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Statistiker: Kochkulturen relativ abgeschlossen  
  Schweinsbraten hierzulande oder Pasta in Italien, eine eigene Küche - also spezielle Rezepte und Zutaten sowie Art der Zubereitung - ist Kernstück jeder kulturellen Identität. Nicht nur Geschmackshüter sehen diesen regionalen Charakter heute bedroht. Statistiker geben nun Entwarnung. Die Entwicklung von Landesküchen verläuft laut der Analyse von Kochrezepten relativ langsam und abgeschlossen.  
Außerdem haben die Forscher von der Universidade de Sao Paulo herausgefunden, dass sich verschiedene Kochtraditionen sehr stark ähneln, was die statistische Verteilung ihrer Zutaten betrifft.
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Der Artikel "The Non-Equilibrium Nature of Culinary Evolution" von Osame Kinouchi et al. wurde bei der Fachzeitschrift "Physical Review E" eingereicht und ist bereits als Preprint auf arXiv.org erschienen.
->   Artikel
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Kochrezepte als Idealdaten für statistische Modelle
Für die Forscher, darunter Physiker, Ernährungswissenschaftler und Informatiker, sind Kochrezepte und ihre Veränderung perfekte Objekte für einen "kulturellen Algorithmus". Besonders in Schriftkulturen gibt es verlässliche Daten, welche die Kochtraditionen repräsentieren. Kochbücher liefern statistische Informationen über Zutaten und Zubereitungsarten, also auch über die Bedeutung der einzelnen Teile.

Grundlage für die aktuelle statistische Analyse der Landesküchen waren Kochbücher aus Brasilien, Frankreich, Großbritannien sowie aus dem Mittelalter mit insgesamt 3000 Rezepten. Die Untersuchung konzentrierte sich auf die Zutaten und ihr Verhältnis zueinander. Ihre Anzahl wurde gezählt und ihre relative Dominanz innerhalb einer Kochkultur erhoben.
Ähnliche statistische Verhältnisse in allen Kochkulturen
Ziel dabei war, statistische Muster in den regionalen Küchen zu finden und zu vergleichen, um Parallelen oder auch Unterschiede zu entdecken. Nach der Analyse der ersten Rezepte formulierten die Wissenschaftler einen Algorithmus, in den sämtliche erhobene Faktoren einflossen.

Berechnet wurde in der Folge das Verhältnis zwischen der Wichtigkeit einer einzelnen Zutat innerhalb eines Rezepts und ihrer Verbreitung in allen Rezepten dieser Kochkultur. Die grafische Darstellung dieser Beziehung war bei allen untersuchten Kochbüchern sehr ähnlich.

Das heißt, das Ausmaß mit welchem eine Zutat eine regionale Küche dominiert ist überall annähernd gleich hoch. Offensichtlich besitzt die statistische Verteilung der Bestandteile vergleichbare Muster in allen Regionen.
Zeitliche Entwicklung verläuft langsam
In einem weiteren Schritt untersuchten die Wissenschaftler rund um Kinouchi die zeitliche Veränderung der Rezepte. Dafür verglichen sie drei Ausgaben des brasilianischen Kochbuchs "Dona Benta", von 1946, 1969 und 2004.

Zusätzlich führten sie einen Fitnessfaktor in das mathematische Evolutionsmodell ein. Dieser beschreibt die Wahrscheinlichkeit, mit welcher eine Zutat ausgetauscht wird, etwa weil ein Produkt billiger ist, besser schmeckt oder eher verfügbar ist. Als Beispiel nennt einer der Studienautoren, Antonio Roque, gegenüber der online-Ausgabe von "Nature" die Ausbreitung der Kartoffel in Europa. Ihre steigende Verfügbarkeit verdrängte die vorher sehr häufig verwendete Rübe.

Die Art der historischen Dynamik, die dieses Modell beschreibt, vergisst quasi nie ihren Ausgangspunkt. Entwicklungen geschehen sehr langsam. So bleiben etwa manche traditionelle Bestandteile erhalten, da sie nicht sinnvoll ersetzt werden können. Das führt die Forscher zu dem Schluss, dass die relativ abgeschlossene Natur von Küchenkulturen weiter bestehen wird, auch wenn neue Zutaten und Rezepte auftauchen.

[science.ORF.at, 12.3.08]
->   Universidade de Sao Paulo
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01.01.2010