was eine sehr kleine Zahl angesichts der großen Bandbreite an Themen ist. Wir fungieren in erster Linie als Brücke zwischen dem Parlament und der Wissenschaft und übersetzen in beide Richtungen: die Bedürfnisse der Politikerinnen und Politiker für die Wissenschaft sowie die Antworten der Forscherinnen und Forscher für die Politik.
Wie kann man sich diese Übersetzungsarbeit konkret vorstellen?

Grunwald: Ich greife das Thema Nanotechnologie heraus: Ab dem Jahr 2000 kam das Wort Nanotechnologie immer öfter in Medien vor und wir wurden mit dem Wunsch konfrontiert: "Macht doch mal was zu Nano!" Wir haben Aspekte recherchiert, mit denen man das große Thema in interessante kleinere Stücke zerlegen kann, die Politiker interessieren. In der gemeinsamen Diskussion haben wir die Fragestellungen festgelegt: Innovationspotenziale, Risiken etc. Danach suchten wir durch Veröffentlichung der Fragen Forscherinnen und Forscher, die die Themen für uns bearbeiten.

Die externen Gutachterinnen und Gutachter müssen wir ständig bei der Stange halten, weil sie sich oft für andere Fragen interessieren, als die Politiker verwenden können. Auf Basis dieser Arbeiten erstellen wir - zumeist ein bis anderthalb Jahre nach Auftragserteilung - einen Gesamtbericht, an dessen Ende wir auch Schlussfolgerungen für das Parlament ziehen: Wo kann und sollte es handeln? Bei der Nanotechnologie empfahlen wir das Feld der Nanopartikel zur genaueren Analyse. Daraufhin hat das Parlament das Forschungsministerium aufgefordert hat, entsprechende Forschungsprogramme aufzulegen.
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Schwerpunkt: "Sprechen Sie Wissenschaft?"
"Sprechen Sie Wissenschaft? Wissenschaftssprache im öffentlichen Dialog" heißt eine Initiative von BMWF und Ö1 Wissenschaft. Forscher und Forscherinnen verschiedener Disziplinen reflektieren dabei in science.ORF.at in Gastbeiträgen und Interviews über den wissenschaftlichen Sprachgebrauch und - damit möglicherweise einhergehende - Verständigungsschwierigkeiten.
->   Alle Beiträge zu "Sprechen Sie Wissenschaft?"
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Wie kommen Sie zu Ihren Themen?

Grunwald: Ulla Burchard, die Vorsitzende des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung im Bundestag, schreibt ca. alle eineinhalb Jahre einen Brief an die anderen Ausschüsse mit der Frage, was sie im Bereich Technikentwicklung interessiert. Aus den Wünschen wird eine Liste erstellt: 2007 umfing sie 34 Themen, wir können aber nur rund zehn bis maximal zwölf bearbeiten.

Um auszusortieren, geben wir zu jedem Wunsch eine kurze Stellungnahme ab: Gibt es nicht schon Studien, in denen die gesuchten Antworten stehen? Ist das Thema wirklich aktuell? Wir machen einen Vorschlag, welche Fragen weiterbearbeitet werden sollten, und legen unsere Liste dem Ausschuss zur neuerlichen Diskussion vor. Diese Listen sind in den vergangenen Jahren zu rund 90 Prozent akzeptiert worden.
Aber dennoch muss man dann wohl Zugeständnisse an die Politik inhaltlicher Natur machen ...

Grunwald: Die Themenwahl ist ein politischer Akt, das muss man so sehen. Und klar, manchmal ist ein Thema dabei, das wir nicht gewählt hätten. Aber letztlich muss ich auch sagen, dass sich manche Themen im Lauf der Arbeit als spannender herausstellen als auf den ersten Blick. Politiker haben eine andere Sensibilität, was die Dringlichkeit von Fragestellungen betrifft, da können wir auch davon lernen. Die Qualität unserer Arbeit muss aber von der Politik unbeeinflusst bleiben.
Und das wird auch akzeptiert? Gibt es nicht immer wieder Druck, dass Sie am Ende einer Studie andere Aussage treffen sollen als vorgesehen?

Grunwald: Das ist sogar recht oft so. Um ein Beispiel zu nennen: Wir haben vergangenes Jahr eine Studie zum Thema Geothermie abgeschlossen. Bei der Präsentation im Parlament redete unser Mitarbeiter zuerst über die großen Potenziale der Geothermie, und bei den Grünen strahlten die Gesichter. Dann rechnete er das realistische Potenzial aus, also wie teuer Anlagen wären, wie effizient sie sind etc.

Das Potenzial wurde immer kleiner und den Grünen fielen die Kinnladen herunter. Letztlich trug uns das den Vorwurf sein, die Technologie schlecht geredet zu haben. Aber wir stehen solange hinter unseren Studien, bis uns jemand einen Fehler in der Argumentationskette nachweist.
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Das TAB
1990 wurde das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) eingerichtet, seither wird es vom Forschungszentrum Karlsruhe betrieben. Die Projekte reichen inhaltlich von Energiepflanzen und Energiespeichersystemen über die Potenziale von Online-Petitionen bis hin zum Gendoping (auf Anfrage des Sportausschusses). Der Leiter des TAB, Armin Grunwald, war kürzlich auf Einladung der Vorsitzenden des Innovationsausschusses im österreichischen Parlament, Michaela Sburny (Grüne), zu Besuch in Wien. Sburny hat zur Professionalisierung der Arbeit der Abgeordneten eine Initiative gestartet, auch im österreichischen Parlament ein Büro für Technikfolgenabschätzung einzurichten.
->   Zum TAB
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Wenn man so politiknahe arbeitet, ist man nicht immer versucht, selbst einmal in die Politik zu gehen und zu zeigen, wie man es richtig macht?

Grunwald: Es passiert schon immer wieder, dass Wissenschaftler in die Politik gehen, um ihre Anliegen besser vertreten zu können - aber nicht in der Technikfolgenabschätzung. Wir wollen die Politiker ständig herausfordern, damit sie ihren Job möglichst gut machen. Wir sind so nahe an der Politik dran, dass wir sehen, welch schwieriges Geschäft das ist - und da bleibt die Versuchung gering, das selbst tun zu wollen.

Elke Ziegler, science.ORF.at, 5.3.08
->   Armin Grunwald
->   Ausschuss für Forschung, Innovation und Technologie (österr. Parlament)
->   Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ÖAW)
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->   Flexible Arbeit erschwert demokratische Mitbestimmung (30.9.05)
->   Cyberscience: Forschung im Internet-Zeitalter (6.11.03)
 
 
 
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01.01.2010