News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung .  Technologie 
 
Nano: Disziplinen müssen lernen, miteinander zu reden  
  Jede Wissenschaft hat ihre eigene Sprache. Das kann zum Kommunikationsproblem werden, wenn verschiedene Disziplinen zusammenarbeiten. Frank Sinner skizziert anhand seines interdisziplinären Projekts "Nano-Health" die sprachlichen Barrieren innerhalb der Fachgebiete, die unter dem Titel Nanotechnologien zusammenarbeiten müssen. Und er beschreibt in seinem Gastbeitrag die Chancen, die sich durch die Öffnung von Sprach- und Denkschemata ergeben können.  
Nanotechnologien - auch eine sprachliche Herausforderung?
von Frank Sinner

Die Nanotechnologien befassen sich mit Welten von unvorstellbarer Kleinheit und entführen uns an die Grenze zwischen Realität und Phantasie. Wir können uns aber weder einen noch hundert Nanometer - jene Größen also, in denen sich die Nanotechnologien bewegen - vorstellen. Daher versucht man uns Bilder anzubieten. Beispielsweise: Der Vergleich zwischen einem Nanopartikel und einem Fußball verhält sich wie letzterer zur Erde! Doch können wir uns ihn dadurch besser vorstellen, den Nanometer?

Die Vermittlung von unvorstellbaren Größen wie dem Nanometer stellt Wissenschaftler wie das Forschungsteam von "BioNanoNet" und mich vor besondere Herausforderungen: Wie teilen wir uns mit? Wie kommunizieren wir mit Kollegen und der interessierten Öffentlichkeit?
Unterschiedliche Disziplinen, unterschiedliche Sprachen
Wissenschaftler haben meistens einen akademischen Abschluss, der neben der fachlichen auch eine sprachliche Dimension enthält. In den Jahren der Ausbildung wird uns auch die jeweilige Sprache der Wissenschaftsdisziplin gelehrt. Manchmal merken wir es, vieles geht unbewusst in unser Forscherblut über. Wir lernen, wie man in der uns eigenen Wissenschaftsdisziplin an Probleme herangeht und wie man die Beobachtungen protokolliert. Man lehrt uns, wie man die Ergebnisse und Interpretationen publiziert.

Und wen wundert es daher, dass Wissenschaftler aus anderen Disziplinen wie Mediziner, Chemiker oder Pharmazeutinnen eine andere Wissenschaftssprache sprechen als Nanotechnologen?
...
Schwerpunkt: "Sprechen Sie Wissenschaft?"
"Sprechen Sie Wissenschaft? Wissenschaftssprache im öffentlichen Dialog" heißt eine Initiative von BMWF und Ö1 Wissenschaft. Forscher und Forscherinnen verschiedener Disziplinen reflektieren dabei in science.ORF.at in Gastbeiträgen und Interviews über den wissenschaftlichen Sprachgebrauch und den Bedarf an Wissenschaftskommunikation.
->   Schwerpunkt: "Sprechen Sie Wissenschaft?"
...
Erkennungszeichen Abkürzungen
Wir Forscher erlernen eine Sprache, die uns zu einer Disziplin zugehörig macht. Reden wir mit Kollegen, so verwenden wir beispielsweise Abkürzungen. Verstehen sie diese, zeigt es uns an, dass auch sie zu dieser Gruppe gehören!

Das Phänomen ist bestimmt nicht neu, dass sich Gruppen durch eine eigene Sprache von all den anderen abgrenzen. Doch was hat dies mit den Nanotechnologien zu tun?
Nanomedizin: Verknüpfung verschiedener Wissenschaften
Viel, so meine ich. Ich beschäftige mich nun schon seit Jahren beruflich mit dem Thema, dem Problem sprachlicher Barrieren innerhalb von Wissenschaft und Forschung - weitaus mehr, als ich mir vor dem Projekt "Nano-Health" erwartet hätte.

Seit 2005 bin ich Koordinator dieses nationalen Projektes, das sich mit der Entwicklung neuartiger nanostrukturierter Materialien für den Einsatz in der Medizin beschäftigt. Die Rede ist von Nanotechnologien für die Medizin, auch Nanomedizin genannt. Für die Nanotechnologien - und daher auch für die Nanomedizin - gilt: "Nur die Verknüpfung des Wissens der verschiedenen Wissenschaften kann zum Erfolg führen!"
Beispiel Wirkstofftransport
Wie kann man sich das vorstellen? Nehmen wir als Beispiel das Thema "gezielter Wirkstofftransport im menschlichen Körper mit Hilfe von Nanopartikeln": Ein Großteil der Nebenwirkungen von Medikamenten beruht darauf, dass wir sie systemisch verabreichen.

Was passiert genau? Wir schlucken eine Tablette, die sich im Darm auflöst. Dadurch gelangt der Wirkstoff ins Blut. Das Blut verteilt diesen im ganzen Körper, wodurch er auch zum Krankheitsherd kommt. Dort entfaltet er die gewünschte Wirkung. Durch die Verteilung über das Blut gelangt der Wirkstoff aber auch in nicht betroffene Bereiche des Körpers, wo Nebenwirkungen entstehen können.
Experten mehrerer Disziplinen nötig
Und was möchte nun die Nanomedizin? Die Idee ist genial einfach und doch extrem schwer umzusetzen: Der Wirkstoff soll in Nanopartikel verpackt werden, die den Krankheitsherd selbstständig erkennen können, ausschließlich dort den Wirkstoff freisetzen und dann schnell abgebaut werden.

Für diese Entwicklung ist eine Reihe von Wissenschaftlern aus verschiedenen Disziplinen mit unterschiedlichem Sprachgebrauch notwendig. Und hier zeigt sich langsam die sprachliche Dimension der Nanotechnologien. Als erstes brauchen wir für die Umsetzung der Idee den Mediziner. Er steuert das Wissen über die Krankheit und deren Entwicklung bei. Dann kommt der Pharmazeut ins Spiel, der über das Wissen verfügt, wie geeignete Wirkstoff beladene Nanopartikel hergestellt werden.
Innovationen nur mit vereintem Wissen
Diese beladenen Nanopartikel gehören genauestens physio-chemisch charakterisiert. Dazu werden Chemiker und Physiker beziehungsweise deren Wissen benötigt. Anschließend brauchen wir noch eine Erkennungssequenz auf den beladenen Nanopartikeln, damit diese ihr Ziel erkennen können. Die beladenen Nanopartikel müssen so stabil sein, dass sie genügend Zeit haben, um zum Krankheitsherd zu finden. Aber sie müssen labil genug sein, so dass sie nachher schnell aus dem Körper entfernt werden. Ansonsten könnten sie sich im Gewebe ansammeln. Wo sind sie, die Nanotoxikologen?

Dieser vereinfachte Abriss von Momentaufnahmen einer Entwicklung im Bereich der Nanotechnologien zeigt es deutlich: Es geht nur gemeinsam, mit vereintem Wissen. Doch wie vermittle ich das eigene Wissen einer anderen Gruppe? Wie übersetze ich meine Expertise als Chemiker in das Denkschema des Mediziners? Wie beschreibe ich komplexe Sachverhalte ohne Fachtermini und Abkürzungen?
Denk- und Sprachschemata öffnen
Dieser Aufgabe mussten wir uns ganz konkret gemeinsam in unserem Projekt "Nano-Health" stellen. Wir wollten gemeinsam forschen und uns an diese Aufgabe heranwagen. Dies war eine Erlebnisreise mit allen Höhen und Tiefen.

Es galt Denk- und Sprachschemata zu öffnen, Interesse für die andere Disziplin zu entwickeln, verstehen zu wollen, wie das Gegenüber denkt und wie es seine Gedanken in Worte fasst. Es galt, sich seiner eigenen Sprache bewusst zu werden, sie für die anderen durchlässiger zu machen. Es galt weiters, die Herausforderung nicht nur im Finden von Neuem auf seinem Gebiet zu sehen, sondern auch diese Erfindungen den anderen Fachdisziplinen vermitteln zu können.
Überwindung der Fachgrenzen
Es stellte sich heraus, dass dies ein langwieriger Prozess ist. Er brauchte ein bis zwei Jahre. Wir gingen während dieser Zeit manche Irrwege, weil wir uns nicht wirklich immer verstanden. Doch mit dem Vertrauen und den sich langsam bildenden sprachlichen Brücken zwischen den Disziplinen und den Einzelpersonen wurde es immer deutlicher: Die Herausforderung in den Nanotechnologien liegt meiner Einschätzung nach in der Überwindung der Fachgrenzen und dem Aufbau der Vertrauensbasis zwischen den Einzelpersonen.

Und zur Überwindung der Fachgrenzen bedarf es eines gemeinsamen Ausdrucksmittels: der gemeinsamen Sprache. Erfolgreiche Forschung im Bereich der Nanotechnologien ist nur möglich durch Annäherung der Wissenschaftsdisziplinen und daher auch ihrer Sprachen. Und ich bin überzeugt, dies trifft auch auf viele andere Forschungsbereiche zu.

[23.3.08]
...
Über den Autor
Frank Sinner ist Geschäftsführer der BioNanoNet Forschungsgesellschaft m.b.H., einem österreichischen Netzwerk universitärer und außeruniversitärer Forschungseinrichtungen, die innovative interdisziplinäre Forschung auf dem Gebiet der Arzneimittelentwicklung chronisch-degenerativer und infektiöser Krankheiten betreiben. Der Chemiker koordiniert und leitet im Zuge dessen unter anderem das Projekt "Nano-Health": In einem Verbund verschiedener Einzelprojekte zielt man darauf ab, neue multifunktionale Nanopartikel zu entwickeln.
->   BioNanoNet
...
->   Informationen zu "Nano-Health" (.pdf)
->   Website des Wissenschaftsministeriums zu "Sprechen Sie Wissenschaft?"
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung .  Technologie 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010