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125. Todestag: Karl Marx heute wieder aktuell  
  Seine Ideen spalteten die Welt in zwei Systeme und prägten das 20. Jahrhundert: Vor 125 Jahren ist der Philosoph und Ökonom Karl Marx gestorben. In Zeiten der Globalisierung ist seine Theorie wieder aktuell.  
Marx wieder zitierfähig
Marx ist für Politiker wieder zitierfähig: Im "globalisierten Turbokapitalismus", in dem nur noch Kapital und Rendite das Sagen haben, ist plötzlich die Rede vom "Primat der Ökonomie über die Politik", einer "neuen Klassengesellschaft", "Heuschrecken" und der "Ökonomisierung aller Lebensbereiche".

Es ist die Ohnmacht vor einer unüberschaubaren Welt, die nach Erklärung ruft - und da taucht Marx "wie ein Steh-auf-Männchen" wieder auf, sagt die Leiterin des Museums Karl-Marx-Haus der Friedrich-Ebert-Stiftung, Beatrix Bouvier, in Trier.
In erste Linie Analytiker
Bild: Wikipedia
Karl Marx
"Er hat in vielerlei Hinsicht das kapitalistische System in seiner Grundstruktur richtig beschrieben", sagt Politikwissenschaftler Klaus Körner in Hamburg. Die weitere Entwicklung der Gesellschaft in Krisen habe er aber nicht gesehen.

"Er war vor allem ein Analytiker", sagt Historikerin Bouvier. Sein "Analyseinstrumentarium" sei heute noch gültig, auch wenn es nicht zu Lösungen führe.

"Marx hatte keine Idee, wie die Gesellschaft aussehen könnte. Erst später wurden mit seiner Lehre geschlossene Systeme entwickelt, die den Missbrauch - ob von Lenin oder von Stalin - möglich gemacht haben."
Klassenlose Gesellschaft und soziale Gerechtigkeit
Seine größte Wirkung hatte Marx, 1818 als Sohn eines jüdischen Rechtsanwalts in Trier geboren, im 20. Jahrhundert mit seiner Utopie einer klassenlosen Gesellschaft und von sozialer Gerechtigkeit: Die internationale sozialistische Bewegung erkannte ihn als Ahnherr des Kommunismus an und legte ihn nach Belieben aus.

1917 berief sich Lenin beim Sturz des russischen Zaren auf die Lehren von Marx, die er mit Betonung des Führungsanspruchs der Arbeiterpartei zum "Marxismus-Leninismus" ausbaute. Lenins Nachfolger, der sowjetische Diktator Josef Stalin, rechtfertigte den Mord von Andersdenkenden im zweistelligen Millionenbereich mit dem Primat der Kommunistischen Partei.
->   Mehr über das Leben von Karl Marx (Wikipedia)
Marx: "Ich bin kein Marxist"
Auch in China, Vietnam und Lateinamerika kämpften Revolutionäre unter dem Etikett Marx. Und die Zwangsvereinigung von KPD und SPD 1946 in der späteren DDR fand vor einer überdimensionalen Marx-Büste statt.

In den 1980er Jahren noch lebte fast die Hälfte der Weltbevölkerung in Staaten, die sich auf den Marxismus beriefen. Obwohl der Begriff des Marxismus eigentlich von Marx-Gegnern stammte, die sich 1870 um den russischen Anarchisten Michail Bakunin scharten. Und Marx selbst einmal betont hatte: "Ich bin kein Marxist."
Denken war revolutionär
Das Denken von Marx war revolutionär: Der kommunistische Vordenker analysierte mit Friedrich Engels die Verhältnisse im Zeitalter der industriellen Revolution und beschrieb die Ausbeutung der Arbeiterklasse durch Unternehmer und Feudalherren.

Die Behauptung, das Sein bestimme das Bewusstsein, stellte die bestehende Ordnung infrage. Im 1848 veröffentlichten "Kommunistischen Manifest" rief Marx die Arbeiter mit dem legendären Appell "Proletarier aller Länder, vereinigt euch!" zum Handeln auf.
Arbeitern Selbstbewusstsein gegeben
Es sei der größte Verdienst von Marx gewesen, den Arbeitern erstmals ein Selbstbewusstsein zu geben, sagt Marx-Forscher Körner, der pünktlich zum 125. Todestag von Marx eine Biografie und ein Karl-Marx-Lesebuch auf den Markt gebracht hat.

In seinem Hauptwerk "Das Kapital", an dem Marx jahrelang schrieb, setzt er dem herrschenden System das Ziel einer "klassenlosen Gesellschaft" entgegen, die "die freie Entwicklung eines jeden" ebenso wie "die freie Entwicklung aller" garantieren soll. Er glaubt, langfristig werde der Kapitalismus an seinen eigenen Widersprüchen scheitern.
Parteien stark beeinflusst
Wie sehr Marx die entstehenden sozialistischen Parteien beeinflusst hat, wird am Beispiel der deutschen SPD klar: Noch 1891 war das Erfurter Programm der SPD in weiten Teilen von Marx' klassenkämpferischer Vorstellung bestimmt.

Erst 1959 wandelte sich die SPD - unter dem Eindruck des in der DDR real existierenden Sozialismus und des Wirtschaftswunders im Westen - mit dem Godesberger Programm endgültig von einer sozialistischen Arbeiterpartei zu einer Volkspartei.

Mit dem Ende der DDR 1989, dem Fall der Mauer und dem Zerfall der Sowjetunion war das Scheitern jener klar, die über Jahrzehnte die Interpretationshoheit über Marx beansprucht hatten.

Birgit Reichert/dpa, 14.3.07
Mehr über Karl Marx in science.ORF.at:
->   Der junge Karl Marx: Genie oder Stratege? (7.2.03)
 
 
 
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01.01.2010