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Wie das Fernsehen den Tagesablauf strukturiert  
  Warum Menschen zu einer bestimmten Zeit schlafen gehen und aufstehen, beschäftigt die Wissenschaft schon lange. Ausgefeilte Methoden wurden gefunden, um den Mechanismen der inneren Uhr bis auf Zellebene auf die Schliche zu kommen. Nun behaupten US-Forscher, dass ein künstlich geschaffener Faktor viel einflussreicher ist als der natürliche Rhythmus: das Fernsehen.  
Da es in den USA unterschiedliche Zeitzonen gibt, lässt sich der Effekt von beliebten Late-Night-Shows auf die Strukturierung des Tagesablaufs detailliert untersuchen.

Die Forscher um Daniel Hamermesh von der Universität Texas in Austin glauben, mit ihrer Studie belegen zu können, dass das Fernsehen wichtiger ist als natürliche Rhythmen. Schließlich habe der Zeitpunkt, wann die Sonne auf- und untergeht, nur mehr einen marginalen Einfluss darauf, ob Menschen früh oder spät zu arbeiten beginnen.
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Die Studie mit dem aussagekräftigen Titel "Cues for Timing and Coordination: Latitude, Letterman, and Longitude" ist im "Journal of Labor Economics" erschienen (Band 26. Nr. 2. S. 223-246).
->   Zur Studie
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Ökonomisches Potenzial der Zeiteinteilung
Das eigentliche Anliegen der Forscher war es herauszufinden, welche Faktoren Menschen dazu bringen, ihre "Lebenszeiten" zu koordinieren. Dahinter steckt ein handfestes wirtschaftliches Interesse: Wenn mehr Menschen zur gleichen Zeit an ihrem Arbeitsplatz sind, steigt in Branchen, wo Teamarbeit und Arbeitsteilung grundlegend sind, die Produktivität.

Dass in der Zeiteinteilung ökonomisches Potenzial steckt, wurde in der Vergangenheit besonders bei der Einführung der Sommerzeit deutlich: Durch das Vorstellen der Uhr um eine Stunde sollte die für Arbeit nutzbare, helle Zeit des Tages um eben diese Stunde verlängert werden.

Die bis heute verwendete englische Bezeichnung für die Sommerzeit, "Daylight Saving Time", verdeutlicht den Zweck, die Stundenzahl mit nutzbarem Tageslicht zu vergrößern.
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Die Sommerzeit wurde in Österreich, Deutschland und der Schweiz zum ersten Mal am 30. April 1916 eingeführt, in den USA zog man 1918 mit dem "Standard Time Act" 1918 nach. Es folgten Jahrzehnte, in denen die Zeitumstellung während der Sommermonate immer wieder verändert wurde. Besonders skurril mutet die in Deutschland 1947 von den Besatzungsmächten verordnete "Hochsommerzeit" an: Bis 1949 wurden zwischen Mitte Mai und Ende Juni die Uhren um zwei Stunden vorgestellt. Um das Jahr 1977 einigten sich die meisten Länder in Europa wieder auf die bis heute geltende Sommerzeit. Heuer rückt der Stundenzeiger am 30. März 2008 von zwei auf drei Uhr vor.
->   Mehr zur Sommerzeit (Wikipedia)
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Arbeit, schlafen und fernsehen
Die Forscher um den Ökonom Daniel Hamermesh wollten Genaueres zur Tageseinteilung der US-Amerikaner wissen. Sie analysierten, wann die Menschen die drei wichtigsten Teile ihres Alltags "erledigen": bezahlte Arbeit, schlafen und fernsehen. Auf diese drei Faktoren kamen sie, weil mit diesen Aktivitäten im Schnitt mindestens 62 Prozent eines Tages belegt sind.

Als Datenbasis verwendeten die Wissenschaftler die Angaben des American Time Use Survey des nationalen Büros für Arbeitsstatistik.
->   American Time Use Survey
Früher fernsehen, früher zu Bett ...
Bei der Analyse der Daten zeigte sich, dass Menschen, die in den früheren Zeitzonen leben, sowohl früher zu Bett gehen als auch früher aufstehen als jene in späteren Zeitzonen.

Der Frage nach dem Grund kamen die Forscher auf das Fernsehen: In jenen Zonen, wo die beliebte Late-Night-Show früher beginnt, war es um 6,4 Prozentpunkte weniger wahrscheinlich, dass die Menschen zwischen 23 Uhr und 23.15 Uhr noch fernsehen als in jenen Zonen, wo die Show gerade erst beginnt.
... früher arbeiten
Nun könnte man annehmen, das liege einfach an der späteren Beginnzeit, habe aber sonst keine Auswirkungen auf den Tagesablauf. Das wäre aber laut Studie zu kurz gegriffen.

Denn dort, wo die TV-Show früher zu Ende ist und damit das Bett früher lockt, gehen die Menschen auch früher arbeiten: Sowohl um sieben als auch um acht Uhr in der Früh haben statistisch signifikant mehr Leute ihren Dienst in den frühen "TV-Zonen", wie es die Forscher nennen, angetreten als in den späten.
Verlagerung der Lichtzeiten: Kein Einfluss
"Das TV-Programm hat weit über das reine Fernsehen hinaus Bedeutung", schlussfolgern die Wissenschaftler. "Es strukturiert das Arbeits- und Privatleben bis hin zu den Zeiten, zu denen gegessen wird."

Geht man nach den Forschern, hat in diesem Fall also wirklich die Kultur die Natur besiegt: Denn die alljährliche Verlagerung der Lichtzeiten durch die Einführung bzw. das Ende der Sommerzeit wirkt sich laut dieser Untersuchung gar nicht auf den Lebensrhythmus der US-Amerikaner aus.
ZIB 1 markiert den Ladenschluss
Dass das Fernsehen nicht nur in den USA eine starke, strukturierende Wirkung hat, hat sich in Österreich zuletzt bei der Ausweitung der Ladenöffnungszeiten gezeigt.

Obwohl es dadurch jetzt grundsätzlich möglich wäre, bis 21 Uhr offen zu halten, haben sich die großen Lebensmittelketten auf maximal 19.30 Uhr festgelegt. Der Grund: Dann beginnt die ZIB 1, und dazu - so die Argumentation des Handels - wollen die meisten Österreicher zu Hause sein.

Elke Ziegler, science.ORF.at, 10.3.08
->   Daniel Hamermesh
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01.01.2010