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Ökosystemforschung: Die Tücken der Mücken  
  Kleine Änderungen in Ökosystemen ziehen mitunter große Wirkungen nach sich. Die jüngste Bestätigung dieser Einsicht liefert eine Studie an einem isländischen See: Seit das Gewässer ausgebaggert wurde, spielen die Mückenschwärme verrückt.  
Mücken in Mund und Nase
 
Bild: Arni Einarsson

Im Mývatn, dem im Nordosten Islands gelegenen "Mückenwasser", wiederholt sich jedes Jahr ein ähnliches Schauspiel: Im See wachsen Millionen von Insektenlarven heran, verwandeln sich in die geflügelte Lebensform und gehen dann - in Schwarmformation - auf Partnersuche.

Die Mückenschwärme sind mitunter so dicht, dass sie die Atemwege anwesender Tiere verstopfen. In der Region um den See Mývatn sollen auf diese Weise bereits einige Pferde erstickt sein. Belegt ist jedenfalls, dass Mückenschwärme immer wieder zu Feuerwehreinsätzen führen, weil sie von der Ferne wie dichte Rauchschwaden aussehen.
Beträchtliche Schwankungen
Die Zahl der Mücken, die durch den Luftraum von Mývatn schwirren, schwankt allerdings von Saison zu Saison erheblich. "In manchen Jahren findet man fast gar keine, während man in anderen wirklich aufpassen muss, damit man sie nicht inhaliert", sagt Arni Einarsson, der in der Region eine biologische Forschungsstation leitet. "Die Fluktuationen können sechs Größenordnungen betragen."

Das ist in der Tat beträchtlich: In starken Mückenjahren treten bis zu eine Million Mal mehr Tiere auf den Plan als in schwachen. Warum das so ist, konnte bisher niemand mit Sicherheit sagen.
Modell zeichnet Muster nach
 
Bild: Arni Einarsson

Einarsson hat nun mit britischen und US-amerikanischen Kollegen im Fachjournal "Nature" (Bd. 452, S. 84) ein Modell vorgestellt, das die Dynamik der im Mývatn dominierenden Mückenart namens Tanytarsus gracilentus beschreibt (Bild oben). Es zeigt: Das extreme Auf und Ab ist teilweise "hausgemacht".

Wenn man an den Eingangsgrößen des Modells nur ein bisschen dreht, erhält man im Computer bereits die wunderlichsten Schwankungen. Und das, obwohl darin nur drei ökologische Faktoren vorkommen - Mücken, ihre Nahrung (Algen) sowie zersetzte Tier- und Pflanzenreste.

"Wenn unser Modell korrekt ist, dann sind die Mücken-Zyklen von feinsten Änderungen in der Hydrologie des Gewässers abhängig", sagt der Erstautor der Studie, Anthony Ives. Und fügt hinzu: "Die Fluktuationen der Mücken sind weder zufällig noch regelmäßig. Selbst wenn man die Ursachen der Schwankungen kennt, kann man die Wirkungen nicht vorhersagen."
Ursache: Baggerung
Diese Erkenntnis ist freilich nicht ganz neu: Der britische Biomathematiker Robert May hat bereits in den 70er Jahren gezeigt, dass man mit ganz einfachen (und deterministischen) Gleichungen die kuriosesten Muster erzeugen kann. Im Fall des Mückenmodells steht allerdings nicht die Theorie, sondern ein angewandter Aspekt im Vordergrund - der Einflussfaktor Mensch. "Die Fluktuationen der Mückenpopulationen sind in den letzten 40 Jahren extremer geworden", sagt Ives.

Und zwar so extrem, dass die seit 1.000 Jahren im Mývatn betriebene Fischerei zusammenbrach. Sein Kollege Arni Einarsson erlebte den Kollaps vor Ort: "Die Schwankungen der Mückenpopulationen wurden so stark, dass sich die Fische nicht mehr anpassen konnten. Kurz gesagt: Den Fischen ging das Fressen aus."

Das Modell legt nahe, dass dafür ein vergleichweise harmloser Eingriff verantwortlich ist. In den 60er Jahren begann man damit, das Gewässer auszubaggern - und zerstörte damit offenbar wichtige Refugien von Mückenlarven. Nun, 40 Jahre später, bekommt man die ökologische Rechnung dafür präsentiert.

Robert Czepel, science.ORF.at, 6.3.08
->   Mývatn - Wikipedia
->   Mývatn Research Station
 
 
 
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01.01.2010